Abflug der Kraniche aus Brandenburg: „Regelrechte Aufbruchstimmung“
Ihr Gesang macht glücklich, sagt Naturschützer Norbert Schneeweiß: Derzeit sammeln sich tausende Kraniche nordwestlich von Berlin für ihre Reise in den Süden.
taz: Herr Schneeweiß, mein Sohn fragte mich neulich beim Parkspaziergang, was das für ein großer, grauer Vogel da auf dem Ast sei. Ich schwanke noch immer zwischen Reiher und Kranich. Sie als Vogelexperte wissen doch sicherlich: Was haben wir gesehen?
Norbert Schneeweiß: Höchstwahrscheinlich einen Graureiher. Wo waren Sie denn genau unterwegs?
An der Panke, im Pankower Bürgerpark.
Ja, ja, alles Graureiher dort. Der Kranich sucht sich seine Nahrung lieber auf weiten Ackerflächen: Getreide, Mais vor allem. Aber im Zweifel warten Sie einfach, bis der Vogel auffliegt. Wenn der Hals im Flug s-förmig abknickt, ist es ein Reiher. Wenn er lang ausgestreckt ist, ein Kranich.
Jahrgang 1960, arbeitet in der Naturschutzstation Rhinluch des Brandenburger Landesamts für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz. Er ist außerdem in der Arbeitsgemeinschaft Kranichschutz Rhin-Havelluch aktiv.
Die letzten Kraniche ziehen in den nächsten Tagen von ihrem Sammelplatz in Brandenburg weiter nach Süden in ihre Winterquartiere. Jetzt ist der Sommer endgültig vorbei. Traurig, wenn Sie die ziehenden Vögel beobachten?
Mich stimmt es im Gegenteil regelrecht euphorisch, wenn sich die Kraniche sammeln. Ich mag ihre trompetenartigen Rufe und wie sie sich dabei manchmal stundenlang, von den warmen Aufwinden getragen, in die Luft schrauben und dort oben kreisen. Das hat etwas sehr Freudiges und Erwartungsvolles, man spürt da eine regelrechte Aufbruchstimmung unter den Vögeln. Übrigens kann man das Trompeten der Kraniche auch in der Stadt gut hören.
Ach ja?
Wenn man halbwegs ruhig wohnt und nachts die Fenster offen lässt, kann man sie hören. Klar, wenn Sie sich an die, sagen wir, Prenzlauer Allee stellen, hören Sie natürlich nichts – außer es ist Nebel.
Was ändert sich bei Nebelwetter?
Linum Rund um das Dorf im Landkreis Ostprignitz-Ruppin befindet sich im Herbst einer der größten Kranichrastplätze Mitteleuropas. Die Niedermoorlandschaft des Rhinluches ist quasi eine Tankstelle für die Zugvögel auf dem Weg in ihre südlichen Winterquartiere. Auf den abgeernteten Maisfeldern in der Umgebung finden die Tiere viel Nahrung. Zugleich gibt es viele Feuchtwiesen. Zum Schutz vor Fressfeinden schlafen die Kraniche im knietiefen Wasser.
Die Kranichsaison des Nabu-Naturschutzzentrums geht noch bis Sonntag. Es gibt Führungen zum abendlichen Ausflug und morgendlichen Einflug der Kraniche. Genaue Uhrzeit erfragen, telefonische Anmeldung erforderlich: (03 39 22) 5 05 00. Die Biologin und Kranichexpertin Kristina Hühn bietet ebenfalls Führungen an: www.kraniche-linum.de. (taz)
Bei Nebel fliegen die Kraniche tief, manchmal nur auf fünfzig Meter Flughöhe, weil sie sich auch an Bodenstrukturen orientieren. Da hört man sie dann auch über den Straßenverkehr hinweg trompeten.
Der Kranich gilt als Glücksbringer. Wieso eigentlich?
Da gibt es mehrere Ansätze in der Mythologie, vor allem war der Kranich für die Menschen früher auch ein Frühlingsbote, wenn er aus seinem Winterquartier zurückkam: Er ließ auf Licht und auf Wärme hoffen. Mich macht vor allem sein Gesang glücklich.
Ein Glücksfall ist der Kranich jedenfalls für den Tourismus in Brandenburg. Zu den Kranichwanderungen, die der Naturschutzbund in Linum, einem kleinen Dorf nordwestlich von Berlin, organisiert, kommen an den Herbstwochenenden Tausende von Schaulustigen.
Der Kranich ist ein Wirtschaftsfaktor für die Region geworden, das stimmt. In Linum sammeln sich jedes Jahr bis zu 130.000 Kraniche an den umliegenden Seen. Das sieht schon spektakulär aus, da kommen die Reisebusse inzwischen auch aus dem Ausland, um das zu sehen. Und da hat sich natürlich auch ein Angebot drumherum entwickelt. In Linum kann sich im Herbst kein Gastwirt leisten, dichtzumachen. Da rollt der Rubel.
Ist so viel Tourismus denn auch ein Glücksfall für die Kraniche?
Leider nicht immer. Die Vögel reagieren an ihren Ruheplätzen sehr empfindlich, sie haben eine Fluchtdistanz von unter 300 Metern. Ganz schlimm: Heißluftballons im Tiefflug. Dann gehen mitunter gleich Zehntausende Tiere in die Luft.
Sieht dann bestimmt noch toller aus.
Ja, aber die Tiere müssen sich Fettreserven anfressen, bevor sie dann bis zu 1.000 Kilometer am Stück weiterfliegen zu den nächsten Rastplätzen nach Mittelfrankreich.
Geben Sie unseren LeserInnen einen Tipp: Lieber die Sonntagmorgenexkursion und gucken, wie die Kraniche zu ihren Futterplätzen aufbrechen, oder ausschlafen und beobachten, wie sie abends zurückkommen?
Die Morgenstimmung ist schon sehr schön. Aber wenn Sie dem Trubel in Linum ein bisschen entgehen wollen: Es gibt zum Beispiel im Bucher Forst, an den Lietzengrabenwiesen, Beobachtungskanzeln, von denen man die Vögel auch ganz hervorragend sehen kann, ohne sich dabei gegenseitig auf die Füße zu treten.
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