piwik no script img

Die WahrheitDas Phantompaket

Kolumne
von Eugen Egner

Irgendetwas stimmt nicht mit dem Präsent für die Dame, die sich mit keinem Sterbenswörtchen meldet, ob es ihr gefällt oder nicht …

I ch wurde allmählich unruhig. Nach fast zwei Wochen gab es noch immer keinerlei Reaktion von Hulda Pfeiftrichter-Gleichrichter. Dabei hatte ich erwartet, dass sie sich unmittelbar nach Empfang meines Pakets entzückt melden würde. Bei dessen Inhalt handelte es sich immerhin um ein nicht unbedeutendes Präsent. Selbst ich als ein überdurchschnittlich verständnisvoller und entgegenkommender Mensch lief allmählich doch Gefahr, mich gekränkt zu fühlen.

Als dann gar drei Wochen ohne ein Sterbenswörtchen von Frau Pfeiftrichter-Gleichrichter vergangen waren, fühlte ich mich in der Tat gekränkt. Laut der von mir durchgeführten Sendungsverfolgung hatte sie mein Paket bereits erhalten, mithin handelte sie moralisch verwerflich. Und ich hatte mir eingebildet, sie empfände etwas für mich! Ich war ohnehin schon zutiefst enttäuscht von der menschlichen Spezies im Allgemeinen, und nun beging auch noch diese Frau, von der ich dergleichen niemals erwartet hätte, solchen Verrat an mir.

In meinem, wie ich fand, durchaus berechtigten Unmut erzählte ich Freunden und Bekannten davon. „Eine von mir originalsignierte sechsbändige Jean-Paul-Gesamtausgabe habe ich ihr geschickt, und die blöde Kuh reagiert gar nicht darauf“, rief ich anklagend. Ich erwartete Verständnis und Solidarität, doch stattdessen sahen mich vielmehr alle verständnislos an und behaupteten, nicht zu wissen, wovon ich redete.

Als hätten sie sich hinter meinem Rücken verschworen, leugneten sie sämtlich, je von einer Person mit einem so albernen und abgeschmackten Namen wie Hulda Pfeiftrichter-Gleichrichter gehört zu haben. Es kam sogar so weit, dass mir eine alte Bekannte versicherte, ich hätte ihr meine Jean-Paul-Gesamtausgabe vor Jahren mit den Worten überlassen, ich könne „das selbstgefällige Geschwätz nicht mehr lesen“. Weil ich dies als absurd zurückwies, trat sie umgehend den praktischen Beweis an und zeigte mir die Bücher. Sie waren es!

Verunsichert beschloss ich, der Sache weiter auf den Grund zu gehen. Dabei musste ich feststellen, dass es weder eine Person mit dem allerdings sehr albernen Namen Hulda Pfeif­trichter-Gleichrichter noch die Adresse gab, an die ich mein Paket geschickt zu haben glaubte. Das war zweifellos noch toller als der Fall, den ich bislang für den tollsten gehalten hatte: Ein von mir verschicktes Postpaket war nicht beim Empfänger angekommen, woraufhin sich dieser an das zuständige Postamt gewandt und dort die Auskunft erhalten hatte, die Sendung sei samt Zustellfahrzeug spurlos verschwunden. Eine Woche später war das Paket dann als Retoure zu mir zurückgekommen.

Doch wie harmlos nahm sich das aus im Vergleich mit meinem Jean-Paul-Gesamtausgabe-Paket an Hulda Pfeiftrichter-Gleichrichter! Ich gelangte nach und nach zu der Überzeugung, schon vor mehr als zehn Jahren gestorben zu sein. Wenn ich dies gelegentlich im Freundes- und Bekanntenkreis äußerte, erntete ich damit kein einziges Mal Widerspruch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen