: Augen zu und durch
EINKAUFEN Feine Jahresgaben gibt’s in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst. Bloß versperrt ein Bollwerk an Dumpfheit den Blick darauf: Eine Solo-Schau von Susanne M. Winterling
VON BENNO SCHIRRMEISTER
Das Schlimme an Weihnachten ist Geschenke kaufen. Wer nicht bei Otto bestellt, muss sich durch die überlaufene, mit geruchsintensiven Buden verbarrikadierte und kampfbedudelte City quälen. Reiche Kunstsinnige hatten’s da bisher besser: Sie konnten auf der Neustadtseite die Gesellschaft für Aktuelle Kunst aufsuchen und in Ruhe eine der Jahresgaben auswählen. Damit wird es diesmal nichts.
Doch, Jahresgaben gibt’s wieder,wunderbare, von 220 bis 1.300 Euro, je nach Medium und Bekanntheitsgrad des Künstlers. Sie werden auch gezeigt. Und, nein, die GAK ist noch immer selten stärker besucht als eine Werktags-Frühandacht. Aber wer zu den Objekten, Zeichnungen und Fotografien vordringen will, muss eine Ausstellung von Susanne M. Winterling passieren. Sie ist scheußlicher, als ein sechsstündiger Zwangsbesuch auf dem Weihnachtsmarkt ab 16 Uhr mit starkem Fieber. Der erste Eindruck: Ups!, ich wollt doch gar nicht auf den Reichsparteitag, der zweite bestätigt den ersten und dann bleibt noch die Frage, wo bloß die Feuerschalen sind?
„… dreaming is nursed in darkness“ raunt der Titel, das Zitat stammt von Jean Genet, beziehungsweise: Es stammt aus einer Übersetzung von Genets Miracle de la Rose (1946). Wer’s bei Google eingibt, landet bei Dienstleistern, die anbieten, es ohne nähere Quellenangabe auf T-Shirts zu drucken. Auch die Künstlerin übergeht den Kontext. Dabei ist er wichtig. Als herausragendes Beispiel für den „Traum, der in der Finsternis gedeiht“, und den man „lange träumen muss, um groß zu handeln“ nennt Genet nämlich „le national-socialisme, où l’on meurt encore par la hache, où le bourreau doit être un gars musclé“, also: „wo man noch durch’s Beil stirbt, wo der Henker ein muskulöser Bursche sein muss“. Ja, Genet liebte sie, die SS-Männer und „blonden Krieger“ und allgemein das Nazitum, weil: Gewalt. So freute er sich auch über’s Massaker von Oradour. Der Befehlshabende, heißt’s in Pompes funèbres (1953) habe mit der Auslöschung der Bevölkerung dieses Dorfs „getan, was er konnte – und zwar viel – für die Poesie“. Ab Herbst 1977 feiert Genet den RAF-Terror – weil: Gewalt. Besonders warme Worte fand er für die PLO-Kämpfer – weil: Gewalt plus anti-jüdisch.
Das übersetzte Miracle-Zitat „fungiert“ laut GAK „als Bindeglied zwischen den Elementen der Präsentation“: Ignorant, aber intuitiv hat Winterling dabei zu einem faden Fascho-Chic mit viel Schwarz, ästhetisierter archaischer Folterpraxis und klarer Blickführung gefunden – wobei es zu Ortsbezügen kommt, die GAK-Chefin Janneke de Vries „feinsinnig“ nennt. So kommt das Material Teer zum Einsatz, ja das muss einem auf dem Teerhof wirklich erst mal einfallen. Und ein Film verweist auf die Explosion des Zwingers an der Weserbrücke im 18. Jahrhundert: Eine brennende Wunderkerze wird an die Ostwand projiziert. Also doch noch ein Feuerschalen-Ersatz.
Mit unfreiwilliger Komik lässt sich umgehen. Fahrlässige Dumpfheit aber ist niederschmetternd. Wenigstens kann sich, wer sie überwindet, an Stephan Dillemuths anrufbaren Gipsschildkröten aufrichten, die strassbesetzt und gegen den Strich über einen Teppich kriechen, oder Malte Urbschats Objekte bewundern: Seine fünf fröhlich-farbigen Lamettapeitschen spielen mit dem Thema Gewalt. Sie verherrlichen sie nicht, sie berauben sie, bei aller Komik, nicht ihres Eros. Und: weihnachtlich sind sie außerdem.
Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Teerhof 21, bis 7. 2. , tägl. außer mo. 11- 18 Uhr, do. bis 21 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen