: Der gedeckte Tisch
Lebensmittel Die Ausstellung „Culinarium“ sensibilisiert Erwachsene und Kinder mit einem Parcours durchdie Kulturgeschichte der Ernährung für die Zusammenhänge von Produktion, Konsum und Nachhaltigkeit
von Sylvia Prahl
„Möchtest du mich auch mal melken?“ Mit wohliger Stimme begrüßt die schwarz-weiße Kuh die Besucher der Ausstellung „Vom Acker bis zum Teller“, die im Pferdestall der Domäne Dahlem zu erleben ist. Die treuen Augen der Kuh lösen bei Kindern ein sofortiges Mitmach-Bedürfnis aus: „Ja!“ Die Kuh: „Dann setz dich auf den Schemel und leg die Hände um meine Zitzen …“ Und los geht’s, die Milch sprudelt in den Eimer, wenn der Gongschlag ertönt, können kleine Melkmägde und -knechte an der neben der Kuh stehenden Milchkanne ablesen, wie viel Milch sie der Kuh abgetrotzt haben: „Wahnsinn: ein halber Liter in 30 Sekunden!“ An der Wand daneben ist zu lesen, dass die Milchkühe über die Jahrzehnte immer mehr Milch gaben, in Deutschland zurzeit durchschnittlich 30 Liter am Tag.
Der sich über drei Etagen erstreckende Parcours durch die Kulturgeschichte der Ernährung verläuft nach diesem Muster: An jeder Station werden Erwachsene auf Deutsch und Englisch detailliert informiert, im Erdgeschoss über Milchwirtschaft, Viehzucht oder Ackerbau. Eine „Kinderspur“ führt spielerisch an das Thema Ernährung heran. Auf roten Topfdeckeln stehen Fragen wie: „Wie kommen Löcher in den Käse?“ Schieben sie die Deckel beiseite, ist die Antwort zu lesen: „Durch Bakterien, die Gase erzeugen.“
Die Ausstellung ist eng mit der Geschichte Berlins und der Domäne Dahlem verzahnt, eine Milchkutsche der Domäne, Fotos der einst auf dem Gelände ansässigen Bäckerei oder gar eingemachter Spargel von anno dazumal aus den Beständen des Hauses sind zu sehen. Doch die Domäne bleibt nur anschaulicher Ausgangspunkt, kurze Filme verweisen auf weltweite Praktiken. So beleuchtet ein Film die globale Zuchtkultur von Masthähnchen und eierlegenden Hühnern.
„Mit dem Culinarium wollen wir eine Brücke bauen zwischen den Erlebnissen draußen auf dem Acker, der Lebensmittelproduktion und unseren Essgewohnheiten“, sagt Museumsdirektor und Vorstand der Stiftung Domäne Dahlem, Dr. Peter Lummel. An einer Fleischtheke sind die Lebenswege der Mastschweine Rosa und Paula gegenübergestellt: Rosa wächst in einem Großbetrieb auf, Paula ist ein Biozuchtschwein. Die unterschiedliche Haltung und Fütterung erklärt auch Kindern anschaulich die enormen Preisunterschiede in der Biofleischerei und im Supermarktregal. Gerade das Thema Fleischproduktion sei ideologisch aufgeladen, so Lummel. Mit der Gegenüberstellung wolle er dem Verbraucher verdeutlichen, wie er durch Einkaufgewohnheiten Einfluss ausüben könne.
Im ersten Stock der Ausstellungsräume liegt der Fokus auf dem Handel und unserem Konsumverhalten. Kleine Lehrfilme, etwa über Kakaoanbau oder Pralinenherstellung, sind zu sehen. An einer Wand ist hinter Klapptürchen der Siegeszug der Pizza in Deutschland nachzuvollziehen – von der ersten Pizzeria, die 1952 in Würzburg eröffnete, bis zur ersten Tiefkühlpizza, die 1970 auf den Markt kam. Ein Film zeigt mit Splitscreen gleichzeitig ihre industrielle und manuelle Zubereitung.
Nachdem wir erfahren haben, dass die Erlebnisgastronomie mit dem „Haus Vaterland“ in Berlin auf eine über hundertjährige Geschichte zurückblickt, nehmen wir in gemütlichen Sesseln Platz. Werbefilme werfen ein Schlaglicht auf unterschiedliche Konsumgewohnheiten in Ost und West während der deutschen Teilung.
Die lebensfrohe Darstellung des Überflusses steht im krassen Gegensatz zum Thema der nächsten Station: Hunger. An einem Telefon kann man sich anhören, warum weltweit so viele Menschen hungern, wie man ihnen helfen kann und dass auch in Deutschland gehungert wurde. „Dass es in Deutschland keinen Hunger gibt, ist ja eine Ausnahmesituation. Bis vor ungefähr sechzig Jahren war die ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln noch abhängig von der Ernte“, sagt Dr. Lummel. Die in der Vitrine gegenüber zu sehenden menschlichen Knochen, die von Mangelernährung gezeichnet sind, zeugen davon.
An einer Kantinentheke stellen wir uns ein Menü zusammen und bekommen gesagt, ob wir kalorienmäßig über die Stränge geschlagen haben. Das hantieren mit dem Strichcodescanner kommt bei jungen Ausstellungsbesuchern sehr gut an, was dazu führt, dass wir in kurzer Zeit sehr viel „konsumieren“. Und weil es nicht nur darum geht, was wir essen, sondern auch wie und mit wem, setzen wir uns an den gedeckten Tisch und lauschen per Kopfhörer den Tischgesprächen Berliner Bürger. Egal ob bei einer Unterhaltung in einer Ostberliner Werkskantine 1989 oder beim Familienabendbrot einer türkischen Familie – gemeinsam eingenommene Mahlzeiten sind ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Erlebens.
An der Station „Reifeprüfung“ erfahren wir, in welchem Monat welches Gemüse oder Obst geerntet wird. Das bietet der sendungsbewussten Erziehungsberechtigten eine Steilvorlage, um zu erklären, warum im Dezember keine Erdbeeren gekauft werden müssen.
Das Obergeschoss ist den Kindern vorbehalten. Es liegen Bücher aus, themenkompatibles Spielzeug steht bereit, ein riesiges historisches Puppenhaus zieht sehnsüchtige Blicke auf sich. Gestaunt wird auch über die Menge der Zuckerstücke, die sich in Lebensmitteln wie Ketchup oder Eistee verbergen. Letzte Energien setzt dann noch das „Bonbon-Fahrrad“ frei. Nach dem Hau-den-Lukas-Prinzip müssen die Kinder so lange in die Pedalen treten, bis ein Glöckchen bimmelt und die Kalorienmenge eines Bonbons abgestrampelt ist. Den müsste dann eigentlich der Automat ausspucken. Da der kaputt ist, dürfen wir in die auf dem Regal stehende Bonschedose greifen. Das ist aber auch das Einzige, was in dieser Ausstellung nicht funktioniert. Ansonsten vermag es die mit liebevoll arrangierten Details gespickte Schau, Erwachsene zu bereichern und Kinder für die Zusammenhänge von Produktion, Konsum und Nachhaltigkeit zu sensibilisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen