„Die Gegenwart ist nah an der Vergangenheit“

Geschichte „Mein Kampf“ von Adolf Hitler auf der Bühne lesen? Das kann informativ sein. In einer Inszenierung von Rimini Protokoll ist der Musiker Volkan T. mit dabei

Szenenfoto: Der Buchbinder Matthias Hageböck, Volkan T. (rechts) und ein Stapel Propaganda Foto: Candy Welz

Interview Katrin Bettina Müller

taz: Volkan T., Sie sind einer der sechs Erzähler, die sich in dem Stück „Adolf Hitler. Mein Kampf“ von Rimini Protokoll mit Hitlers Buch auseinandersetzen. Bei der Premiere in Weimar fand ich es eine unvermutete und interessante Perspektive, aus der Sie auf das Buch blicken. Wie sind Sie zu dem Team gestoßen?

Volkan T.:Die Intendantin des Gorki Theaters, Shermin Langhoff, hat mich empfohlen. Ich fand das Thema sehr interessant, zufälligerweise hatte ich mich gerade damit befasst. In Ankara habe ich eine Fassung von „Mein Kampf“ als Manga gefunden, das fand ich spannend.

Weshalb beschäftigt Sie die Zeit des Nationalsozialismus?

Ich will wissen, was das mit dem neuen Nationalismus, neuen rechten Strömungen zu tun hat, von denen ich auch betroffen bin. Wie sieht das aus, wer sind deine Feinde, wer will dir an den Kragen, darum geht es.

Sie erzählen auf der Bühne von den vielen Auflagen, die es bis 2005 von „Mein Kampf“ in der Türkei gab, verschiedene Verlage konkurrierten. Hat Sie das überrascht?

Nein, eigentlich nicht. Was mich überrascht hat, war, dass jeder von meinen Freunden und Bekannten das Buch gehabt hat.

Ach wirklich?

Ich glaube, dass das Buch in der Türkei als Geschichtslektüre gilt. Das wird weniger von Leuten gekauft, die rechts gesinnt sind, sondern weil es ein Teil der Weltgeschichte ist. Man darf nicht vergessen, dass die Verlage, die das rausbrachten, auch viele andere historische Schriften, etwa von Stalin und Lenin, im Programm haben. Ich hab zu dem Thema ein Interview mit Rifat Bali gemacht, einem Antisemitismusforscher in der Türkei, um zu erfahren, ob das politisch eine Relevanz hat. Er meint, dass der Antisemitismus in der Türkei immer gleich geblieben ist. Die Verkäufe des Buchs haben nichts damit zu tun.

Also die Vermutung, die Popularität des Buchs in der Türkei hänge mit faschistischen Tendenzen zusammen, hat sich nicht bestätigt?

Das dachte ich auch. Auch in den Medien wird geschrieben, das lesen hauptsächlich Linke und Studenten. Aber man weiß es nicht.

In der Aufführung spielen Lieder von Ihnen eine Rolle, die mit Ihrer Auseinandersetzung mit Neonazis zu tun haben. Wenn ich mir die Texte der Songs anschaue, „Das neue deutsche Opfer“ und „Wir sind Deutschland, halt dein Maul“, kommen die mir auch wie ein pädagogisches Projekt vor.

Die Songs sind von einem Album von 2008, da war ich wirklich der Erste, der gegen diese rechtspopulistischen Rapper, die da aufkamen, eigene Songs gemacht hat.

Der Text von „Wir sind Deutschland“ nimmt etwas auf, was nach einem nationalistischen Sprachgebrauch klingt. Der wird im Song zur Selbstbehauptung einer postmigrantischen Generation genutzt. Das ist ja ein verblüffender Stolz Deutscher zu sein.

Das Buch: Am 1. Januar 2016 endete die Schutzfrist, mit der der Freistaat Bayern, Inhaber der Rechte an Adolf Hitlers „Mein Kampf“, legale Nachdrucke verhindern konnte; illegale gab es viele.

Das Stück: Von der internationalen Popularität des Buchs erzählt unter anderem die Inszenierung „Adolf Hitler. Mein Kampf“ von Rimini Protokoll. Mit dabei sind RechtswissenschaftlerInnen aus Deutschland und Israel, ein Buchbinder, ein Vorleser und Volkan T. Im sehr informativen Stück hört man von berüchtigten Stilblüten Hitlers, erfährt viel über seine Selbststilisierung, seine Fiktionen und die Begründung des Rassenhasses. Vom 7. bis 10. Januar gastiert das Stück im HAU 1.

Wahrscheinlich würde ich das heute nicht noch mal machen. Damals habe ich bewusst das Vokabular benutzt, von Blut, Ehre, Boden, um das in die rechtsnationale Richtung zu adressieren. Weil auch viele Rapper damit kokettieren. Das ist immer noch aktuell. Viele Leute in Deutschland müssen akzeptieren lernen, die Situation ist so, wie sie nun mal ist. Zum Beispiel mit den Flüchtlingen, mit Migranten und Postmigranten. Niemand wird da zurückgehen. Warum auch? Was ich mit dem Song erreichen wollte, ist, zu zeigen, ihr drängt euch in die Opferrolle. Wenn ich angefangen habe, von meinen Problemen zu reden, haben viele Deutsche geantwortet, ja ihr drängt euch in die Opferrolle. Das habe ich mal umgedreht.

Das ist eine interessante Rhetorik.

Genau. Hier heulen jetzt viele rum, es kommen so viele Flüchtlinge. Niemand hat in Berlin Kontakt mit vielen Flüchtlingen, niemand hat einen Schaden, warum beschwert ihr euch? Das ist unbegründet. Ich bin selber überrascht, dass ein Album, das ich 2008 gemacht habe, immer noch so eine Relevanz hat.

Anlass für Rimini Protokoll, sich mit Hitlers Buch zu beschäftigen, war, dass ab diesem Jahr der Urheberrechtsschutz verfallen ist. Halten Sie es für gefährlich, wenn es wieder gedruckt wird?

Mir ist durch die Arbeit am Stück bewusst geworden, wie wichtig das Thema ist. Durch das Verbot hat man das Buch zu etwas stilisiert, was es überhaupt nicht ist. Man sollte offen damit umgehen, das Buch wird nur im öffentlichen Kontext entwertet werden. Im Raum des Verbotenen ist es überbewertet. Man könnte mit dem Buch bei jeder Talkshow sitzen und dann den Politikern nachweisen, was Sie da erzählen, habe ich schon mal bei Adolf Hitler gelesen; das müsste vielen bewusst gemacht werden, wie nah ihre Argumente da denen aus dem Nationalsozialismus sind. Die Gegenwart, in der wir uns befinden, ist so nah an der Vergangenheit dran.

Volkan Türeli oder Volkan T.Error wuchs in Berlin-Kreuzberg auf und studierte europäische Ethnologie und Politikwissenschaft. Er gilt als ein Wegbereiter für den türkischen HipHop und leitet am Ballhaus Naunynstraße die „Akademie der Autodidakten“. Er ist Musiker und Mit­begründer des Labels „Endzeit Industry“.