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Comeback des Nischenkinos

Programmänderung Ausscheren aus dem Wettrennen um die Kinohits, rare Filmkunst neben dem Zapfhahn: Das Nischenkino kehrt zurück, zumindest in Berlin

Das Kino b-ware! hat sich b-währt Foto: Wolfgang Borrs

von Andreas Hartmann

„Dies ist kein Kino“ steht in großen Lettern über dem b-ware! Ladenkino in Friedrichshain. Der Slogan soll wohl ausdrücken: Dies ist kein Kino im geläufigen Sinne. Das b-ware! ist Cinethek, Kino und Bar in einem.

Wer in einem der kleinen Kinosäle einen Film sehen will, kommt zwangsläufig an endlosen Reihen mit DVDs vorbei, die entliehen werden können, vor allem eher kunstsinnige Filme. Eine Porno-Ecke gibt es nicht, deswegen auch der Begriff Cinethek und nicht Videothek. Auf diese Unterscheidung legt Paulo Da Senhora großen Wert. Er ist einer der Mitbetreiber des b-ware!, stammt aus Portugal und wird von allen nur Scalli genannt.

Das b-ware!, das an aktueller Stelle in Friedrichshain vor fünf Jahren als Cinethek eröffnet hatte und ein Jahr später um das Kino ergänzt wurde, ist auf seine Art bestimmt ein spezieller Fall und deutschlandweit ein einmaliger Ort.

Allein die Quantität von Filmen hier ist beeindruckend, um die 15.000 Filme sind entleihbar. Das Kinoprogramm beginnt bereits mittags, da können, wie derzeit, nicht weniger als 26 verschiedene Filme am Tag gezeigt werden. Aber das Prinzip des b-ware!, nämlich Kino mit etwas anderem zu verbinden und Arthouse-Filme nur für ein paar Euro Eintritt zu zeigen, das macht gerade Schule in Berlin.

Digitalisierung sei Dank

Nachdem in den letzten Jahren oft vom Kinosterben die Rede war, das in Berlin so nie eingetreten ist, öffnen jetzt im Gegenteil neue Kinos. Neben dem relativ jungen b-ware! etwa das Zukunft am Ostkreuz vor drei Jahren, Il Kino in Neukölln vor einem Jahr und das ambitionierte Kinoprojekt Wolf, ebenfalls in Neukölln, soll kommendes Frühjahr ein neues Zentrum für Cineasten werden. „Das Kino, wie wir es noch in unseren Köpfen haben, funktioniert nicht mehr“, sagt Scalli, „die großen Kinos haben ihre Gäste vergrault, jetzt kommen die Nischenkinos dank der Digitalisierung wieder.“

Vor ein paar Jahren noch überboten sich Kinobetreiber gegenseitig mit ihrem Gejammer genau wegen dieser Digitalisierung. Die Zukunft des Kinos werde in 3-D sein, hieß es, wer da nicht rechtzeitig sein Kino darauf einstellen könne, habe verloren. Die entsprechende Digitalisierung werde jedoch teuer bis existenzbedrohend teuer und nur die ganz großen Event-Kinos mit noch mehr Beinfreiheit bei den Sitzen würden sich am Ende durchsetzen können, wurde befürchtet.

Ein paar Jahre später lässt sich nun feststellen: Sämtliche Unkenrufe sind folgenlos im Nichts verhallt. 3-D-Filme sind weiterhin die Ausnahme auch in den Multiplex-Kinos. Nicht wenige potenzielle Kinobesucher denken dabei so, wie es Scalli auf den Punkt bringt: „Oh no, ein 3-D-Film, da sind bei einer Vorstellung plus Aufschlägen schon wieder 50 Euro für die ganze Familie weg.“

Auch finanziell ging die Digitalisierung am Ende wohl für fast alle Betreiber kleiner Arthouse-Kinos besser über die Bühne als befürchtet. Aus verschiedenen öffentlichen Töpfen wurde die Umstellung größtenteils finanziert und die Qualität des Kinoprogramms bei der Höhe der Subventionierung berücksichtigt. Scalli sagt zwar, die Digitalprojektoren, die er nun im Einsatz habe, seien nicht so unkaputtbar wie die alten Analog-Geräte, da könnten also bald noch Kosten auf ihn zukommen, aber dank der Unterstützung hätten sie ihn kaum etwas gekostet. Auch Werner Gladow, für das Kinoprogramm in den Friedrichshainer und Lichtenberger Kneipen Tilsiter und Zukunft zuständig, spricht von einer „großzügigen Finanzierung“ bei der digitalen Umrüstung seiner Kinos.

Anstatt Endzeitstimmung gibt es dank der Digitalisierung nun also einen neuen Berliner Kino-Boom. „Es ist einfacher geworden“, sagt Werner Gladow, „einfacher und besser als früher.“ 26 verschiedene Filme am Tag zu zeigen, wie das b-ware!, „das wäre in analogen Zeiten gar nicht möglich gewesen“, ergänzt Scalli. Riesige Filmrollen hätte man permanent irgendwo lagern und nach jeder Vorstellung auswechseln müssen, der Aufwand wäre für ein kleines Kino kaum zu bewältigen gewesen.

Heute dagegen drückt derjenige im b-ware!, der gerade noch die Tickets verkauft hat, die Play-Taste auf dem Digitalprojektor, und das war es auch schon mehr oder weniger.

Kein Warten auf Kopien

Auch das Warten auf bestimmte, eher kleine Filme gibt es nicht mehr. Von manchen Independentproduktionen gab es in der Analog-Ära vielleicht nur drei Kopien in ganz Deutschland. „Auf die musste man dann warten und wenn man endlich die Filmrolle bekam, war sie meist schon ganz abgenudelt“, so Scalli. Diese Verknappung gibt es im digitalisierten Filmbetrieb nicht mehr. Das bedeutet zwar nicht, dass man als Kleinstkino nun jeden Film bekommt, größere Filmketten kämpfen bei den Verleihern immer noch um Erstspielrechte. Aber angesichts der unzähligen Filmstarts jede Woche finden sich neben den größeren Arthouse-Produktionen immer noch genug Nischenfilme, die das Zeug zum Überraschungshit haben.

Die Konzepte der Kinos der Post-Digitalisierungs-Ära sind Flexibilität und Synergien. „Man braucht etwas neben dem Kino“, glaubt Gladow, entweder die Cinethek wie das b-ware!, oder eine Kneipe wie im Falle Tilsiter und Zukunft. Wenn dann mal doch nur zwei zahlende Besucher im Saal hocken, die diese neue Filmperle aus Rumänien sehen wollen, ist das keine Ka­tastrophe, solange einigermaßen Betrieb am Zapfhahn herrscht.

26 verschiedene Filme am Tag zu zeigen, das wäre in analogen Zeiten gar nicht möglich gewesen

In den Kneipen seiner Kinos, sagt Gladow, werde sogar selbstgebrautes Bier angeboten. Auch Il Kino, betrieben von einer italienischen Filmemacherin, dessen Programm sich dezidiert an Expats richtet und das ausschließlich Originalfassungen mit oder ohne Untertitel zeigt, versteht sich als Kino mit angeschlossener Gastronomie. Italienische Küche und internationale Arthouse-Filme für ein internationales Publikum, das ist das Konzept – inzwischen läuft das Il Kino bestens.

Dank der vergleichsweise kleinen Digitalprojektoren lassen sich neue Kinokonzepte auch in bescheideneren Räumlichkeiten verwirklichen als noch in der Ära der klassischen Lichtspielhäuser, die oftmals umgebaute Theater waren – daher stammt oft noch der schwere Vorhang, der vor der Leinwand auf- und zugeht. Man braucht in der digitalen Ära keinen Vorführraum mehr, der Projektor steht direkt im Kinosaal. Es reicht, wie im Falle des Il Kino, eine ehemalige Bäckerei kinotauglich zu machen. Wo früher die Kunden der Bäckerei bedient wurden, ist nun die Bar. Der Kinosaal befindet sich in der ehemaligen Backstube.

Das Wolf, das sich auch als zukünftige Begegnungsstätte, Labor und Nachwuchszentrum für Cineasten versteht, zieht in einen ehemaligen Puff ein, in der Weserstraße. Der Umbau wird teils finanziert durch Crowdfunding und einen riesigen Unterstützerkreis aus der Berliner Filmszene.

Andere Klientel

Multiplexe und klassische Lichtspieltheater setzen dagegen in Zeiten von Netflix und Serienboom entweder auf Kino als Spektakel oder darauf, unbedingt den neuen Woody Allen zu zeigen. Die Klientel für die Kleinkinos interessiert sich sowieso nicht mehr für offizielle Filmstarts – das tun nur noch Hollywood, die etablierten Arthouse-Ketten und das Feuilleton –, aber es schaut sich gern einen guten Film an, den es noch nicht kennt, und das gerne auch im Kino, wenn der Eintrittspreis eher bei 5 als bei 12 Euro liegt.

Und für das gesparte Geld geht man dann im Kino seiner Wahl lieber noch etwas essen und trinken. Oder leiht sich dort eine DVD für später aus.

Il Kino, Nansenstraße 22, Neukölln. ilkino.de

b-ware!, Gärtnerstr. 19, Friedrichshain. ladenkino.de

Info zum „Wolf“: wolfberlin.org

Zukunft am Ostkreuz, Laskerstr. 5, Friedrichshain

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