EINSATZ Ursula von der Leyen will als Verteidigungsministerin der Bundeswehr ein neues Image verpassen: als Armee der Helfer und Berater, mit WLAN und Kinderbetreuung. Wie sieht das einer, der in Afghanistan war?: Die Ministerin und ihr Soldat
Aus Hannover, Köln und Munster Julia Maria Amberger
An einem Samstagnachmittag im Juni dieses Jahres hat es Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für einen kurzen Moment geschafft: Die Deutschen klatschen für ihre Armee. Es ist Tag der offenen Tür bei der Bundeswehr, in der Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover applaudieren 300 Menschen – all den Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan, Somalia und den anderen Ländern, in denen die Bundeswehr vertreten ist. Von der Leyens Rede wird von der Bühne in ihre Feldlager übertragen. Der Brigadegeneral, heute der Gastgeber hier, beugt sich zu der Ministerin hinunter, streckt den Arm aus und sagt: „Hier geht es lang, Frau Ministerin.“ Und schon marschiert die Ministerin los.
Vor einem blauen Lastwagen, dem sogenannten Karrieretruck, halten sie. An einer Tür, die in die Ladefläche hineinführt, flimmert ein Video. Soldaten, die mit dem Fallschirm in einer Wüste landen oder mit Skiern einen Berghang hinabgleiten. Ursula von der Leyen läuft die Stufen zum Eingang hoch und schüttelt einem Mann die Hand, der, seit sie Ministerin ist, nicht mehr Wehrdienstberater, sondern Karriereberater heißt. Dann verschwindet sie im Inneren des Lastwagens. Auf einem Pfeil steht „militärische Karriere“, rechts daneben „zivile Karriere“. Ursula von der Leyen läuft nach rechts.
Es ist das erste Mal, dass die Bundeswehr so aufwendig ihr Innenleben präsentiert. An 15 Standorten in Deutschland wurden Panzer vorgefahren, Fallschirmjäger stürzen sich auf die Erde, Kinder dürfen sich in Tarnfarben schminken lassen oder auf Panzer klettern. Der „Tag der Bundeswehr” ist Teil der Attraktivitätsoffensive, mit der die Ministerin die Bundeswehr modernisieren will. Denn seit 2011 die Wehrpflicht beendet wurde, fehlt es der Armee an jungen Menschen. Weil sie aber in den nächsten Jahren trotzdem Nachwuchs braucht, muss sich die Bundeswehr jetzt anstrengen. Sie konkurriert mit Firmen wie Siemens und McKinsey um angehende Ingenieure und Computerspezialisten. Sie will sich von ihrem alten Image befreien – von Stubendurchgang, Gehorsamspflicht und Abendbrot um 17 Uhr. Und deshalb vergleicht von der Leyen die Bundeswehr gern mit einem international tätigen Konzern.
Kurz vor ihrem Rundgang hatte die Ministerin noch knapp 30 Soldatinnen und Soldaten auf die Bühne geholt: junge Leute im Karatedress, im Adidas-Trainingsanzug, im Flecktarn, die Moderatorin des Bundeswehrradios, Sanitäter. Ganz vorne strahlt von der Leyen im cremefarbenen Anzug. Sie tritt einen Schritt aus der Menge heraus. „Hier wird die Logistik organisiert, rund um den Erdball“, sie zeichnet dabei einen Kreis in die Luft. „Wir haben einen Logistikkonzern, ein Luftfahrtunternehmen, eine Reederei.“ Besucher halten ihre Handykameras hoch. Väter mit ihren Kindern, Rentner, ein paar Jugendliche. Doch insgesamt viel weniger, als die Bundeswehr erwartet hatte.
Frankreich:Die Luftwaffe fliegt Angriffe im Irak und in Mali, wenn Präsident François Hollande, der Oberbefehlshaber, es will. Vor allem in Afrika ist die Armee präsent. Sie besitzt 300 Atombomben, mehr haben nur Russland und die USA. Ohne diese hätte die Außenpolitik nicht das gleiche Gewicht, sagen Kritiker.
Schweiz:Seit Ende des Kalten Kriegs gibt es keine direkte militärische Bedrohung für die Eidgenossenschaft. Regelmäßig muss die Armee ihre Existenz rechtfertigen. 2014 reformierte Verteidigungsminister Ueli Maurer die Miliz zu einer kleineren, die Terrorismus oder Cyberangriffe abwehren soll.
Polen:Anders als in anderen Ländern ist der Wehretat 2014 um 20 Prozent gestiegen. Vor der Ukrainekrise sahen die Polen die Modernisierung der Armee kritisch. Die Regierung nutzte die Angst vor Russland und kündigte an, diverse Luft- und Raketenabwehrsysteme, Hubschrauber und Panzer zu kaufen.
Wer es im politischen Geschäft zu etwas bringen will, muss sich an eine Regel halten: Verfolge eine Vision – und unterfüttere sie mit den passenden Bildern. Thomas de Maizière, Sohn des einstigen Generalinspekteurs Ulrich de Maizière, stellte das Dienen in den Vordergrund. Er zeichnete von sich das Bild eines korrekten Aktenverwalters, ganz im Dienst seines Amtes. Unter ihm warb die Bundeswehr mit dem Slogan „Wir.Dienen.Deutschland“.
Die Ministerin sagt: Ich will eine Armee der Berater
Von der Leyen hat einen neuen Slogan hinzugefügt: „Aktiv.Attraktiv.Anders“. Kaum im Amt, feuerte sie zwei Staatssekretäre und zwei Abteilungsleiter und holte dafür Berater der Firma McKinsey ins Ministerium. Sie ließ sich erklären, wie die Rüstungsabteilung geführt werden müsste, und baute sie daraufhin um. Von der Leyen.Will.Viel. In den Kasernen ersetzt sie derzeit die militärtypischen Spinde durch Einbauschränke, verspricht freies Internet und mehr Kitas für die Kinderbetreuung. Jetzt, da die Ämter mit der Zahl der Flüchtlinge überfordert sind, schickt sie Soldaten ins Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und stellt 4.000 Bundeswehrmitarbeiter als „helfende Hände“ frei.
Anfang November hat sich die Bundeswehr auch einen neuen Werbeslogan zugelegt: „Mach, was wirklich zählt“. Für 10,6 Millionen Euro hat das Verteidigungsministerium die Düsseldorfer Firma „Castenow“ engagiert, die auch für McDonald’s und für Rewe wirbt. Sie hat 5,5 Millionen Postkarten bedruckt, 30.000 Plakate in zwölf Städten aufgehängt und präsentiert ihre Sprüche auch auf einer neuen Website und in sozialen Netzwerken. „Den Weg zu dir selbst findest du nicht in einer Running-App“, heißt es da, oder „Bei uns geht es ums Weiterkommen, nicht ums Stillstehen“. Sie wecken Interesse mit dem Kennenlernen der eigenen körperlichen und physischen Grenzen und mit Kameradschaft – doch in keinem der Videos auf der neuen Website wird auch nur ein Schuss abgefeuert. In dieser Woche hat deshalb auch ein Netzwerk von Aktionskünstlern, das „Peng-Kollektiv“, die Kampagne im Netz persifliert: „Mach, was zählt“, gleiche Aufmachung, fast gleiche Domain. „Wenn du deinen Mitmenschen helfen und die Gesellschaft wirklich voranbringen möchtest, ergreife einen sinnvollen Beruf“, heißt es da. Es folgt eine Auflistung, von Arzt/Ärztin, Krankenpfleger/in bis zur Arbeit mit Flüchtlingen.
Was genau ist das für eine Armee, die die Ministerin sich vorstellt? Was ist das für eine Bundeswehr, die man vorfindet, wenn man sich mit Soldaten trifft? Und wie passen diese beide Armeen mit dem Bild zusammen, das eine mehrheitlich kriegskritische Gesellschaft sich von ihr macht?
Auch wenn die Ministerin eine neue, moderne Bundeswehr will, wirbt sie beim Tag der offenen Tür mit alten Werten. Das, was die Soldaten tun, sei sinnvoll und ehrenhaft, obwohl das in der Bevölkerung vielleicht anders gesehen wird. Sie hebt den Finger und schiebt ihr Kinn nach vorne – wie so oft, wenn sie dem Gesagten Nachdruck verleihen will. „Unsere Soldaten sind auch am Horn von Afrika, um die Seewege vor Piraterie zu schützen“, sagt sie, und zieht dabei das Wort „unsere“ in die Länge. „Das heißt, dass unsere Bundeswehr und andere Nationen sicherstellen, dass die Schiffe der Welthungerhilfe auch ihren Weg nehmen können dorthin, wo Menschen hungern, damit diese Hilfe bekommen.“ Die rund 30 Soldatinnen und Soldaten blicken ins Publikum, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, während von der Leyen sie für den Kampf gegen das Hochwasser und die Seuche Ebola lobt.
Vielleicht fragen sich die Soldatinnen und Soldaten, wozu sie bei der Bundeswehr das Schießen lernen, wenn alles so freundlich sein soll in der Armee. Sie alle müssen Waffen bedienen können, auch die sogenannten zivilen Mitarbeiter, die an einem Auslandseinsatz teilnehmen. Denn wenn von der Leyen von einer Tätigkeit „rund um den Globus“ spricht, dann meint sie nicht Los Angeles oder Tokio, sondern Erbil oder Mogadischu.
Oder Rakka, Mossul, Kobani? Die Situation einer Armee kann sich schnell ändern. Nach den Anschlägen von Paris am 13. November, als Hollande von einem „Kriegsakt“ der Terroristen sprach und die Luftangriffe gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien ausweitete, stand eine Frage plötzlich im Raum: Was, wenn Frankreich die Nato um Hilfe bittet? Was, wenn es den Bündnisfall ausruft? Müssen dann auch deutsche Soldaten ran? Artikel 5 des Nato-Vertrags besagt: Ein Angriff auf einen Mitgliedsstaat ist ein Angriff auf alle.
Doch so weit geht Frankreich derzeit nicht. Es beruft sich, zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union, auf den EU-Vertrag, der die anderen Staaten dazu verpflichtet, „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“ zu leisten, die aber auch finanzieller Natur sein können. Ursula von der Leyen hat nun erklärt, das militärische Engagement der Deutschen in Mali ausbauen zu wollen und so Frankreich zu entlasten. Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Bundesregierung auch Tornados und mindestens ein Kriegsschiff nach Syrien schicken will.
Der Soldat sagt: In meinem Beruf geht es ums Kämpfen
Major Marcel Bohnert, 36 Jahre, ist ein sportlicher Mann mit Jungengesicht. Er weiß, warum Soldaten das Schießen lernen. 1997 ging er zu den Panzergrenadieren, der Truppengattung, die mit Fahrzeugen wie „Leopard“ oder „Marder“ ins Gefecht zieht. Er sah sich lange als einen Diplomat in Uniform. Dann war er in Afghanistan. „Ich verfalle der Illusion nicht mehr, die Bundeswehr sei ausschließlich eine Armee, die in humanitären Einsätzen ein Land stabilisiert“, sagt er.
Es ist ein Nachmittag im Juli, an einem der runden Plastiktische auf der Terrasse stoßen Männer im Offiziershemd mit Weißbier an. Bohnert setzt sich auf eine Bierbank am Rand. Hier, am Bundessprachenamt der Bundeswehr in Köln, studiert Bohnert Militär-Englisch. Der Sprachkurs ist Teil der sogenannten Generalstabsausbildung, in der eine neue Führungselite herangezogen wird. Er sieht jünger aus, als er eigentlich ist. „Mein Bild von einem Soldaten wandelte sich vor fünf Jahren, an einem Tag Mitte Oktober 2010“, sagt er. Da kam er zum ersten Mal nach Char Darah in der afghanischen Provinz Kundus.
Er wollte sich einen Außenposten ansehen, auf dem er bald 200 Soldatinnen und Soldaten führen sollte – sprich: entscheiden, in welche Gebiete die Soldatinnen und Soldaten als Nächstes vordringen, um dort Aufständische zu vertreiben. Das Lager war ein Schlammfeld, 200 mal 200 Meter, drum herum Sandsäcke. Draußen wartete der Tod, Straßenbomben, Selbstmordattentäter. So hat Bohnert es in Erinnerung. „Das war für mich ein absoluter Schock“, sagt er. „Ich hatte das Gefühl, die Soldaten leben im Gefecht. Für die war es Krieg.“
An diesem Oktobertag kam nachmittags ein Soldat auf der Bahre zurück ins Lager, ein Heckenschütze hatte ihm durch die Schulter geschossen. Ein anderer Soldat erzählte, wie er mit einer Handgranate nach dem Feind geworfen hatte. Die geweiteten Augen der Soldaten sagten Marcel Bohnert: Hier ist Krieg. „Ein Scheißkrieg, für den wir uns opfern, und niemand weiß, was hier eigentlich los ist. Gleichzeitig hatten die Soldaten aber das Gefühl, etwas sehr Wichtiges zu tun. Dieser Stolz“, erzählt Bohnert, „gemischt mit Zweifeln und der Hoffnung, dass das alles bald vorbei ist, dass sie endlich zurückkommen zur Frau.“ Zu diesem Zeitpunkt habe sein Vorgänger bereits etwa 25 verwundete Soldaten und ungefähr genauso viele wegen psychischer Probleme nach Hause schicken müssen.
Die Frage ist: Ändert sich die Bundeswehr gerade?
Manche Deutsche scheinenwieder gezeichnet vom Krieg. Sie erzählen von Sprengfallen und Heckenschützen. Vom Töten und vom Sterben. Und immer wieder sprechen sie von „PTBS“, von posttraumatischer Belastungsstörung: Stress nach der Erfahrung von größter Angst.
Soldaten, die etwa einen Anschlag erlebt haben, behalten die Bilder vor Augen, der Einsatz geht für sie in Deutschland weiter. Die Betroffenen können nicht mehr schlafen, sie werden aggressiv und schreckhaft. Das passiert vor allem dann, wenn sie nicht auf Extremsituationen im Einsatz vorbereitet wurden. Die Beamten im Ministerium haben lange gebraucht, bis sie erkannten, dass nicht alle Soldatinnen und Soldaten so aus ihrem Einsatz zurückkamen, wie sie loszogen.
Bohnert macht das wütend. Er will die Schönwetterpropheten in der Bundeswehr warnen. Das ist seine private Mission. Letztes Jahr hat er ein Buch herausgebracht: „Armee im Aufbruch: Zur Gedankenwelt junger Offiziere in den Kampftruppen der Bundeswehr“. Sechzehn Studenten der Politikwissenschaft, Geschichte und Pädagogik schreiben darin über ihr Soldatenbild in einer postheroischen Gesellschaft. Bohnert nennt das Buch ein Gesprächsangebot.
Für Bohnert ist klar, worum es in der Bundeswehr geht: ums Kämpfen. Und die Bundesregierung dürfe das nicht mehr verheimlichen. „Niemand wollte anfangs von Krieg sprechen. Man hat die Anschläge als Versehen gedeutet“, sagt er, „aber so eine Denke kann im schlimmsten Fall Tote verursachen.“
Auch Ursula von der Leyen will ein Buch herausbringen, in dem es um das Selbstbild der Bundeswehr geht. Als plötzlich der Krieg in der Ukraine ausbrach und IS-Kämpfer Mossul und Rakka eroberten, musste sie ihr Ziel, die Bundeswehr zu einem familienfreundlichen Arbeitgeber auszubauen, um ein weiteres ergänzen: Sie erklärte, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen sollte. Im neuen Weißbuch, einer Art Kompass dafür, wie man auf die Krisen der Zeit reagieren soll, will sie diese Ankündigung nun konkret werden lassen. Ende 2016 soll es fertig sein. Dass von der Leyen darin fürs Kämpfen wirbt, ist unwahrscheinlich.
Denn von der Leyen führt ihr Buchprojekt wie ein öffentliches Bauvorhaben – in einer „inklusiven Debatte“, an der sich nicht nur Wissenschaftler, Politiker, Militärs und einfache Bürger beteiligen. Von Anfang an sind auch das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium dabei und fordern, an einer gesamtheitlichen Strategie mitzuarbeiten, bevor der Bundestag über einen Militäreinsatz entscheidet.
Doch allein der Ort – ein schicker Saal im Hotel Steigenberger in Berlin – lässt erahnen, dass dieser Prozess relativ wenig mit der Welt von Major Marcel Bohnert zu tun hat. Sozialwissenschaftler der Humboldt-Universität und der Bundeswehr-Universität diskutieren dort über das Verhältnis zwischen Soldat und Gesellschaft. Sie denken über das Paradox nach, dass sich Menschen zunehmend unsicher fühlen, wenn mehr über Sicherheit gesprochen wird. Und statt der Gulaschsuppe, die bei fast allen Presseterminen der Bundeswehr und des Verteidigungsministeriums serviert wird, gibt es Garnelenspieße und Himbeertörtchen.
Von der Leyen will eine neue, moderne Bundeswehr, sagt sie. Eine, die straff organisiert ist wie ein Konzern. Soldatinnen und Soldaten sollen ihre Zeit nicht in den Kasernen in Deutschland verbummeln, sondern die Flüchtlingskrise managen oder im Ausland eingesetzt werden. Aber in erster Linie eben nicht in der Schlammzone, sondern als Profis, die die Spitzen der afghanische Armee schulen oder Peschmerga-Kämpfer an der Waffe ausbilden. Eine Armee, die sich dadurch stärker in die Vereinten Nationen einbringt, dass sie mehr Führungspersonal stellt. Man könnte auch sagen: eine Armee der Berater.
Und sie will eine Armee der humanitären Helfer. Eine, die mit 3.000 Soldaten im Ausland mit NGOs und Mitarbeitern des Auswärtigen Amts und des Entwicklungsministeriums zusammenarbeitet. Eine, die mit 6.000 Soldaten im Inland andere Behörden und Ehrenamtliche beim Registrieren und Unterbringen von Flüchtlingen entlastet. Vielleicht trägt die Ministerin auch deshalb so dick auf, weil sie nach Verbündeten sucht. Auf die Medien kann sie nicht mehr zählen: Als eine erneute Studie über das Sturmgewehr G36 ergab, dass sich sein Lauf bei Dauerfeuer verzieht und das Gewehr dann nicht mehr trifft, zweifelten die Journalisten sogar die Einsatzfähigkeit der Truppe an.
Die Frage, die sich stellt: Ist das Kämpfen wirklich der Kern des Soldatenberufs?
Munster ist ein 16.000-Einwohner-Städtchen in Niedersachsen. Hotels heißen hier „Grenadier“ oder „Deutsches Haus“, an der Rezeption sind Panzer in Miniaturgröße ausgestellt. Mehr als 7.000 Menschen arbeiten in Munster für die Bundeswehr. Am Kreisverkehr steht ein Schild mit einem Eisernen Kreuz, dem Symbol der Panzergrenadiere. Es führt zu ein paar flachen Häusern, von einem Zaun abgesperrt: dem größten Standort des Heeres der Bundeswehr. Hier war Bohnert vor seinem Afghanistaneinsatz stationiert. Hier werden die Soldatinnen und Soldaten ausgebildet, die später mit Panzern durch Kriegsgebiete fahren.
In einer halben Stunde Fahrt durch die Lüneburger Heide erreicht man den Truppenübungsplatz Munster/Bergen, einen der größten Europas, fast ein Drittel so groß wie das Land Berlin. Sümpfe und Kiefernwälder breiten sich hier aus. Unter manchen Bäumen ducken sich durchlöcherte Panzerwracks. Die Ketten der Fahrzeuge haben tiefe Furchen in den Boden gerissen. Seit mehr als 120 Jahren trainieren Soldaten hier ihren Einsatz.
An einer Lichtung haben sie ein Feldlager nachgebaut. Es ist umringt von einer Mauer aus Steinsäcken. Am Rand eine Tribüne, von der aus ein paar Soldaten den Kameraden zusehen, wie sie Panzer betanken, beladen und eine Patrouille zusammenstellen. In wenigen Tagen sollen sie das einer Klasse von Offiziersschülern vorführen.
Der größte Kampfeinsatz in der Geschichte der Bundeswehr hat auf dem Münsteraner Übungsplatz Spuren hinterlassen: Auf die Idee mit der Steinsackmauer kamen die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Der vierrädrige „Dingo“ mit der Schusswaffe auf dem Dach ist für den Afghanistaneinsatz entwickelt worden, auch der etwas kleinere „Eagle“ wurde dafür in neuerer Version ausgeliefert. Und der Panzer dort hinten an der Wasserstation ist sandfarben-grün-braun lackiert, in den Farben des Hindukusch, der Berge im Norden Afghanistans.
Aber bei nur einer der sieben Vorführungen, die sich die Offiziersschüler ansehen werden, geht es tatsächlich ums Kämpfen.
Major Marcel Bohnert bezeichnet den Afghanistaneinsatz in seinem Buch als „Feuertaufe“, die die Bundeswehr zu ihren militärischen Wurzeln zurückgeführt habe. Deutsche Soldatinnen blickten stolz und selbstbewusst auf den Afghanistaneinsatz zurück. „Afghanistan hat die Bundeswehr an ihre längst vergessene Mündigkeit erinnert“, sagt er.
Ist heute möglich, woran noch vor zwanzig Jahren keiner dachte – darf sich die Bundeswehr, die selten Armee genannt wird, wieder als Kampftruppe präsentieren? Wie kein anderer zuvor prägte der Einsatz am Hindukusch die Bundeswehr als Gesamtorganisation. Mehr als 135.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten waren seit 2001 in Afghanistan, mehr als 5.000 von ihnen sind in Gefechte geraten. Lange waren Veteranen aus der deutschen Gesellschaft verschwunden, nun sind sie wieder da. Von der Leyen muss mit diesen Kämpfern leben, sie kann nicht umhin, Afghanistanveteranen auch ins Ministerium zu holen. Ihr Adjutant Heico Hübner zum Beispiel war zuvor Kommandeur eines Ausbildungs- und Schutzbataillons in Afghanistan. Markus Kneip, heute Leiter der Abteilung Strategie und Einsatz, hatte zuvor das Kommando im Norden Afghanistans inne.
Wie viel Macht haben sie über die Ministerin? Von der Leyen spricht nicht so konsequent von Frieden wie ihre Vorgänger. Gerhard Schröder verweigerte eine Beteiligung der Deutschen am Irakkrieg. Die schwarz-gelbe Regierung enthielt sich in einer UNO-Abstimmung über eine Flugverbotszone und Luftangriffe über Libyen. Und sie? „Die Kriegsministerin“, titelte das Magazin Stern 2014, nachdem sie gemeinsam mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundespräsident Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine stärkere – auch militärische – Rolle Deutschlands in der Welt angemahnt hatte. Doch bislang hat sie noch keinen Einsatz befürwortet, in dem es ums Kämpfen geht.
Dennoch stellt sich aktuell die Frage, welche Rolle die Bundeswehr beispielsweise bei der Terrorbekämpfung spielen soll. Was, wenn Terroristen in Deutschland schießen? Wolfgang Schäuble schlug nach Paris vor, bei einem Anschlag die Bundeswehr auch im Innern einzusetzen. Die polizeilichen Fähigkeiten würden da nicht ausreichen. Es scheint, als würde sich eine Gesellschaft in Zeiten von Terror mit militärischer Präsenz sicherer fühlen.
Die deutsche Gesellschaft ist immer wieder Thema des Buchs „Armee im Aufbruch“. Marcel Bohnert rechnet darin mit ihr ab. „Viele Menschen hier wollen einfach Spaß haben am Leben, auch wenn ihr Konsum auf anderen Teilen der Erde Konflikte auslöst. Wenn es aber um die Lösung dieser Konflikte geht, wollen sie nichts davon wissen und machen einen auf Pazifismus“, sagt er. „Wenn die Gesellschaft nicht nachvollziehen kann, dass sie hier in Frieden lebt, weil wir auf einem anderen Kontinent diesen Frieden verteidigen – warum müssen wir dann ständig darum kämpfen, in der sogenannten Mitte der Gesellschaft zu stehen?“, fragt er. „Können wir nicht einfach auch am Rand sein?“
Es ist ein Sprengsatz, den er zündet mit diesen Worten, und mitten hineinwirft in die „Aktiv.Attraktiv.Anders“-Bundeswehr der Verteidigungsministerin von der Leyen. Bohnert stellt die Innere Führung infrage. Die definiert die Soldatin oder den Soldaten als Staatsbürger in Uniform mit der Pflicht, am politischen Leben teilzunehmen, sich eine Meinung zu bilden und nicht nur blind Befehle zu befolgen. Die Innere Führung wurde in den fünfziger Jahren aufgebaut, damit die Armee niemals wieder von Politikern instrumentalisiert wird oder ein Eigenleben entwickelt. In Afghanistan oder Somalia schätzen viele die deutschen Soldaten für ihre Zurückhaltung im Vergleich zu anderen Nationen und für ihr respektvolles Auftreten.
Bohnert will die Innere Führung nicht abschaffen, er glaubt aber, dass sie der Bundeswehr schade. „Die zivile Prägung in der Führung hat auch dazu geführt, dass Soldaten die Lage vor Ort beschönigt an ihre Vorgesetzten weitergegeben haben, weil sie Karriere machen wollten. Und die Soldaten an der Basis mussten das ausbaden“, sagt er.
In Afghanistan mussten die Soldaten gegen Regierungsgegner kämpfen, gleichzeitig die Herzen der Bevölkerung gewinnen und nebenbei noch eine Schule bauen. Ein Soldat müsse sich auf das konzentrieren können, wofür er ausgebildet sei, sagt Bohnert. Und das sei nun mal das Kämpfen. Um den Rest sollten sich das Auswärtige Amt und Entwicklungsorganisationen kümmern. „Die Bundeswehr braucht auch Leute, die nicht jeden Befehl diskutieren, sondern stattdessen fragen, ob sie noch mehr schleppen können.“ Es gebe, sagt Bohnert, eine Lücke zwischen der gelebten Kultur der Soldaten und dem Bild, das die Bundeswehr in ihren Hochglanzbroschüren vorgibt, beziehungsweise dem, das die Gesellschaft von ihr hat.
Auf dem Militärübungsplatz in Munster knallt es dumpf. Ein mit Tannenzweigen getarnter Panzer, gleich neben der Zuschauertribüne, hat gerade geschossen. Als die Kanonenkugel knapp drei Kilometer weiter vorne aufprallt, spritzt die Erde wie eine Fontäne. „Panzergrenadierbataillon auf Stellung“, dröhnt es aus dem Lautsprecher, der die Funkkommunikation der Soldaten überträgt. „Zugriff auf Seedorf!“ Seedorf ist eines der Dörfer, die auf der Hügellandschaft etwa 500 Meter vor der Tribüne aufgebaut sind. Plötzlich schieben sich dort vorne vier Panzer aus dem Wald, sie halten vor einem der Häuser. Vier Soldaten springen heraus und stürmen das Gebäude. Es knallt, während die Panzer in den Ortskern vordringen.
Nach etwa einer Stunde ruft ein Soldat: „Operation beendet!“
Sind die Ministerin und ihr Major wirklich so weit auseinander? Beide haben noch ein höheres Ziel vor Augen. Die eine will Kanzlerin werden, der andere General. Deshalb müssen beide auf sich aufmerksam machen: die Ministerin mit ihrer klinisch sauberen Konzern-Armee, die für jeden etwas bietet; der Major mit seiner Profikämpfer-Armee für die, die vor allem Soldat sein wollen. Von der Leyen hat ihn nie zurückgepfiffen. Im Grunde kommt er ihr gelegen. Zu einer modernen Bundeswehr gehört eben auch, dass sich Soldatinnen und Soldaten selbst zu Wort melden. Wenn noch dazu einer mit dem Kämpfen wirbt, dann muss das von der Leyen nicht selbst machen.
Es ist Mittwochvormittag dieser Woche, als sich Ursula von der Leyen vor die Fernsehkameras stellt. 650 Soldaten will die Ministerin nach Mali schicken, um Frankreich zu entlasten. Damit wäre Mali nach Afghanistan und dem Kosovo der drittgrößte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Ein Land, in dem vergangenen Freitag in einem Hotel Geiseln genommen wurden. 21 Menschen starben. Dieses Mandat, sagt von der Leyen, soll „sehr viel substanzieller in die Logistik und in die Aufklärung eintreten“. Logistik. Aufklärung. So sprechen auch Chefs von weltweiten Konzernen.
Julia Maria Amberger, 29, ist freie Journalistin. Sie hat erlebt, wie Freunde von ihr nach Afghanistan gingen – und am Ende mit Geschichten vom Krieg zurückkamen
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