Lukas Wallraff über Gewalt in Flüchtlingsunterkünften: Auch wir sind nicht perfekt
Schönreden hilft nichts: Natürlich gibt es immer wieder Schlägereien und Kriminalität in Flüchtlingsunterkünften. Und natürlich gibt es dann entsprechend negative Schlagzeilen. Weder das eine noch das andere kann ganz verhindert werden. Der beste Umgang mit dem Problem wäre ein bisschen mehr Gelassenheit. Man muss sich damit abfinden, dass nicht alles hausordnungsgetreu abläuft, wenn in wenigen Monaten mehrere Hunderttausend Menschen, darunter viele junge Männer, nach Deutschland kommen.
Wie sollte es auch anders sein? Müssten Hunderttausende eingeborene Deutsche, darunter viele junge Männer, übergangsweise auf engem Raum zusammenwohnen, würden sie sich auch kaum 24 Stunden streicheln und liebkosen. Wer das von Flüchtlingen erwartet, erwartet zu viel.
Sicher wäre es sinnvoll, mehr zu tun, um Gewalt vorzubeugen und möglichst viele Flüchtlinge in möglichst kleinen Unterkünften einzuquartieren. Wer aber von den Behörden verlangt, ganz auf große Heime zu verzichten und für alle Flüchtlinge sofort Einzelwohnungen zu finden, verlangt bei mehreren Tausend ankommenden Menschen am Tag auch von den Behörden zu viel.
So berechtigt die Klagen über offenkundige Missstände wie beim berüchtigten Lageso in Berlin auch sind: Eine perfekte Unterbringung wird es auch im perfektionistischen Deutschland niemals geben. Das dafür nötige Geld und Personal kann selbst Angela Merkel nicht auftreiben. Und im internationalen Vergleich scheint die Unterbringung ja auch nicht ganz so schlecht zu sein, sonst zöge es innerhalb Europas kaum die allermeisten Flüchtlinge weiterhin hierher.
Wer also über große Hallen klagt, müsste schon andere Orte nennen können, wo die vielen Menschen schlafen sollen. Sonst werden die lauten Klagen kaum zu Verbesserungen führen, sondern eher unabsichtlich den Eindruck verstärken, dass Deutschland überfordert ist.
Schwerpunkt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen