: Gnade für die Klimasünder
PROTOKOLL: Meine persönliche CO2-Diät. Das Tagebuch eines blamablen Selbstversuchs
VON UTE SCHEUB
Unter Tränen gebe ich zu: Ich wollte nur deshalb eine Woche lang meine persönliche CO2-Bilanz protokollieren, weil ich damit angeben wollte. Ich war mir sicher, dass meine Familie extrem gut dasteht. Ho! Ha! Völker dieser Welt, schaut auf diese Familie heldenhafter Klimaschützer! Aber … was für eine Blamage …
Der Reihe nach. Aus der Klimaforschung wusste ich, dass jeder Erdling nicht mehr als zwei Tonnen Kohlendioxid pro Jahr produzieren darf, wenn der Planet gerettet werden soll. Wir Deutschen kommen aber auf durchschnittlich elf Tonnen, wobei allein zwei Tonnen auf unsere Ernährung entfallen. Die Website www.verbraucherfuersklima.de bietet nebst allerlei nützlichen Tipps zur Kohlendioxidreduzierung im Alltag ein Programm an, das die persönliche CO2-Bilanz errechnet. Ha, dachte ich, wir sind ja so ökorrekt. Häuschen mit supereffizienter Gasbrennwertheizung plus Solaranlage, im Kühlschrank lagern nur Bioprodukte, Papa fährt ein 5-Liter-Dings, Mama und Sohn fahren nur Fahrrad oder U-Bahn. Und, das Beste: Wir haben keinen Hund. Neuseeländische Wissenschaftler haben laut New Scientist nämlich ausgerechnet, dass diese fleischfressenden Monster jährlich umgerechnet mehr Klimaschädlichkeit produzieren als ein Geländewagen. Habt ihr das gehört, ihr liebreizenden Labradorbesitzer! Auf Katzen dürfte Ähnliches zutreffen, sofern sie sich nicht von Nachbars Wellensittichen ernähren.
Mein Frust fing schon damit an, dass mir der CO2-Rechner ungefragt 1,1 Tonnen zuteilte, einfach nur dafür, dass ich in dieser deutschen Zuvielisation lebe. Dann fragte er nach Gas- und Stromverbrauch und allerlei Gewohnheiten, und siehe da, der Balken, der meinen CO2-Verbrauch anzeigte, wuchs und wuchs. Am Ende stand er bei über sechs Tonnen Kohlendioxid. Schmach und Schande über mich!
„Na los, runter mit der Bilanz“, begann an dieser Stelle der Sohn zu kreischen, der – wahrscheinlich unter Mutters ungutem Einfluss – zum Radikalökologen geraten ist. „Kochen Sie mit regionalen und saisonalen Lebensmitteln“, rät die Website. Denn ein Kilo Ökotomaten aus der Region produziere nur 35 Gramm CO2, ein Kilo Flugware von den Kanaren aber schon 7,2 Kilo, ein Kilo konventionelle Tomaten aus einem winters beheizten Gewächshaus gar 9,3 Kilo. Das ist einfach zu merken: Treibhäuser verursachen Treibhausgase.
Der nächste Schritt: nachschauen im Erntekalender von Greenpeace, was man jetzt noch essen darf. Doch die gemeinen Greenpeacler bieten für Dezember nur noch eine einzige Sorte Obst an: Äpfel aus dem Lager. Keine Banane, keine Zitrone, keine Orange? Schimpfend zähle ich die armen Compañeros auf, die in ihren mittelamerikanischen oder sizilianischen Kooperativen darben müssen, weil ich ihnen ihr Obst nicht mehr abkaufe.
Bei Gemüse sieht das Winterangebot etwas besser aus: Kartoffeln, Chicorée, Endivien- und Feldsalat, Kürbis, Kohl aller Sorten, Karotten und Rettiche, Zwiebeln und Lauch – das meiste aus dem Lager. Okay, Genosse Greenpeace, ich versuch mein Bestes. Am Montag gibt es Wirsingkohlsuppe. Am Dienstag Kartoffelsuppe mit Würstchen.
Würstchen? Übel, belehrt mich www.verbraucherfuersklima.de. Um ein Kilo Schweinefleisch zu produzieren, werden drei bis vier Kilo Treibhausgase in die Luft gehauen. Auch Ökofleisch schneidet hier kaum besser ab, in manchen Studien sogar schlimmer, und Rindfleisch ist mit über elf Kilo eine Todsünde. Ach bitte, Genosse Greenpeace, gewähre mir doch ein Würstchen pro Woche!
Am Mittwoch gibt es Reis mit einer Lauch-Kokos-Orangen-Soße. Reis? Kokos? Orange?? Ach bitte, bitte, Genosse Greenpeace – denk an die armen Kokosnussschüttler in Tuvalu! Und überhaupt, du bist nicht auf dem Laufenden, Herr Grünfriede: Der Warentransport per Schiff ist nach dem Transport per Rad, Rollschuh oder Ski noch der ökologischste. Fies ist vor allem die Fliegerei, das müsstest du doch wissen.
Am Donnerstag überwältigt mich vollends die Verzweiflung: Nudelauflauf wollte ich machen, lecker überbacken mit Käse-Sahne-Soße, dazu in Butter gedünsteten Mangold. Butter! Käse! Sahne! Der Klimawahnsinn! Die Produktion von einem Kilo konventioneller Butter, belehrt mich das Internet, erzeugt 23 Kilo Kohlendioxid, die von Biobutter 22 Kilo. Käse und Sahne, egal ob konventionell oder bio, erzeugen rund 7 Kilo. Aus Sicht des Klimaschutzes, lese ich, sei Kunstkäse aus Milchpulver, Wasser und Pflanzenöl entschieden vorzuziehen. Meine leckeren Vollkornnudeln mit einem Gummiüberzug versehen? Never!
Und überhaupt werde ich immer wütender: Während ich mich hier um ein paar Gramm CO2 weniger abmühe, jetten andere ganztägig um die Welt, um im Dschungel neue Ölquellen zu finden oder den Globus auf andere Weise zu versauen! Vor Wut lasse ich das Essen anbrennen, und wir gehen beim Italiener essen. Was fläzt auf meiner Pizza? Kunstkäse.
Am Freitag schließlich sage ich mir, dass man die Welt nur retten kann, wenn es dabei genussvoll zugeht. Ehrgeizig geworden, kredenze ich meiner Familie das erste vollregionale Fünfgängemenü meines Lebens, ausschließlich mit Zutaten von unseren Brandenburger Ökobauern: Chicorée-Birnen-Feldsalat, Nudeln mit Nüssen und Kürbiskernen, Möhren mit Brunnenkresse und Sesam, Kartoffel-Steckrüben-Mus mit Rapsöl, zum Abschluss Bratäpfel mit Schokostückchen. Woher Letztere stammen? Fragt nicht so blöd, natürlich von den ausgedehnten Kakaoplantagen Potsdams.
■ www.verbraucherfuersklima.de, www.gls.de/Klima, www.greenpeace-magazin.de/fileadmin/user_up load/Ratgeber/erntekalender.pdf, www.ecotopten.de
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