Clichy zeigt: Die Politik der „inneren Sicherheit“ ist gescheitert: Repression produziert Gewalt
Die Hauptleidtragenden der Gewalt in Clichy-sous-Bois sind die Einwohner selbst. Sie leben in einem der zahlreicher werdenden Teile Frankreichs, die von Elend und Vernachlässigung gezeichnet sind. Ihre Wohngebiete sind soziale Randzonen, in denen sich Armut, Arbeitslosigkeit und Ausweglosigkeit konzentrieren. Ethnische Ghettos, in denen Einwanderer und ihre Nachfahren abseits der Mehrheitsgesellschaft zusammengepfercht leben. Rechtlose Räume, in denen mafiose Strukturen für „Ordnung“ sorgen. Kulturelle Wüsten, aus denen selbst die Kinos verschwunden sind.
Die Antwort der Regierung in Paris auf diese Lage ist Repression. Seit ihrem Amtsantritt im Sommer 2002 hat sie viel Geld und Personal in diesen Politikbereich investiert und neue Gesetze verabschiedet. Dazu gehört die Einführung von kurzen Prozessen gegenüber jugendlichen Straftätern, der Bau zusätzlicher Gefängnisse und geschlossener „Erziehungseinrichtungen“ sowie eine Verstärkung der Polizei – dem einzigen Kontaktpunkt mit dem Staat, den die Vorstadtbewohner haben.
Seit Innenminister Nicolas Sarkozy angetreten ist, die „innere Sicherheit“ in Frankreich zu erkämpfen, sind die zeitlichen Abstände zwischen den Ausbrüchen städtischer Gewalt – in Straßburg, Toulouse und jetzt in Clichy-sous-Bois – immer kürzer geworden. Die kleineren Delikte wie Diebstähle in den Innenstädten mögen tatsächlich zurückgegangen sein, wie es die allmonatlich veröffentlichten Kriminalstatistiken sagen. Aber das Leben der sozial Schwachen in den Vorstädten hat sich gleichzeitig verschlechtert. Das gilt vor allem anderen für deren Sicherheit. Die Politik des „tout sécuritaire“ ist gescheitert.
Wer nicht nur die Gewalt eindämmen, sondern grundsätzlich etwas tun will gegen den tiefer werdenden Graben zwischen den Wohngebieten der Etablierten und den Ghettos der Vorstädte, kann sich nicht auf Polizei- und Justizmaßnahmen beschränken. Dazu ist anderes nötig: Arbeitsplätze etwa, ein soziale und ethnische Mischung in den Wohnbezirken und gleicher Zugang zur Kultur für alle. DOROTHEA HAHN
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