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Flüchtlingsrats-Chef über Unterbringung„Aufnahme sinnvoller organisieren“

Behörden definieren Flüchtlinge als Belastung, nutzen Unterkünfte zur Abschreckung und wollen Selbsthilfe verhindern, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.

Flüchtlinge müssen ins Zeltlager, selbst wenn in der Nachbargemeinde Wohnungen leer stehen Foto: Philipp Schulze/dpa
Interview von Andreas Wyputta

taz: Herr Weber, allein in Niedersachsen leben Tausende Flüchtlinge in Zelten. Tut das Land genug für die Menschen, die bei uns Schutz suchen?

Kai Weber: Die Beamten bemühen sich wirklich. Trotzdem sollte selbstverständlich sein, dass Anfang November niemand mehr in unbeheizten Zelten leben muss. Doch dazu muss die Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge sinnvoller organisiert werden.

Inwiefern?

Täglich bekommen wir Post von Menschen, die schon länger bei uns leben und die jetzt Verwandte oder Freunde, die auf der Flucht sind, aufnehmen wollen. Absurd ist: Sie dürfen das nicht.

Im Interview2Inews: Kai Weber

54, ist seit 25 Jahren beim Flüchtlingsrat Niedersachsen und arbeitet dort als Geschäftsführer. In Asyl-Initiativen hat er sich schon als Student engagiert.

Warum nicht?

Weil unser Staat auf eine gleichmäßige „Verteilung“ der Flüchtlinge auf die Bundesländer setzt und wohl aus Abschreckungsgründen weiterhin daran festhält, dass Asylsuchende regelmäßig in „Gemeinschaftsunterkünften“ untergebracht werden sollen. Allerdings sind die Erstaufnahmen und Notunterkünfte seit Wochen völlig überfüllt – schließlich bitten ­jeden Tag 1.000 Menschen allein in Niedersachsen um Schutz.

Was geschieht mit ihnen?

Die Menschen müssen warten und warten. Aktuell dreht sich alles um Verteilungsquoten: Es gibt Flüchtlinge, die kommen etwa in Bayern an und könnten dort bei Freunden oder Verwandten unterkommen. Das dürfen sie aber nicht, weil Bayern seine Aufnahmequote übererfüllt. Als kommen sie nach Niedersachsen. Weil hier die Erstaufnahmen überfüllt sind, kommen sie in ein Notaufnahmelager. Dort sollen sie von mobilen Teams erfasst werden. In manchen Fällen mussten Flüchtlinge aber sechs Monate warten, bis sie überhaupt registriert wurden – und erst dann steht das Asylverfahren an.

Und wie lange dauert das?

Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz Bamf, ist überfordert. Aktuell werden vor allem Menschen aus Syrien und dem Irak bevorzugt angehört. Wer aus Somalia stammt, muss zwei, manchmal auch vier Jahre warten, bis klar ist, wie es weitergeht.

Vier Jahre Ungewissheit?

Das ist quälend und belastend, klar. Doch auch während dieser Zeit bleibt das System absurd: Aus den Notaufnahmelagern wird streng nach Quote weiter verteilt. Dabei achtet jede Kommune peinlich genau darauf, nicht zu viele Schutzsuchende aufzunehmen. Das führt dazu, dass etwa im Landkreis Gifhorn in einer Gemeinde Wohncontainer aufgestellt werden, obwohl ein paar Kilometer weiter Wohnungen leer stehen. Und: Selbst aktiv werden, also etwa zu Freunden ziehen und sich dort Hilfe suchen, dürfen Flüchtlinge nach der Verteilung auf die Kommunen erst recht nicht.

Mit welcher Begründung?

Weil die Aufnahme von Flüchtlingen behördlicherseits als „Belastung“ definiert ist, die gleichmäßig zu verteilen ist. Die Behörden sehen in Flüchtlingen eine große, ungeordnete Masse, die es zu kanalisieren gilt. Auf die Idee, dass Flüchtlinge sich selbst helfen können, kommen sie gar nicht. Auch wer auf eigene Faust einen Job gefunden hat und für sich sorgen kann, darf nicht einfach in eine eigene Wohnung ziehen.

Gibt es überhaupt genug Wohnungen?

In Regionen wie Hannover ist der Markt natürlich sehr eng. Deshalb muss der soziale Wohnungsbau nicht nur für Flüchtlinge massiv angeschoben werden, sondern auch für Studierende, Alleinerziehende – für alle, die es schwer haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Allerdings: Die 480 Millionen Euro, die etwa in Niedersachsen dafür zur Verfügung stehen, reichen längst nicht aus: Damit können gerade einmal 6.000 Wohnungen gebaut werden.

Und wie steht es um Sprachkurse und Hilfe bei der Jobsuche?

Auch hier gibt es keine konsequente Linie, auch hier schwankt das Bundesinnenministerium zwischen Integration und Repression. Privilegierte Gruppen, aktuell aus Syrien, dem Irak, dem Iran und Eritrea, werden während des Asylverfahrens zu Integrationskursen zugelassen und haben damit Zugang zu Sprachkursen. Menschen aus Afghanistan dagegen werden ausgeschlossen.

Wieso?

Weil CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maizière wieder nach Afghanistan abschieben lassen will. Ich halte das für haarsträubend, für absolut skandalös: Kunduz wird überrannt, Schulen, die die Bundeswehr mit aufgebaut hat, werden zerschossen – doch die Menschen, die bei uns Schutz gesucht haben, sollen wieder dorthin zurück. Deshalb will ich mir nicht vorstellen, dass Niedersachsen dabei mitmacht.

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