: Es ist ihm egal, wie Leute sich fühlen
Musik Adam Butler alias Vert macht doch lieber wieder ein Album, als einen Roman zu schreiben. Die Songs auf „The Days Within“ schwanken und rumpeln wie Seemannsshantys
von Elias Kreuzmair
Nein, „The Days Within“ ist kein Roman geworden. Der führt vorerst ein Leben in der Schublade von Adam Butler alias Vert. Dabei hat der Wahlberliner viel Zeit damit verbracht, diesen Roman zu schreiben, um sich dann wieder auf das zu besinnen, wofür er als Künstler bekannt ist: Musik zu machen, Songs zu arrangieren und Songtexte zu schreiben.
Das ist deshalb einer besonderen Erwähnung wert, weil Butler vor sechs Jahren verkündet hatte, genau das nicht mehr zu machen. Aber der Reihe nach: Butler fängt Mitte der 1990er unter dem Pseudonym Vert an, maßgeblich von Drum ’n’ Bass und HipHop beeinflusste elektronische Musik zu produzieren. 1999 veröffentlicht er, noch von Großbritannien aus, beim legendären Kölner Label Sonig unter dem Titel „The Köln Konzert“ einen Remix von Keith Jarretts „The Koln Concert“. Dann zieht er in die Stadt und wird Teil der Szene um das Label.
Der nächste Meilenstein in Butlers Karriere ist die Veröffentlichung von „Some Beans and an Octopus“ im Jahr 2006. Wieder hört es sich ziemlich anders an als alles, was Butler vorher gemacht hat. Er schreibt jetzt Texte und singt, der Sound des Albums ist vom Ragtime inspiriert. Stilwechsel sind bei Butler Strategie und innere Notwendigkeit, wie er sagt: „Ich kann mich nicht immer nur auf eine Sache konzentrieren. Das langweilt mich.“
Nach einem weiteren Remix-Album – dieses Mal eines kompletten italienischen Jazzfestivals – und einer Zeit in New York langweilt Butler sogar die Sache an sich. Es soll vorbei sein mit der Musik, beschließt er: „Alles, was ich musikalisch machte, strengte mich an. Da dachte ich: Okay, screw it! Ich höre auf.“ Jetzt sollte es also ein Roman werden.
Stellt sich die Frage: Warum hat er wieder angefangen? Erstens: Weil er nicht anders konnte. Im Rückblick wenig überraschend merkte er: „Man kann nicht einfach sagen, ich höre jetzt auf. Das funktioniert nicht.“ Zweitens: Weil der Tod seines Vaters, der Amateurmusiker und Geigenbauer war, ihn an die Musik als Teil seiner persönlichen Geschichte erinnerte.
Also nahm Butler einige Fäden wieder auf, die er nach „Some Beans and an Octopus“ liegen gelassen hatte. „The Days Within“ ist kein Ragtime-Album. Aber man merkt, dass der gleiche Künstler am Werk war, man hört die Faszination für schräge, kaputte Sounds: „Ein einfacher, gerader Sound wäre nichts für mich. Es ist authentischer, instabil zu sein.“ So klingt das Album auch: Die Songs kommen schwankend und rumpelnd wie Seemannsshantys daher. Sie sind ausgefeilte Arrangements aus Geklapper, Bass und Gepolter, Geschnipse und Geklacke, Zischen und Piepen, die jede Welle mit einer Mischung aus Zuversicht und leisem Heimweh nehmen. Zwischendurch vernimmt der Reisende sehnsüchtiges Geigenspiel.
Diese Geigen mögen eine unbewusste Reverenz vor seinem Vater sein, der vor seinen musikalischen Eskapaden tatsächlich Seemann war und dessen Foto als junger Mann das Albumcover ziert. Doch auch Butler sieht sich als Reisender fern von der Heimat: „Ich bin Expat. Da ist Heimweh sehr präsent.“ Melancholie ist für den Briten – und hier steht er in einer langen Tradition – aber auch Ausgangspunkt künstlerischer Produktivität. So verwundert es nicht, dass Reflexionen über die Zeit und das Älterwerden auch die Texte des Albums durchziehen, in denen Butler immer neue Bilder und Geschichten erfindet: „He declares independence from time“, heißt es in „Dog Days“ oder „I was shanghaied in the prime of my live“ in „A Little Learning“.
Das will Butler aber nicht als Reaktion auf seine persönlichen Erlebnisse verstanden wissen. Er ist niemand, der seine Gefühle in Songs verpackt. Wenn eine Verbindung zum Tod seines Vaters besteht, dann über die Musik. „Ich interessiere mich nicht mehr dafür, wie sich Leute fühlen. Ganz ehrlich: Es ist mir scheißegal.“ Vielmehr versucht er an kleinen Beispielen die Strukturen hinter den Ereignissen und Gefühlen herauszuarbeiten. Vielleicht ist sein Sound deswegen so brüchig, immer kurz vor dem Zusammenbrechen: weil in diesen prekären Momenten die Strukturen sichtbar werden, die alles zusammenhalten.
Obwohl erklärter Melancholiker und auch wenn er sich seiner Endlichkeit hochbewusst ist, interessiert sich Butler, Anfang vierzig, also nicht für den Blick in die Vergangenheit: „Älter werden ist menschlich. Ich möchte nicht so tun, als wäre ich 18.“ Lieber ist er neugierig darauf, was noch kommt. Schließlich habe jedes Alter seine Vorteile und bringe Neues. Möglicherweise auch die Veröffentlichung des Romans.
Vert: „The Days Within“ (Shitkatapult), heute Abend Release-Konzert im Acud Macht Neu, 20 Uhr
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