: Zugang zur Weiterbildung nur für qualifizierte Arbeitnehmer
FORTBILDUNG Laut dem ersten „Deutschen Weiterbildungsatlas“ absolvieren vor allem schlecht ausgebildete ArbeitnehmerInnen kaum Fortbildungen
von Jördis Früchtenicht
In der Erwachsenenbildung gibt es große regionale und soziale Unterschiede – und fast alle norddeutschen Länder schneiden hier nur mäßig ab. Das zeigt der dieses Jahr zum ersten Mal erhobene „Deutsche Weiterbildungsatlas“. Die von der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung und der Freien Universität Berlin durchgeführte Studie zeigt, dass sich jeder siebte Deutsche ab 25 Jahren, also 13,5 Prozent, mindestens einmal im Jahr fortbildet.
Als einziges norddeutsches Bundesland liegt Schleswig-Holstein mit 14,5 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Die Teilnahmequote in Hamburg liegt mit 13,5 Prozent genau im Durchschnitt, Bremen und Niedersachsen sind mit jeweils 12,1 unter dem Schnitt.
Neben einem Vergleich zwischen den Bundesländern, haben die Wissenschaftler auch die 96 Raumordnungsregionen untersucht, die jeweils mehrere Kreise oder kreisfreie Städte umfassen. Dabei unterscheidet sich die Teilnahmequote zwischen den Regionen teilweise erheblich – während im Emsland nur sechs Prozent der untersuchten Bevölkerung eine Weiterbildung machten, sind es in Würzburg 19 Prozent.
Die Wirtschaftskraft vor Ort und die Qualifikation der Bevölkerung wirken sich laut Atlas positiv auf die Weiterbildungsquote aus. Die Teilnahmequoten wurden auf Grundlage der Daten des Mikrozensus von 2007 bis 2012 errechnet.
Um die Vergleichbarkeit zwischen den Regionen zu erhöhen, wurde zudem die Potentialausschöpfung erfasst. Dabei wurde die tatsächliche Teilnahmequote in den Regionen mit der auf Grund der Strukturdaten, also regionalspezifische Sozial-, Wirtschafts- und Infrastruktur, zu erwartenden Teilnahmequote verglichen.
Die Ergebnisse zeigen, dass 66 Regionen ihre Möglichkeiten im Wesentlichen ausnutzen, 13 Regionen über den Erwartungen liegen und 17 Regionen darunter. Dabei erreicht die Region Schleswig-Holstein Süd-West mit 131,4 Prozent die bundesweit höchste Potentialausschöpfung. Das Emsland liegt mit 47,7 Prozent am anderen Ende der Skala.
Wie es zu solchen Unterschieden kommen kann, wurde anhand von Fallstudien untersucht. Dazu wurden sieben Regionen näher betrachtet. „Ein Faktor ist die Kooperation der Akteure vor Ort – wie etwa Wirtschaft und Anbieter von Weiterbildungen zusammenspielen“, so Marvin Bürmann, Projektmanager des Weiterbildungsatlas bei der Bertelsmann Stiftung.
Wichtig könne zudem die Erreichbarkeit der Weiterbildungseinrichtungen sein: „Wenn keine Busse zu der Einrichtung fahren, kann das zum Beispiel für eine alleinerziehende Mutter mit einem Zeitarbeits-Job und ohne Auto ein echtes Hemmnis sein.“ Zusätzlich sei eine unabhängige Beratung vor Ort wichtig, um die Bevölkerung über das Angebot zu informieren.
Auf Ebene der Bundesländer ist Hessen mit 111,1 Prozent Spitzenreiter bei der Potentialausschöpfung, Hamburg bildet mit 81,8 Prozent das Schlusslicht. Auch Bremen nutzt das laut dem Atlas vorhandene Potential mit 97,3 Prozent nicht voll aus, ebenso Niedersachsen mit 94,9 Prozent. Im Gegensatz dazu werden die Erwartungen in Schleswig-Holstein mit 106,4 Prozent übertroffen.
Doch es gibt auch große soziale Unterschiede. So nehmen von den Höherqualifizierten, von den Forschern als Personen mit Berufsausbildung oder Hochschulabschluss definiert, 22,5 Prozent der 25- bis 54-Jährigen an einer Weiterbildung teil. Das sind drei Mal so viele Personen wie bei den Geringqualifizierten, von denen gerade einmal 6,7 Prozent an Weiterbildungen teilnehmen. Betrachtet man die Geringqualifizierten auf regionaler Ebene, existieren ebenfalls Unterschiede.
Bremen ist bei der Potentialausschöpfung Geringqualifizierter mit 133,5 Prozent bundesweit Spitzenreiter. Hamburg erzielt hier einen Wert von 93,3 Prozent, Schleswig-Holstein 113,6 Prozent und Niedersachsen 100,5 Prozent. Allerdings tun sich hier große Lücken zwischen den Regionen auf: Während Südheide mit 131,4 Prozent eine sehr hohe Potentialausschöpfung hat, liegt diese in Lüneburg nur bei 61 Prozent.
„Jeder sollte Zugang zu Weiterbildung haben. In der Praxis nehmen dann aber vor allem höherqualifizierte Personen teil, die unbefristet und in Vollzeit beschäftigt sind.“, sagt Bürmann. „Geringqualifizierte hingegen sind häufig atypisch beschäftigt, sprich mit befristeten Verträgen, in Teil- oder Zeitarbeit.“ Dies führe zu struktureller Benachteiligung der Geringqualifizierten.
Dabei könnte diese Gruppe besonders von Weiterbildungen profitieren. Es sei wichtig, dass ihre in Weiterbildungen und Beruf erworbenen Kompetenzen auch formal anerkannt werden, damit sich ihre beruflichen Chancen auch wirklich verbessertenn. „Die öffentliche Hand muss daher die Qualifikation von Weiterbildungsbenachteiligten gezielter fördern und Rahmenbedingungen für die Anerkennung von Kompetenzen schaffen“, sagt Bürmann.
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