Feierabend Die Fleete in der Hamburger Altstadt sind ein beliebtes Revier für Straßenangler. Unsere Autorinnen sind ihnen nachgegangen: Ein Fisch auf die Schnelle
von Kathrin Dröppelmann und Julia Lerch-Zajączkowska
„Ja, es gibt hier Fische!“ – „Nein, sie beißen heute nicht!“ – „Doch, essen kann man die auch.“ – „Stimmt, man braucht einen Angelschein!“
Diese Antworten sind auf Pauls T-Shirt abgedruckt. Er geht angeln. In der Stadt. Gleich bei ihm um die Ecke, zwischen Wohnhäusern, Büros und Geschäften. Dass er da mit seiner Angel steht, scheint viele Passanten zu irritieren. Regelmäßig bleiben Leute stehen und stellen ihm Fragen, woraufhin er sich, eher ironisch, dieses T-Shirt besorgt hat.
In der Hamburger Altstadt oder dem, was von diesem „Alt“ noch übrig geblieben ist, offenbart sich eine Landschaft aus Wasser: die Fleete, die die Gegend zwischen Binnenalster und Elbe durchqueren. Barkassen schippern Touristen durch die engen Wasserwege, Rudervereine passieren sie auf ihrem Weg von der Außenalster zur Elbe. Hier und da liegen Schuten im Wasser, Fleetenkieker, auf denen Unrat und Müll lagert, der aus dem Wasser gefischt wurde.
Am Rande der Fleete entdecken wir vereinzelt Männer, die fischen. Sie stehen hier und dort an den Geländern, die das Wasser von den Ufern trennen, mitten im Rausch und Gewusel der innerstädtischen Betriebsamkeit. Dann ziehen sie weiter. Wir hinterher.
Zwei Männer richten sich gerade mit Angel und Fischernetz auf einer kleinen Treppe ein, deren zehn Stufen hinab in das Wasser des Alsterfleets führen. Auf dem Rücken tragen sie Rucksäcke.
Einige Meter weiter steht ein Angler direkt vor der Schaartorschleuse, die das Alsterfleet von der Elbe trennt. Seine Angelrute lehnt am Geländer. Seinen Rucksack und den Köderkoffer hat er auf einer Parkbank hinter sich abgestellt. Da kommt gerade ein junger Typ um die Ecke spaziert, nur mit seiner Angelrute und Bauchtasche ausgestattet. Sie begrüßen sich und tauschen sich kurz aus. Er stellt sich neben ihn ans Geländer und wirft seine Rute aus. Nach etwa zehn Minuten zieht er einen kleinen Fisch aus dem Fleet. Er löst ihn vom Haken und wirft ihn zurück ins Wasser, verabschiedet sich und zieht weiter.
Auf einer Steintreppe an der Stadthausbrücke, die hinab zum Herrengrabenfleet führt. Zwei junge Männer sind hinter das Absperrgitter, das die Treppe von der Brückenunterführung trennt, geklettert und stehen nun direkt im Schatten unter der Stadthausbrücke und fischen. Zwei junge Frauen schauen ihnen durch die Streben der Absperrung dabei zu.
Wieder am Alsterfleet steht erneut ein Angler kurz vor der Schaartorschleuse. Er hat seine Angel weit ausgeworfen, nun lehnt die Rute am Geländer, er steht daneben und schaut aufs Wasser. Wir setzen uns ein paar Meter entfernt von ihm auf den Boden und beobachten den Ort:
Vier Boote liegen im Wasser, als hätte sie jemand hier vergessen. Im ruhigen Wasser des Alsterfleets wiegen sie hin und her. Im regelmäßigen Fünf- Minuten- Takt übertönt die vorbeiratternde U-Bahn den Donner des Verkehrs der vierspurigen Straße, die sich über die nicht weit entfernte Slamatjenbrücke zieht. An der Unterseite der Brücke spielt ein wirres Schattenspiel, das Wasser fließt langsam vorbei. Das Rauschen der darüber liegenden Straße produziert einen dumpfen Bass, der sich durch den Echoeffekt unter der Brücke noch verstärkt. Ein modriger Geruch zieht sich von der einen zur anderen Seite der Unterführung. In der Ferne kann man die glitzernden Fenster der Elbphilharmonie sehen.
Am gegenüberliegenden Ufer steht ein weiterer Angler. Er ist über das Geländer geklettert, an das er sich nun anlehnt, die Angel weit ausgeworfen. Hinter ihm steht eine Frau mit Kinderwagen. Sie scheinen zusammenzugehören. Am Kinderwagen hängt ein Kescher. Er gibt den starken Mann, sie schaut ihm beim Angeln zu. Nach etwa zehn Minuten gehen sie weiter. Sie überqueren die Brücke über der Schaartorschleuse und wechseln auf die andere Uferseite. Sie spazieren am Fleet entlang, während er seine Rute neben sich im Wasser herzieht. Am Geländer vor der Slamatjenbrücke machen sie einen weiteren Halt. Er wirft erneut die Rute aus.
Wir fragen uns, warum die Angler, die wir bisher gesehen haben, von einer scheinbaren Ungeduld getrieben sind, sich nicht lange an einem Fleck aufhalten, sind erstaunt über die vermeintliche Planlosigkeit ihrer Vorgehensweisen. Als würde sie gar nicht beabsichtigen, tatsächlich zu angeln, sich dieser Beschäftigung länger zu widmen. Ganz beiläufig werden die Ruten mal hier, mal da ausgeworfen, bevor die Angler dann nach wenigen Minuten weiterziehen.
Die, die uns bisher begegnet sind, stehen an den Ufern, auf Treppen und Brücken. Sie gehören zu einer speziellen Gruppe von AnglerInnen, sind mobil und flexibel, ihre Ausrüstung ist minimal, und so ziehen sie von Ort zu Ort. Zu Fuß durch die Stadt.
Von der Ellerntorbrücke aus sehen wir ein junges Paar (sie dürften etwa Anfang 30 sein), das die Treppe herunterkommt. Er hat eine Angel dabei. Beide sehen sportlich aus, sind leger gekleidet. Er stellt sich ans Ufer des Herrengrabenfleets und wirft sogleich die Rute aus, sie hockt sich neben ihn auf den Boden. Sie sprechen kaum miteinander, er schaut immer wieder auf sein Telefon. Wir beobachten sie eine Weile und sprechen sie dann an:
„Entschuldigung, worauf angelst du denn hier?“
„Auf Barsch, da beißt aber gerade nichts.“
„Und woran liegt das?“
„Ich vermute mal, das liegt am Wetter. Gestern war es sehr warm und heute haben wir zehn Grad weniger, da sind die Fische irritiert.“ Je wärmer es ist, desto höher schwimmen die Fische. Wenn es ganz kalt ist, sind sie ganz weit unten am Grund, weil da das Wasser am wärmsten ist. Aus dem Grund fischt man im Winter auch nur sehr selten etwas.“
Die beiden wohnen in Stade. Er kommt jedoch gerne nach Hamburg, um zu angeln, da es die vielen Fleete und Spots gibt, wo man sich problemlos hinstellen kann. Er angelt meist mit einem Freund. Immer wenn er nach Hamburg fährt, hat er die Angel mit im Auto und kann so flexibel, wenn es die Zeit erlaubt, in der Innenstadt angeln gehen.
„Streetfishing nennt man diese Art des Fischens. Da hat man nur eine minimale Ausrüstung dabei. Halt so, dass man bequem mehrere Spots ablaufen kann. Und die meisten Streetfisher angeln mit unterschiedlichen Gummiködern.“
„Und die anderen AnglerInnen? Die sind doch auch in der Stadt, oder?“
„Generell kann im Hamburger Stadtgebiet zwischen drei Typen unterschieden werden. Das wären zum einen die Universalangler, die haben viel Ausrüstung dabei, sodass sie auf verschiedene Zielfische angeln können. Etwas zum Sitzen, zwei Ruten, die können auf Pose angeln, aber auch rausschmeißen, also passiv und aktiv den Fisch suchen. Und dann gibt es noch die Karpfenangler, die würde ich mal von den normalen Angler unterscheiden.“
„Was ist bei den Karpfenanglern so besonders?“
„Das ist eine eigene Welt. Die sind richtig uniformiert. Als würden sie auf Jagd gehen. In Gummistiefeln und Tarnkleidung. Die trifft man an der Außenalster, dort füttern sie die Karpfen an, tagelang. Manche von ihnen übernachten da sogar in Zelten und lassen sich dann von elektronischen Bissanzeigern nachts wecken, wenn was beißt.“
„Und dann?“
„Ja, und dann wird versucht, den Karpfen rauszuholen. Das muss ein ganz schöner Drill sein, Karpfen sind kampfstark. Ich glaube, darum geht es den Karpfenanglern, um diesen Kampf beim Rausziehen. Die bezeichnen sich selber als die Soldaten unter den Anglern, das hab ich mal irgendwo gelesen. Die Fische mit nach Hause nehmen, das machen die wenigsten, weil die Karpfen so einen modrigen Geschmack haben.“
„Und du bist Streetfischer?“
„Meistens ja. Aber einmal im Jahr fahre ich auch zum Stintfang nach Altengamme. Da ist dann die Hölle los. Da steht ein Angler neben dem anderen. Die Stinte kommen im Frühjahr die Elbe runter, zwischen Februar und April. Wann die Fische da sind, lässt sich nicht so genau vorhersagen. Das ist auch so ziemlich das einzige Mal, dass ich mich online über das Angeln informiere. In den Blogs wird nämlich von anderen Anglern berichtet, wenn Stinte gesichtet wurden.“
„Und dann kommen alle angefahren ...“
„Ja und holen einen Stint nach dem anderen aus dem Wasser. Da braucht man eine Tageskarte, die kostet drei Euro. Ich wurde bisher auch immer nur beim Stintfang nach meinem Angelschein und der Tageskarte gefragt, hier in der Stadt wurde ich noch nie kontrolliert.“
Er kommt gerne an diese Treppe, erzählt er, weil er an diesem Ort meist allein ist. Im Gegensatz zur Hafencity und Speicherstadt, da stünden mittlerweile teilweise zehn oder fünfzehn Leute direkt nebeneinander, das habe in den letzten Jahren zugenommen.
„Es gibt den Angelführer, auch die Angelbibel genannt, kennt ihr die? Da sind so ziemlich alle Spots in Hamburg aufgelistet, mit Bildern und Informationen zu den Gewässern. Aber dieser Ort hier, der ist da nicht drin.“
„Na vielleicht kommt hier deshalb so selten jemand vorbei.“
„Ja, dabei ist es gerade hier unter der Brücke perfekt, um auf Raubfische zu angeln.”
Raubfische tummeln sich meist an den Brückenpfeilern und in den Spundwänden, erklärt er uns. Deswegen ist dieser Ort hier auf der Treppe und unter der Brücke so geeignet zum Fischen. Der Angler imitiert mit seinem Kunstköder einen kleinen Fisch, zieht die Schnur durch das Wasser. Er prüft, ob Bewegung im Wasser ist, ob was beißt. Abfischen nennt man das. Er selber nimmt selten seinen Fang mit nach Hause. Wir fragen, ob das nicht generell auch problematisch sei, den Fisch mitzunehmen und zu essen, weil das Wasser in der Stadt dreckig scheint. Er meint, es sei unproblematisch, da die Fische die Verunreinigungen durch ihre Kiemen wieder ausstoßen.
Tatsächlich, finden wir raus, ist der Verzehr von Fisch aus Elbe, Alster und Bille in kleinen Mengen unbedenklich. Die „Arbeitsgemeinschaft Elbe” empfiehlt jedoch, nicht mehr als ein bis zwei Kilogramm Fisch aus Elbe und Alster im Monat zu verzehren. Auch wenn das Wasser nicht verschmutzt scheint beziehungsweise der Dreck nur an der Oberfläche schwimmt, so enthält es doch andere unsichtbare Schadstoffe. Zander, Brasse und Aal weisen unter anderem erhöhte Quecksilberwerte auf.
Streetfishing nennen sie es, wir nennen sie Straßenfischer: Auf ihren Streifzügen entlang der Fleete werden wir nur männliche Angler antreffen. Das Straßenfischen ist ein reines Stadtphänomen, das in Hamburg, Berlin, Paris, Amsterdam, Zürich oder Kopenhagen zu finden ist.
Unter uns die Schleuse: Eine Barkasse wird geschleust, das dauert etwa 15 Minuten. Diese Zeit nutzt derweil ein weiterer Straßenfischer, der kurz hinter der Schleuse steht, die Angel ausgeworfen. Beim Schleusen entsteht ganz viel Bewegung, das lockt die Raubfische an.
Wir sprechen den Straßenfischer an: Es ist Paul, der Mann mit dem T-Shirt.
29 und 30, haben Urban Design an der Hafencity Universität studiert. Der hier abgedruckte Text ist ein Auszug aus ihrer Masterthesis, für die sie den Spuren der Streetfisher in Hamburg gefolgt sind – inspiriert von den Spaziergangswissenschaften von Lucius Burckhardt und dem Drive der Situationistischen Internationale. Die Arbeit besteht aus zwei Teilen: einer Erzählung und einer Sammlung von Begriffen.
„Aha, hier gibt’s also Fische.“
„Ja, beißen aber gerade nicht.“
Paul wohnt gleich um die Ecke in der Neustadt. Ein- bis zweimal pro Woche geht er angeln, meistens nach Feierabend. Weil es entspannend ist. Im besten Fall springt auch noch ein Abendessen dabei raus, ein Fisch für die Bratpfanne.
Unter der Woche bevorzugt es Paul, am Alsterfleet zu angeln. Am Wochenende sei es mittlerweile schon viel zu voll. Seit vier Jahren geht er hier angeln und damals am Anfang sei er fast der einzige Fischer hier gewesen, erzählt er. Mittlerweile kommen aber viele Leute her.
„Hat sich dein Blick auf die Stadt verändert, seit du in der Innenstadt angeln gehst?„
„Wenn ich von der Arbeit nach Hause fahre und es regnet, dann sehe ich das Wasser und denke mir: Super, jetzt werden die Fische richtig schön durchgeschüttelt, da ist richtig viel Bewegung im Wasser. Nach Regenschauern lässt sich prima angeln. Hmm, und der Blick, ja, also jedes Gewässer in der Stadt ist für mich erst mal ein potenzielles Angelgewässer.“
Am liebsten geht er mit einem Freund am Wochenende angeln, im Freihafen genießen sie die Kulisse aus Kränen und Containerschiffen, nehmen sich mehr Zeit. Hier bei ihm vor der Haustür liegt für ihn die Priorität in der kurzen Entspannung nach der Arbeit. Meistens ist er nur eine halbe Stunde unterwegs, läuft das Alsterfleet hoch und wieder runter.
„Und was macht einen guten Platz zum Angeln für dich aus?„
„Na, dass da viele Raubfische sind. Ich angel auf Zander und Barsch, weil das die Fische sind, die ich auch essen mag. Aal zum Beispiel mag ich nicht, den fängt man in der Elbe. Na ja, und dann ist ein guter Angelspot einer, den ich benutzen kann. In Hamburg ist das super, weil fast alle Gewässer frei sind. Ich bin in keinem Angelverein. In anderen Bundesländern müsste ich Vereinsmitglied sein, um überhaupt an den Gewässern fischen zu dürfen. Von daher ist Hamburg generell ein guter Angelspot!„
„Und wenn du nun was fängst, dann nimmst du den Fisch ja mit, oder?„
„Ja. Ich hab immer eine Plastiktüte dabei. Wenn ich was fange, dann nehme ich den Fisch gleich hier vor Ort aus. Also totschlagen mit dem Knüppel und dann ausnehmen. Und dann werfe ich die Eingeweide zurück ins Wasser, und pack den Fisch in die Plastiktüte.„
„Und läufst dann mit blutigen Händen nach Hause ...„
„Die spüle ich ein bisschen im Fleetwasser ab.„
„Und du fischst immer mit Kunstködern?„
„Meistens ja. Aber Rotaugen zum Beispiel, die gibt es ja hier auch, und das sind gute Köder für größere Raubfische. Auf die angel ich auch manchmal. Dann mit Würmern.„
„Und woher kommen die Würmer?„
„Die grabe ich bei mir vor der Haustür aus. Und dann schauen die Leute irritiert, wundern sich, was ich da tue. Die outen sich als unheimlich weltfremd. Also ich glaube, einige Leute in der Stadt sind schon so entfernt von der Natur. Die vergessen sogar, dass in der Erde, auch wenn es sich dabei nur um ein Beet vor dem Wohnhaus handelt, dass da auch Würmer drin leben.„
„Und die finden das bizarr, was du da machst?„
„Ja, als wäre das verboten.„
Unter der nächsten Brücke machen wir erneut Halt.
„Hier im Schatten der Brücke ist auch meistens ein guter Platz zum Angeln. Die Fische leben versteckt. Da, wo die Sonne das Wasser nicht trifft, da ist die Chance noch höher, was rauszufischen.„
Aber auch hier beißt nichts. Das Schattenspiel unter der Slamatjenbrücke. Der Blick auf das Wasser, konzentriert auf die Leine, das hat auch etwas Magisches. Für einen kurzen Augenblick könnten auch wir uns vorstellen, selbst zu angeln. Aber den Fisch vom Haken zu nehmen, zu töten und auszunehmen, dafür muss man schon gemacht sein.
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