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Stille Ekstase

Ausstellung Bitte das Schaf nicht kraulen: Das Düsseldorfer Museum Kunstpalast entdeckt den delikat sinnlichen spanischen Maler Francisco de Zurbarán

Francisco de Zurbarán: „Agnus Dei“, 1639 Foto: Museum Kunstpalast Düsseldorf

VON Regine Müller

Aufrecht, das Kreuz zwischen den Vorderhufen, den Kopf umgeben von einer Gloriole: So kennt man Darstellungen des Lamms Gottes aus der Kunstgeschichte als stilisiertes Symbol für Christus und seine Passion. Bei Francisco de Zurbarán aber ist das Lamm Gottes nichts als ein veritables Lamm. Ergeben und reglos liegt es da vor dunklem Bildhintergrund, die schmalen Hufe zusammengebunden zur Schlachtung. Man glaubt, das säuerliche Schaf­aroma zu riechen, und das weiche Fell ist so aufreizend haptisch gemalt, dass man versucht ist, es zu berühren. „Bitte das Schaf nicht kraulen!“, habe er seine Mitarbeiter bei der Hängung scherzhaft ermahnt, berichtet Beat Wismer, Kurator der Ausstellung und Generaldirektor des Düsseldorfer Museums Kunstpalast.

Drei Versionen des Lamms haben Wismer und sein Team für die Schau zusammengetragen, aber nur eines ist betitelt mit „Agnus Dei“ und geziert mit der feinen Sichel eines nur angedeuteten Heiligenscheins, die anderen Bilder sind lapidar „Schaf mit zusammengebundenen Hufen“ genannt. Das mitleiderregende, demütige Schaf war eines der Erfolgsmotive aus der Werkstatt Francisco de Zurbaráns, des fast ausschließlich auf religiöse Themen und christliche Motive konzentrierten Zeitgenossen von Velázquez und Murillo, der zu seinen Lebzeiten ähnlich erfolgreich und berühmt war wie seine Kollegen, dann aber in Vergessenheit geriet.

Er war der Maler der Gegenreformation, aber er entwickelte große Virtuosität

Nun aber werden seine sehr eigenen Qualitäten wiederentdeckt. Im vergangenen Jahr war im Brüsseler Bozar eine erste große Retrospektive von Zurbarán zu sehen, nun folgt das Düsseldorfer Museum Kunstpalast mit 71 Exponaten, die vor allem aus Spanien, aber auch aus Südamerika zusammengetragen wurden. Nur fünf Bilder von Zurbarán hängen verstreut in deutschen Museen, eines davon – ein heiliger Franziskus – im Museum Kunstpalast, das Beat Wismer den Anstoß gab, die aufwendige Schau mit jahrelanger Vorbereitungszeit zu realisieren. Als Fußnote ergänzte sein Team die Werkschau mit acht betörend sinnlichen Stillleben aus dem Schaffen von Zurbaráns Sohn Juan, den mit noch nicht dreißig Jahren die Pest dahinraffte und der die Menschen aus seinem kleinen Werk ganz ausklammerte.

Auch der Vater ist häufig mehr an Oberflächen und ganz buchstäblich am Stofflichen interessiert als an Menschen. So unerhört sinnlich nämlich, wie er Lammfelle malte, brachte er auch kostbare Stoffe auf die Leinwand und machte aus Mönchskutten in allen erdenklichen Schattierungen zwischen Weiß und Grau Landschaften der Askese. In einem Raum, der in Düsseldorf für die Heiligen reserviert ist, steht die heilige Casilda in einem Fantasiegewand da – das Zurbarán tatsächlich nicht der Mode abschaute, sondern in seiner bizarren Pracht selbst entwarf –, als wolle sie gleich eine Bühne betreten. Die starre Brokatrobe scheint zu knistern, unzählige Perlen und Edelsteine schmücken die reichen Borten, der Körper der Heiligen ist fast vollständig verhüllt. Die weiße Hand, mit der sie die Robe rafft, ist, verglichen mit der Tiefenschärfe der stofflichen Pracht, seltsam flach gemalt, ebenso das reglose Gesicht, das dem Betrachter halb zugewandt ist. Doch die Augen blicken am Betrachter vorbei ins Leere.

Immer herrscht auf seinen Bildern eine seltsame Stille, als sei die Zeit angehalten

Diesen leeren und zugleich konzentrierten, ins Nichts oder in den Himmel sich richtenden Blick teilt die heilige Casilda mit Zurbaráns Heiligen, Mönchen und Madonnen, mit wehrhaften und duldenden Figuren. Immer herrscht auf Zurbaráns Bildern eine seltsame Stille, die Dramatik Caravaggios – dessen raffinierte Lichtregie Zurbaráns Vorbild gewesen sein dürfte – ist ihnen fremd, die brausende Bewegung und Körperlichkeit seiner (früh-)barocken Kollegen weicht bei Zurbarán einer meditativen, entrückten Ruhe, als habe jemand die Zeit angehalten.

Fast immer schälen sich Zurbaráns Figuren aus einem kaum definierten, dunklen Hintergrund, scheinbar aus dem Nichts mit skulpturaler Plastizität heraus, erst bei sehr genauem Hinschauen entdeckt man angedeutete, archaische Landschaften. Die längste Zeit seines Lebens arbeitete der 1598 in der Estremadura geborene Maler an religiösen Motiven und hielt sich dabei streng an die Regeln der Inquisition. Zurbarán war der Maler der Gegenreformation, doch innerhalb der Regeln entwickelte er eine unerhörte Virtuosität und Dichte. Seine wie nach innen leuchtenden und in ihrer delikaten Sinnlichkeit unübertroffenen Bilder entwickeln ihre Ausdrucksintensität gerade durch ihre Distanz zu allzu praller Expression.

„Santa Casilda“, ca. 1635 Foto: Museum Kunstpalast Düsseldorf

Der späte Zurbarán malt dann gelegentlich auch häusliche Szenen, die kindliche Jungfrau Maria etwa, die bei frommer Lektüre einnickt, das pummelige Jesuskind, pausbäckige Wolken­engelchen: Bei allem nicht verlernten malerischen Geschick wirken diese späten Bilder seltsam süßlich auch in ihrer ins Rötliche tendierenden Palette.

Auf vertrautem Terrain aber kam er doch wieder in Fahrt: Die große Kreuzigung, in Düsseldorf auf Rioja-roten Wänden prominent platziert, die den nach oben gerichteten Blick des Gekreuzigten wie mit einem Scheinwerfer beleuchtet fokussiert, ist von magischer Intensität. Erstaunlich und rätselhaft auch das seltsame Bild von 1660, das nur als erstaunlich selbstbewusste Selbstreferenz des sonst Bescheidenen zu lesen ist: Zurbarán malt erneut eine Kreuzigung und platziert davor einen heiteren Lukas als Maler mit einer Palette in der Hand.

Bis 31. Januar, Museum Kunstpalast, Düsseldorf, Katalog 39,90 bzw. 49,90 Euro

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