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Geestland: Datenschutz geht andersDer gläserne Flüchtling

Die niedersächsische Stadt Geestland will eine Karte für Flüchtlinge einführen, auf der von den Gesundheitsdaten bis zu den Asylakten alles gespeichert werden soll.

Recht auf Datenschutz? Geflüchteter bei ärztlicher Untersuchung Foto: Marijan Murat/dpa

HAMBURG taz | Auch nördlich von Bremerhaven will man einmal Vorreiter sein: Als vor knapp drei Wochen der Bund ankündigte, eine „Flüchtlingskarte“ einführen zu wollen, war man in der Stadt Geestland schon weiter. Eine „Refugee Identification Card“ soll dort jedem Flüchtling ausgehändigt werden und Gesundheitsdaten und behördlichen Akten zusammenführen: Vom Krankenschein über Arztbriefe, Schuhgröße, Fingerabdrücke bis zu den Unterlagen für das Asylverfahren.

Während Bürgermeister und privater Anbieter von einer „Hilfeleistung“ und „praktischen Lösung“ sprechen, schlagen die Flüchtlingsräte Alarm: Sie befürchten die Schaffung eines „gläsernen Flüchtlings“.

„Es werden keine Daten gespeichert, die nicht heute auch schon gespeichert werden“, sagt Geestlands Bürgermeister Thomas Krüger (SPD). Nur die Schnelligkeit der Verarbeitung ändere sich. Datenschutz sei von Anfang an bedacht worden. Aber: „Man muss sich entscheiden, was man will und abwägen“, so Krüger. Die Situation, dass so viele Flüchtlinge nach Deutschland kämen, hätte es so noch nie gegeben. „Da muss man auch Kompromisse eingehen.“ Man solle nicht immer gleich das Negative unterstellen, die Karte solle auch eine schnellere soziale Teilhabe ermöglichen.

Entwickelt wurde die Idee mit dem Buchholzer Unternehmen „Ordermed“, das bereits Erfahrungen mit Datenlösungen für den medizinischen Bereich hat. Zunächst sei es um eine Kommunikationshilfe und Lösung für die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen gegangen. Daraus habe sich die „Refugee Idendification Card“ entwickelt: „Im Grunde ist es das System, dass in ganz Deutschland die Probleme lösen könnte.“

Bei Deutschen werden auch keine Daten zusammengefasst

Kai Weber, Flüchtlingsrat Niedersachsen

Bislang müssen in den meisten Bundesländern Flüchtlinge vor einem Arztbesuch beim Amt eine Kostenübernahme beantragen. Nur die Behandlungen akuter Krankheiten werden bezahlt.

In Bremen, Hamburg und, seit Kurzem, auch Nordrhein-Westfalen wurde dies anders gehandhabt: Bei dem sogenannten „Bremer Modell“ erhielten Flüchtlinge eine Krankenkassenkarte, sie gingen wie alle anderen zum Arzt, die AOK bekam für die Verwaltung der Abrechnung eine Pauschale.

Mit der „Refugee Identification Card“ will Geestland nun mehr. Damit verbunden sei auch eine „elektronische Flüchtlings-Akte“. Erstmal sei ein „digitaler Datenaustausch zwischen allen staatlichen Ebenen sowie allen Akteuren im Gesundheitswesen möglich“, heißt es auf der Website. Drei bis fünf Euro soll die Karte pro Stück kosten. Mit einem Pin sollen Behörden, Ärzte und der Flüchtling selbst verschiedene Bereiche in einem Internet-Portal erreichen können. Die Karten für Geestlands 350 Flüchtlinge werden derzeit bereits produziert und sollen noch in diesen Jahr ausgehändigt werden.

Auf der Website wirbt das Unternehmen auch damit, dass die Karte helfe, das Asylverfahren zu beschleunigen. Ein Versprechen, bei dem Marc Millies vom Bremer Flüchtlingsrat von einer „Täuschung“ spricht: Nicht die Verfügbarkeit von Dokumenten, sondern die Überlastung der Behörde verlangsame das Verfahren. Er verweist auf den repressiven Charakter der deutschen Gesetzgebung gegenüber Flüchtlingen. Die Krankenkassenkarte in Bremen sei auch eingeführt worden, um Stigmatisierungen zu vermeiden: „Flüchtlinge sollten gerade mit der gleichen Karte zum Arzt gehen wie ihre Nachbarn“, so Millies.

„Wir haben einen Haufen an Fragen“, sagte auch Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. „Es ist eine Verletzung des Datenschutzes, wenn ein privater Anbieter massenhaft Daten sammelt.“ Wie Millies verweist er auf das funktionierende Bremer Modell. „Bei Deutschen werden auch keine Daten zusammengefasst“, sagt Weber. „Ich frage mich, inwiefern Datenschutz überhaupt berücksichtigt wurde“.

Der Flüchtlingsrat habe deshalb die niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte um eine Prüfung gebeten. Deren Sprecher Michael Knaps erklärte, die Karte werde derzeit bewertet. Aber: „Wir sind eher skeptisch.“ Probleme sieht er etwa bei der Frage, ob die Datenspeicherung freiwillig verlaufe: „Es setzt immer eine informierte Einwilligung voraus“, so Knaps. „Bei Flüchtlingen klappt das vielleicht nicht immer“, so seine Einschätzung.

Grundsätzlich müsse technisch sichergestellt sein, dass etwa das Einwohnermeldeamt nicht auf die Gesundheitsdaten zugreifen könne. „Das wäre unrechtmäßig“, so Knaps. „Gesundheitsdaten gehören zu den sensibelsten Daten überhaupt.“

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