Auschwitz-Prozess in Neubrandenburg: Ex-SS-Sanitäter kommt vor Gericht
Die Anklage wirft Hubert Z. Beihilfe zum Mord in 3.681 Fällen vor. Der 95-jährige Mann ist eingeschränkt verhandlungsfähig.
Berlin taz | Trotz seines hohen Alters und einer geringen Belastbarkeit muss sich ein ehemaliger SS-Sanitäter demnächst vor Gericht verantworten. Dem 95-jährigen Hubert Z. aus dem Raum Altentreptow in Vorpommern wirft die Anklage Beihilfe zum Mord in 3.681 Fällen vor.
Das Landgericht Neubrandenburg, wo der Fall anhängig ist, hatte im Juni mitgeteilt, dass ein Hauptverfahren nicht eröffnet werden könne, da Z. verhandlungsunfähig sei. Grundlage dieses Beschlusses war ein amtsärztliches Gutachten, das dem Mann eine senile Demenz bescheinigte. Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft Schwerin erfolgreich Beschwerde beim Oberlandesgericht Rostock ein. Ein neues Gutachten attestiert dem Angeklagten zwar kognitive Beeinträchtigungen und geringe körperliche Belastbarkeit. Z. sei dennoch eingeschränkt verhandlungsfähig. Das Gericht könne durch Pausen und wiederholte Fragen seinen Zustand berücksichtigen.
Das Oberlandesgericht eröffnete damit die Hauptverhandlung, das Neubrandenburger Landgericht muss nun über die Terminierung des Prozesses entscheiden.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, als SS-Sanitäter im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau durch seine Tätigkeit dazu beigetragen zu haben, dass das SS-Personal handlungsfähig war und die Massenvernichtungen von Deportierten durchführen konnte.
Der Tatvorwurf der Beihilfe zum Mord in mindestens 3.681 Fällen ergibt sich aus den 14 Deportationszügen, die im Zeitraum des Einsatzes des Angeklagten in Auschwitz – 15. August bis 14. September 1944 – dort eintrafen. Die Todeszüge erreichten das Lager unter anderem aus Griechenland, Triest, Mauthausen, Wien und dem niederländischen Westerbork.
Damit dürften im nächsten Jahr mindestens zwei Prozesse gegen mutmaßliche Täter aus dem Vernichtungslager Auschwitz beginnen. In dem anderen Verfahren ist ein 93-Jähriger in Detmold angeklagt. Ihm wird Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen vorgeworfen. Ein ärztliches Gutachten hatte dem Angeklagten trotz Protests Verhandlungsfähigkeit attestiert.
Leser*innenkommentare
tillupp
Mein Mitleid für Nazies hält sich in Grenzen, aber was hätte ein 24 jähriger Sanitäter bzw. 22 jähriger der von Nazis indoktriniert war denn in einem Monat (15. August bis 14. September 1944) an Unrecht erkennen können. Kannten sie den Inhaftierungsgrund der Ankömmlinge? Waren Sie an der Entscheidung zur Deportation beteiligt? 2x Nein, wahrscheinlich nicht! Das einzige was man beiden Männern vorwerfen muss ist, dass sie so alt geworden sind. Wie hätten die Beiden sich denn verhalten sollen, nachdem sie dort im Lager einmal angekommen ist. Als Whisleblower hätte man sie erschossen, als Deserteur hätte man sie erschossen und wenn sie damals Menschen zur Flucht verholfen oder das Leben erleichtert hätten, würde man ihnen heute sowieso nicht mehr glauben. Macht einen Strich drunter und lasst den Greisen ihre Alpträume. Wegen Rechtsbeugung sollte man die Juristen der 60-er-Jahre anklagen, die damals bekannte Haupttäter NICHT systematisch verfolgt haben. An dieser Stelle empfehle ich den Film "Der Staat gegen Fritz Bauer".
Ricky-13
@tillupp "Der Staat gegen Fritz Bauer" - ein sehr guter Film, der zeigt, dass die Regierung Adenauers nicht an einer Aufklärung und an einer Verfolgung der Nazigrößen interessiert war. Es ist aber immer noch so, damals wie heute: Die Großen lässt man laufen und die Kleinen will man hängen. Wir hatten ja sogar mal einen Bundeskanzler mit einer NS Vergangenheit in den 1960ziger Jahren, wo sich auch kaum einer drüber aufgeregt hatte. Dass man jetzt einem 95jährigen Greis den Prozeß machen möchte, ist schon etwas merkwürdig. Sie haben das schon richtig kommentiert. Ich habe auch immer bei solchen Prozessen mit halbtoten Gespenstern aus der dunklen Vergangenheit Deutschlands das Gefühl, dass mal wieder ein Prozeß inszenieren möchte, damit man die eigentlichen Probleme, die wir in unserer Jetztzeit haben, nicht angehen muss.