: Die Spur der Steine
GEDENKEN Vor 80 Jahren kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Berlin erinnert daran mit einer Vielzahl von Ausstellungen, Diskussionsrunden und Projekten
■ Unter den über einhundert Projekten des Gedenkjahres befinden sich viele bemerkenswerte Ideen. Eine subjektive Auswahl:
■ Von 1939 bis 1945 unterhielt das Arbeitsamt an der Kreuzberger Fontanepromenade 15 die „Zentrale Dienststelle für Juden“. Eine „künstlerische Intervention“ mit gelb gestrichenen Parkbänken, einem gelben Zebrastreifen, aber auch mit Filmen, Musik und Fotos soll das vergessene Gebäude wieder ins Gedächtnis rufen.
■ SchülerInnen aus Weißensee haben in langwieriger Arbeit nach jüdischen Nachbarn geforscht und dabei Lebensläufe für eine Wanderausstellung rekonstruiert. In der Katholischen Akademie in der Hannoverschen Straße wird die Ausstellung ab 17. März zuerst zu sehen sein.
■ Schon 1931 versammelten sich Hunderte Nazis auf dem Ku’damm, um dort antisemitische Parolen zu grölen und Angst und Schrecken zu verbreiten. Studentinnen der FU haben eine Audio-Tour entwickelt, die dieses recht unbekannte Ereignis antisemitischer Gewalt vor 1933 vor Ort nachvollziehbar macht.
■ Unter stolpersteine-berlin.de sind seit Montag sämtliche der kleinen Denkmäler online zu verorten. Biografien, Bilder der NS-Opfer und ausführliche Begleittexte machen die Seite zu einer beeindruckenden Materialsammlung. (jöw)
VON JÖRN WEGNER
Zum 80. Mal jährt sich am 30. Januar der Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. „Machtübernahme“ nannten die Nazis den folgenden Prozess der Vernichtung der Weimarer Demokratie. Sie wollten suggerieren, sie hätten die Regierungsgewalt in einem illegalen Akt, aber aus eigener Kraft übernommen.
Klaus Wowereit ist sichtlich bemüht, den Begriff zu vermeiden. Am Montagmittag stellt er das Konzept für das Gedenkjahr 2013 vor am Pariser Platz im Max-Liebermann-Haus, dort wo der Maler den Fackelmarsch der Nazis beobachtete und das mit seinem berühmt gewordenen Spruch vom „Fressen und Kotzen“ kommentierte. Wowereit benutzt statt Übernahme lieber „Machtübergabe“, das besser umschreibt, wie einfach es die wirtschaftlichen und politischen Eliten der NSDAP 1933 gemacht haben, den Weimarer Staat zu vernichten.
Berlin wird das Gedenkjahr mit einer Vielzahl von Ausstellungen, Projekten und Gedenkveranstaltungen gestalten. „Wir wollen deutlich machen: Wie konnte das geschehen? Aber auch: Wie geht es weiter?“, sagt der Regierende Bürgermeister dazu. Ziel des Erinnerungsprogramms sei es, die Geschichte der Menschen erlebbar zu machen. „Ihr seid nicht vergessen“, so Wowereit. Zentral sei die Frage, wie gesellschaftliche, politische und kulturelle Vielfalt zerstört werden konnte und wie sie heute gerade im bunten Berlin geschützt werden kann.
„Zerstörte Vielfalt“ ist folgerichtig der Name des Themenjahrs und auch der zentralen Ausstellung des Deutschen Historischen Museums zum Thema. Die Schau im Pei-Bau soll „Neugier wecken“ und dazu animieren, „die Stadt zu erkunden“, sagt Alexander Koch, Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum.
Christine Fischer-Defoy, die Vorsitzende des Vereins Aktives Museum Faschismus und Widerstand, sitzt neben Klaus Wowereit und erzählt vom langsamen Werden des Gedenkjahres. Schon im Jahr 1983 war die Historikerin an Versuchen beteiligt, ein zentrales Gedenken im damaligen Westberlin zu gestalten. Der Senat habe sich damals aber gegen offizielle Veranstaltungen gewandt. „Es hat gedauert, bis das Gedenken zu einem politischen Selbstverständnis geworden ist.“ 2009 nahm Fischer-Defoy an einem Treffen zur Ideenfindung für ein Gedenkjahr 2013 teil.
KLAUS WOWEREIT
Wer das Programm des Gedenkjahrs betrachtet, stellt fest, dass der Mangel an Zeitzeugen, die Geschichte subjektiv erlebbar machen könnten, spürbar wird. Zahlreiche digitale Projekte ersetzen nun Führungen und Diskussionen mit ihnen, vor allem im Schulunterricht. Ein Projekt möchte Lebensläufe von Berlinern sammeln – bevor es zu spät ist.
Dass die Zerstörung der Vielfalt damals mit dem Erhalt selbiger heute zusammengedacht werden soll, betonen auch Fischer-Defoy und Koch. Konzepte zur Geschichtsarbeit mit Jugendlichen aus Einwandererfamilien gibt es trotzdem nicht. „Was nicht ist, kann ja noch werden“, meint Moritz van Dülmen von der mitorganisierenden Kulturprojekte GmbH dazu.
Das Gedenkjahr werden zahlreiche Einrichtungen, Verbände und Projekte gestalten. Bezirksämter beteiligen sich genauso wie der DGB, Stiftungen oder Kunstprojekte. Den Auftakt wird eine Open-Air-Ausstellung bestreiten: Ab dem 30. Januar werden auf Litfaßsäulen beispielhafte Biografien von NS-Opfern dokumentiert. Die Schau soll an mehreren Orten in Berlin zu sehen sein. Eine Auswahl dieser Säulen ist schon jetzt auf dem Pariser Platz aufgebaut.
■ Genaues Programm im Netz unter www.berlin.de/2013
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