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Warum nur, warum?

Sterbehilfe Ohne Not und ohne Mandat will der Deutsche Bundestag heute eine schärfere Beihilfe-zum-Suizid-Regelung beschließen. Gut ist das nicht

Wolfgang Borrs
Heike Haarhoff

ist gesundheitspolitische Redakteurin der taz und beschäftigt sich bevorzugt mit bioethischen Kontroversen. Sie ist Herausgeberin des Buchs „Organversagen. Die Krise der Transplantationsmedizin in Deutschland“, das 2014 im Frankfurter Referenz-Verlag erschien.

Deutschland im Jahr 2021: Vor der Großen Schwurgerichtskammer des Oberlandesgerichts der Stadt A. muss sich der Hausarzt B. verantworten. Er soll zwischen 2016 und 2019 drei krebskranken Patienten auf deren expliziten, schriftlich verbrieften Sterbewunsch hin einen tödlichen Medikamentencocktail überlassen haben, den die Patienten dann selbstständig einnahmen. „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“, so lautet die Anklage, nach Paragraph 217 Strafgesetzbuch zu ahnden „mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren“.

Der Hausarzt bestreitet, wider das Gesetz gehandelt zu haben, das der Bundestag sechs Jahre zuvor, Anfang November 2015, verabschiedet hatte. Vielmehr habe er seine Patienten über Jahre begleitet, ihr Leiden gekannt und auch die Ausweglosigkeit, die sie empfanden. Er, der Hausarzt, habe ihnen geholfen, so zu sterben, wie sie es sich gewünscht hätten. Das Leben hätten sie sich sowieso genommen, sagt der Arzt, aber weil er ihnen Medikamente zur Verfügung stellte, mussten sie sich zumindest nicht vor einen Zug werfen. Dreimal sei das vorgekommen, und dennoch sei jeder Fall individuell gewesen. Von planmäßiger Wiederholung oder Geschäftsmäßigkeit im Sinne des Gesetzes könne keine Rede sein.

Selbstbestimmung kriminalisiert

Bis wohin ist der assistierte Suizid eine legale Hilfe, ab wann eine strafbare Handlung? Genau diese Grenzziehung wird in Deutschland künftig die Gerichte beschäftigen. Eine der intimsten Fragen, die Selbstbestimmung über das eigene Lebensende, wird kriminalisiert – und damit zum Fall für die Strafjustiz, öffentlich verhandelt, staatsmoralisch bewertet. Und das ist keine groteske Übertreibung, das ist real.

Dann jedenfalls, wenn an diesem Freitag tatsächlich derjenige Gesetzentwurf zur Neuregelung der Sterbehilfe im Deutschen Bundestag eine Mehrheit bekommen sollte, dem die größten Erfolgsaussichten zugeschrieben werden: der Entwurf der interfraktionellen Gruppe um die Abgeordneten Kerstin Griese (SPD), Michael Brand (CDU), Harald Terpe (Grüne) und Kathrin Vogler (Linke). Er will jede Beihilfe zum Suizid, sobald sie auf Wiederholung angelegt ist, mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestrafen – egal ob sie von Angehörigen, Ärzten oder Sterbehelfern geleistet wird. Andere Abgeordnete halten ein Strafmaß von fünf Jahren für angemessen. Das ist nicht bloß eine Abkehr vom bisher geltenden Recht, wonach die Suizidhilfe straffrei ist. Es ist eine Kapitulation vor der Mündigkeit aufgeklärter Menschen.

Und: Es ist ein Wertangriff auf den säkular-pluralistischen Staat, der den unterschiedlichen Einstellungen seiner Bürgerinnen und Bürger zu Tod und Sterben mit Neutralität zu begegnen hat. Es steht diesem Staat nicht zu, eine individuelle Entscheidung wie den Suizid und die Inanspruchnahme von Beihilfe hierzu zu bewerten – oder gar zu beschränken. Und doch droht er diesen Weg an diesem Freitag einzuschlagen.

Die Forderung nach Strafverschärfung hat prominente Befürworter: Unter den 270 – von insgesamt 630 – Abgeordneten, die den Entwurf bereits unterschrieben haben, sind die Kanzlerin und die Fraktionschefs von CDU/CSU, SPD und Grünen. Unterstützung erhalten sie von großen Teilen der Kirchen – und dem Präsidenten der Bundesärztekammer.

Warum? Möchte man bestürzt fragen. Warum erwägt das Parlament ernsthaft, das Volk, das zu vertreten es gewählt wurde, ohne Not – und vor allem: ohne Mandat – in Freiheit und Autonomie zu beschneiden? Es gibt im Fall der Suizidhilfe keinen Grund zur staatlichen Einmischung. Es gibt weder empirische Hinweise auf massenhafte Fehlentwicklungen, die ein Gegensteuern rechtfertigen würden. Noch gibt es Rufe nach mehr Staats-Paternalismus aus der Bevölkerung.

Im Gegenteil: Drei Viertel der Deutschen verbitten es sich laut Umfragen, gesetzlich vorgeschrieben zu bekommen, wie sie sterben dürfen – und wie nicht. Dazu kommen die Warnungen von 140 Strafrechtswissenschaftlern, die die beabsichtigte Strafverschärfung für verfassungswidrig halten. Sowie die Mahnungen mehrerer medizinischer Fachgesellschaften, die eine Kriminalisierung der Ärzte prognostizieren – und eine damit einhergehende schlechtere Patientenversorgung und steigende Zahl brutaler Verzweiflungssuizide.

Viele Bundestagsabgeordnete erreichen derlei Einwände nicht. Einige womöglich aus Ignoranz – noch in dieser Woche wussten manche Parlamentarier nicht, worüber genau sie abstimmen und erzählten, sie hätten Angst davor, dass die aktive Tötung von Menschen, in Deutschland seit jeher verboten, zur Regel werde. Andere pflegen offenbar – unabhängig vom Sachverhalt – ein tiefes, grundsätzliches Misstrauen gegenüber Menschen, die über sich selbst bestimmen wollen – und reagieren mit Überregulierung. Im gesundheitspolitischen Bereich, etwa bei der Bekämpfung von Übergewicht, äußert sich dieser Kontrollwahn dann in gezielten Anreizen zur Verhaltensänderung, oder, wie jetzt bei der Suizidhilfe, durch rigide Verbote. Beide Maßnahmen zielen darauf, anderen die eigenen Moralvorstellungen aufzuzwingen.

Status quo, bitte

Der säkular-plura­listische Staat hat den ­Einstellungen mit ­Neutralität zu begegnen

Im Fall der Suizidhilfe ist die Bevormundung noch zu verhindern: dann nämlich, wenn die Parlamentarier sich der Freiheit der Bürger besinnen und mehrheitlich beschließen, kein Gesetz zu machen. Möglich ist das. Die beiden Gruppen um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linkspartei) sowie Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) haben angekündigt, spätestens im dritten Wahlgang mit ihren Nein-Stimmen das Gesetz der Strafverschärfung scheitern lassen zu wollen. Ihre eigenen, möglicherweise liberal gemeinten Gesetzentwürfe wären damit auch verloren.

Aber das ist nicht schlimm: Ihr Ansinnen, per Bundesgesetz mehr Rechtssicherheit für Ärzte zu schaffen, die ihren Patienten beim Suizid helfen wollen, war unter Verfassungsrechtlern aus Kompetenzgründen umstritten.

Zwei Jahre Debatte, um am Ende nichts zu beschließen? Um den Status quo zu erhalten? Warum nicht. Der Freitag wäre damit noch keine ­Sternstunde des Parlaments. Er wäre bloß die Abwendung einer parlamentarischen Ungeheuerlichkeit in letzter Minute. Heike Haarhoff

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