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Wie die drei Affen

VON CHRISTIAN FÜLLER

Die Kultusminister übten eisernes Stillschweigen. Bayerns Kultusminister Siegfried Schneider, sonst um Lobpreisungen auf seine weißblaue Schule nie verlegen, hielt sich verkniffen „an die Sperrfrist der Ministerkollegen“. Bei der amtierenden Oberkultusfrau, Johanna Wanka aus Brandenburg, ging erst gar keiner an den Apparat.

Kein Wunder, dass die 16 Kultusminister die berühmten drei Affen mimen. Sie wollen nichts hören, sehen und sagen, weil sie gerade die bitterste Pille schlucken müssen, die man einem demokratischen Schulwesen verabreichen kann: Die deutsche Schule ist ungerecht.

Die neueste Pisa-Veröffentlichung zeigt, dass die Schulen zwischen Konstanz und Kiel Bildungserfolg und Karrierechance zuvörderst nach dem überkommenen Prinzip der Herkunft verteilen. Vereinfacht gesagt: Haben die Tochter einer Friseurin und die einer Ärztin den exakt gleichen Intelligenzquotienten und präsentieren sich im Unterricht gleich stark, dann hat dennoch die höhere Tochter eine viermal so hohe Chance, aufs Gymnasium zu kommen. Bildung nach dem Standesprinzip.

Die Daten, die seit Sonntag im Umlauf sind, variieren je nach Bundesland (siehe Kasten). Aber im Überblick gilt das, was seit dem ersten großen Weltschulvergleich Pisa 2000 jeder wissen kann. „Es gibt kein Bildungssystem in Europa, das ungerechter ist als unseres“, so klagt selbst der Chef der elitären Consultingfirma McKinsey, Jürgen Kluge, über die grassierende Chancenungerechtigkeit.

Für die Kultusminister war die Meldung auch deswegen bitter, weil sie zuletzt noch so hoffnungsvoll gewesen waren. Fast ein wenig Jubel kam auf, als bei der Präsentation eines Extraktes des jetzt gänzlich bekannt gewordenen Pisa-Bundesländervergleichs immerhin vier Länder weit über dem europäischen Durchschnitt lagen. Allerdings: Damals hielten die Kultusminister und ihr Pisa-Chef, Manfred Prenzel vom Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften, die Sozialindikatoren zurück.

Das Manöver war kein Zufall. Dass die Kompetenzwerte der getesteten 45.000 Schüler besser werden, mag kurz vor der Wahl ein dickes Plus für die Union gewesen sein. Aber dass die Chancenungleichheit auch drei Jahre nach der ersten Pisa-Studie weiterhin so extrem groß ist, ist natürlich eine ausgesprochen schlechte Nachricht – gerade jetzt, da die Koalitionsverhandlungen für eine Schwarz-rot-Regierung im Bund in vollem Gange sind.

Heute etwa sollte sich zum zweiten Mal die schwarz-rote Koalitionsarbeitsgruppe zum Thema Föderalismus treffen. Die Union hatte darin ein klares Ziel: Den Bund endgültig und gänzlich jeder Kompetenz für Schulen zu berauben. Berlin sollte ausdrücklich untersagt werden, Geld für die Schulen bereitzustellen. Zudem sollte die gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern abgeschafft werden.

Diese Unionsziele sind nach den verheerenden neuen Sozialdaten nicht wahrscheinlicher geworden. Wenn die SPD ihre Wahlversprechen ernst nimmt, kann sie nicht zulassen, der Bundesregierung alle Kompetenzen für Schulen zu entziehen. Immerhin hat die das Grundgesetz zu erfüllen. Und da steht, dass der Bund jedem Menschen das Maximum an persönlicher Entfaltung und Chancengleichheit zu gewährleisten hat. Eine zweieinhalb bis sechsfache Bevorzugung für gleich begabte, aber sozial höher stehende Kinder, ist damit gewiss nicht vereinbar.

Wie es weitergeht, ist dennoch unklar. In der Koalitionsrunde für Bildung wurde zwar die Formel verabschiedet, wonach der enge Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und Herkunft aufzubrechen sei. Das ist nötig nach den neuen Pisa-Resultaten. Hinter diesem Satz steht allerdings der starke Mann der SPD, Parteichef Franz Müntefering. Der aber ist seit gestern ja nicht mehr ganz so stark.

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