: Heimat to go
ZUHAUSE Was bedeutet Heimat eigentlich? Und kann man sie mitnehmen? Eine subjektive Annäherung an einen sehr deutschen Begriff
Von Alke Wierth und Andreas Hergeth
Heimat? Was für ein sperriger Begriff, da versteht doch jeder etwas anderes darunter! Aber stimmt das auch? Wir haben uns deshalb die Bälle zugeworfen, uns hin und her geschrieben und wollten sehen, wohin uns der Heimatbegriff treibt. Und weil wir Kollegen sind, duzen wir uns natürlich. Ein Protokoll.
Alke: Eigentlich dachte ich immer, Heimat, das ist so ein überschätzter Begriff. Konservativ zudem. Heimat ist eben, wo man wohnt, wo man Freunde hat! Alles andere ist sentimental.
Andreas: Heimat ist ein total wichtiger Begriff und hat mit Sentimentalität rein gar nichts zu tun. Heimat ist in mir, ich trage sie quasi immer mit mir herum. Heimat ist elementar.
Alke: Das klingt für mich eher nach Herkunft. Heimat, ist das nicht ein Ort? Der einem etwas geboten hat, was man vermissen, aber eben auch anderswo finden kann?
Andreas: Natürlich ist Heimat an einen Ort, ein Land, eine Region gebunden, doch vor allem an ein Gefühl. Und an Erinnerungen, die nicht nur aus mir selbst kommen, sondern in meinen Zellen schwingen, denn Heimat ist etwas Vererbtes – und Überformtes. Jeder hat seinen eigenen Heimatbegriff. Heimat kann ich erschaffen, ja imaginieren. Bei mir machen zum Beispiel Menschen, Lieder, Gerüche oder Lieblingsspeisen Heimat aus. Stimmt also – Heimat kann man überall finden.
Alke: Oder eben auch nicht. Das habe ich verstanden, als ich viel mit palästinensischen Jugendlichen geredet habe. Die Heimat, aus der einst ihre Großeltern flüchten mussten, kennen sie nur aus deren Erzählungen, Erinnerungen, Gefühlen. Es gibt sie nicht mehr, und sie fahren nicht dorthin. Und hier wird ihnen oft vermittelt, dass Deutschland nicht ihre Heimat sei. Auch meine Großmutter kam als Kind aus einem anderen Land. Aber das war eine Entscheidung ihrer Familie, keine Flucht, keine Vertreibung. Arbeitsmigration. Es war überhaupt kein Thema in unserer Familie. Es war eine gute Entscheidung – das war Konsens, basta.
Andreas: Das mit „die Heimat gibt es nicht mehr“ kenne ich aus den, wenn auch eher spärlichen, Erzählungen meiner Eltern. Mütterlicherseits stammt die Familie aus Schlesien, väterlicherseits aus dem Sudetenland. Früher hab ich oft gescherzt, dass ich doppelt Heimatvertriebener in dritter Generation bin. Später hab ich gelernt, dass das Thema vor allem mit einem selbst zu tun hat – mit Sehnsucht. Aber was macht man, wenn die Heimat futsch ist? Ich hab sie ja mit dem Ende der DDR auch verloren. Mir kommen bei einigen DDR-Liedern echt die Tränen.
Alke: Ja, stimmt, ich bekomme auch romantische Gefühle, wenn ich den Song „Bochum“ höre, obwohl ich Herbert Grönemeyer eigentlich gar nicht mag – und Bochum gibt es ja anders als die DDR auch noch … Heimat ist wohl weniger emotionsbeladen, wenn man jederzeit noch hin kann – anders als die Flüchtlinge, die wissen, dass sie ihre Heimat vielleicht nie wiedersehen –, wenn man die sentimentalen Erinnerungen ab und an mit der sich verändernden Realität abgleichen kann.
Andreas: Flüchtlinge – ein gutes Stichwort. Ich glaube ja, dass derzeit so viele Deutsche ehrenamtlich helfen, weil das Leid der Kriegsflüchtlinge etwa aus Syrien viele von uns, sozusagen über Generationen hinweg, an das Leid, den Heimatverlust und andere Traumata von damals erinnert. Oder was meinst du?
Alke: Vielleicht ist es ein Teil der Motivation. Ich denke, es ist bei vielen auch das wachsende Bewusstsein der eigenen Mitverantwortung für das, was in der Welt passiert: das Eine-Welt-Gefühl und damit verbunden eben auch die Einsicht, dass Heimatverlust jeden betrifft und jeden treffen kann. Auch uns – wie die Vergangenheit zeigt.
Andreas: Jetzt klingst auch du etwas sentimental …
Alke: Stimmt.
Alke Wierth, 50, gebürtige Bochumerin, lebt seit fast 17 Jahren in Berlin. Andreas Hergeth, 49, in Mecklenburg geboren, kam 1992 in die Stadt
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