: Die großen Seen
Festival „Afrikamera“ zeigt junges afrikanisches Kino und stellt die Region rund um den Lake Kivu in den Mittelpunkt
von Carolin Weidner
„Greedy Gladys“ sitzt auf einem Podest, vor ihr stehen zwei Eimer: in einem Reis, in dem anderen marinierte Hähnchenstücke. Die schwere Frau beginnt zu essen. Händeweise stopft sie sich das Zeug in den Mund. Während der Prozedur verzieht sie keine Miene, starrt ernst und etwas furchteinflößend vom Podest herab auf einen Pulk von Menschen, der sie anfeuert und mit Geldscheinen bewirft. Gladys sagt, hier, in der République de Côte d’Ivoire, der Elfenbeinküste, fühle sie sich manchmal an ein Liberia früherer Zeiten erinnert. Wo die Bauern Teile ihrer Felder verkauft hätten, um abends mit Tänzerinnen auszugehen.
Es ist ein merkwürdiges Land, das Philippe Lacôte in seinem Spielfilm „Run“ zeigt, die Elfenbeinküste der Jahre 2002 bis 2007, wo verschiedenste politische und militärische Herde schwelten und das auch jetzt nicht zur Ruhe gekommen ist. Eine gewisse Schrägheit ist aber wohl auch Hauptprotagonist Run geschuldet, den Regisseur Lacôte bei einer Flucht begleitet (er hat den Premierminister erschossen), die gespickt ist von Erinnerungen an die Vergangenheit. Gladys ist solch ein Funken. Sinnlich und selbstbewusst nimmt sich die professionelle Esserin des Jungen an, der bei einer Opferzeremonie nicht bereit gewesen war, seinen Meister zu enthaupten. Denn eigentlich wollte Run Regenmeister werden.
Das ist ein wunderbar stussiger Plot, weil er sich leichtfüßig über die ein oder andere Konvention hinwegsetzt. Doch zeugen seine unterschiedlichen, immer wieder auf Run zeigenden Module von großem Kinogespür und vielleicht hat das sich einstellende Gefühl von Chaos und Skurrilität doch auch eine Menge mit dem westafrikanischen Staat zu tun.
Gladys jedenfalls ist eine Figur des Festivals Afrikamera, die man so schnell nicht vergisst. Vom 10. bis zum 15. November ist das Festival im Kino Arsenal zu Gast und gibt Einblick in junges afrikanisches Filmschaffen.
Die Aufmerksamkeit richtet sich auf Fiktionales wie Nonfiktionales, Kurzes wie Langes, mit Hauptfokus auf die Region rund um den Lake Kivu in Zentralafrika, durch den die Grenze Ruandas und der Demokratischen Republik Kongo verläuft. Dabei verschmelzen, ähnlich wie im episodenhaften „Run“, die kurzen Formen nicht selten zu einem Kaleidoskop auf Spielfilmlänge.
Beispielsweise in „Congo in Four Acts“. Seine vier Teile erzeugen in der Gesamtheit ein recht desolates und beunruhigendes Bild: „Ladies in Waiting“ von Dieudo Hamadi dokumentiert den Alltag in einer Entbindungsstation, wo es aufgrund strikter Bürokratie zu bizarren Situationen kommt – vielen Müttern ist es wegen offener Rechnungen nämlich nicht vergönnt, den Ort überhaupt zu verlassen. Als Folge dessen ist ein reger Warenstrom auszumachen, der einseitig in die Büroräume der Station fließt. Frauen hinterlassen Schmuck, auf einem Schreibtisch ist eine klobige Stereoanlage aufgebaut.
„Zero Tolerance“ von Divita Wa Lusala ist derweil einem Verbrechen auf der Spur. In der Nacht wurde eine Frau von zwei Jugendlichen überfallen, die sie geschlagen und sexuell misshandelt haben. „Zero Tolerance“ bringt alle Parteien zusammen, mitsamt einem streng religiösen Vater, der die Misshandelte als Hexe für das Unglück seiner Familie verantwortlich macht.
„Symphony Kinshasa“ führt hingegen in die kongolesische Hauptstadt mit ihren über zehn Millionen Einwohnern, fixiert aus dem Boden strebende elektrische Leitungen und eine allenfalls unzureichend vorhandene Infrastruktur.
Den Charakter einer Zusammenführung besitzt auch Jim Chuchus „The Stories of Our Lives“, das unter Mitwirken des in Kenia beheimateten queeren Kunstkollektivs The Nest entstanden ist. „The Stories of Our Lives“ erzählt, gänzlich in Schwarz-Weiß, die Geschichten zahlreicher junger LGBTIs (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und Intersexual). Es sind stilisierte Kurzfilme, auf Interviews basierend, die das Kollektiv aus ganz Kenia zusammengetragen hat. Kuss und Restriktion liegen hier Kraft ihrer Filmbilder nie weit voneinander entfernt.
Afrikamera: 10.–15. 11., Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, Programm: www.afrikamera.de
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