Kolumne Generation Camper: Mondsüchtige und Nachtschwärmer
Auf Satellitenfotos, die unseren Planeten von oben zeigen, glimmen und leuchten des Nachts die Kontinente. Zwei Bücher über Licht und Nacht.
W as für Zeiten! Zur Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert erträumte sich ein gewisser Charles Fourier, dass eines Tages „vier Monde die Erde erleuchteten, dass das Eis sich von den Polen zurückziehe, dass das Meerwasser nicht mehr salzig schmecke“. Er ging als engagierter Frühsozialist in die Geschichte ein. Als einer, der den Menschen das Elend nehmen wollte. Auch das Elend der Finsternis.
Heute haben wir die Bescherung: Die Erde ist erleuchtet! Der Fachausdruck dafür ist „Lichtverschmutzung“. Auf Satellitenfotos, die unseren Planeten von oben zeigen, glimmen und leuchten des Nachts die Kontinente. Den hellsten Lichtstrahl der Welt schickt die schwarze Pyramide des Luxor Casinos in Las Vegas ins Weltall. Ein Ort, der so tut, als gelte es, tagein und tagaus den Triumph der Menschheit über die Dunkelheit zu feiern. Aber diese Party haben viele Menschen satt. Wie der amerikanische Wissenschaftler Paul Bogard. Angeekelt spricht Bogard von einem „rot-gelb glühenden Ausschlag“, der die gesamten Vereinigten Staaten überziehen werde, „unterbrochen nur von den grellweißen Pusteln der dicht besiedelten Ballungsräume“.
Wie Bogard sich nun seine Reise ins Dunkle organisiert – im Gepäck viele Themen und Fragen an Fachleute und Gesprächspartner unterwegs –, ist die Geschichte seines wunderbaren Buches „Die Nacht – Reise in eine verschwindende Welt“. Bogard startet am grellsten Punkt in Las Vegas. Seine Stationen in den USA und Europa folgen den Stufen der Bortle-Skala. Einer Skala zur Messung der Lichtverschmutzung. Und man darf staunen, wie viele Menschen inzwischen mit neuen Lichtkonzepten befasst sind. Oder sich für Sternenparks engagieren. Sogar der Unesco geht es um die Rettung der Nacht. Sie betreibt ihren Schutz.
Leicht vergisst man bei der spannenden Nacht-Lektüre, wie satt die Menschheit die ewige Finsternis hatte. Kam nicht die Zeit der Aufklärung erst mit dem Licht? Entstand das öffentliche, gesellschaftliche Leben der Moderne nicht erst dank städtischer Straßenbeleuchtungen?
Paul Bogard: „Die Nacht – Reise in eine verschwindende Welt“. Blessing Verlag, München 2014, 22,99 Euro
Ernst Peter Fischer: „Durch die Nacht – Eine Naturgeschichte der Dunkelheit“. Siedler Verlag, München 2015, 22,99 Euro
Weit entfernt davon, jetzt eine Hymne auf das Licht anzustimmen, durchforstet der Naturwissenschaftler Ernst Peter Fischer in seinem Buch, „Durch die Nacht“, die dunkle, unsichtbare Seite unserer Geschichte. Seine „Naturgeschichte der Dunkelheit“ ist eine grundsolide Studie, die den Wert der Nacht hervorhebt. Etwa hinsichtlich der biologischen Natur der Menschen. Oder auch als Zeit, die man für sich selbst hatte. Zeit für Intimitäten, für Gebete, für Literatur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!