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Temporeich und trashig

THEATERSPEKTAKEL Kurzweilig: Ingo Putz bringt für die Landesbühne Niedersachsen Nord zwei der drei Ubu-Stücke Alfred Jarrys als musikalisches Theaterspektakel mit Songs der Blues-Brass-Band Mardi Gras.bb und viel brachialem Witz auf die Bühne

Ingo Putz choreographiert und rhythmisiert das Geschehen mit sicherem Gespür für Timing und Slapstick

VON ANDREAS SCHNELL

Eine Uraufführung? Eines über 100 Jahre alten Stückes? Der Musik wegen – die noch nicht einmal neu ist? Aber irgendwie haut es dann doch hin. Schließlich sind nicht nur die Songtexte neu, eigens für „Ubu, König“ von Jochen „Doc“ Wenz zu alten Stücken seiner Band Mardi Gras.bb geschrieben, auch das Stück selbst ist in dieser Form neu, aus zwei der drei Stücke zusammengesetzt, die Alfred Jarry um die Figur des François Ubu schrieb.

Die Wilhelmshavener Inszenierung erzählt Anfang und Ende der Geschichte des Königs, der im dritten Teil, „Ubu in Ketten“, in der Sklaverei die Freiheit entdeckt. Aufstieg und Fall sozusagen. Denn im „König Ubu“ erleben wir zunächst, wie der infantile, verfressene Ubu von seiner Frau dazu angestiftet wird, König Wenzel von Polen umzubringen, um sich selbst auf den Thron zu setzen. Wer an Macbeth denkt, ist dem Geheimnis des Pataphysikers schon ein bisschen auf der Spur. Denn statt sich mit Gewissensbissen herumzuplagen wie sein Shakespeare-Kollege, hat dieser neue König keinerlei Skrupel. Nur wird ihm die ganze Sache am Ende schlichtweg zu kompliziert, als Krieg mit dem Zaren ansteht. Weshalb er mit Mutter Ubu nach Frankreich flieht.

Dort, im Land der Freien, will Ubu aber gar nicht frei sein. Statt zu herrschen möchte er nun dienen. Gar nicht so einfach in einem Land, in dem es in der Armee „Einzelunterricht im Ungehorsam“ gibt. Auch hier noch erweist sich Ubu als Nonkonformist, weil er sich die Freiheit nimmt, zu tun, was ihm befohlen wird. Beinah logisch erscheint da, dass er den Gang ins Gefängnis als größte Freiheit sieht.

Natürlich wirkt der Stoff heute keineswegs mehr so schockierend wie damals – wenn überhaupt. Wo Jarrys Sprache einst schon beim ersten Wort des Stücks („Merdre!“, also etwa: „Schreiße!“) einen Skandal auslöste, ist man heute Ärgeres gewohnt. Aber es ist auch in der Übersetzung von Kaspar Borten nicht reizlos, wie hier gesprochen wird. Derb, wortspielreich, atemlos. Wie überhaupt dieser „Ubu, König“ eine ziemlich kurzweilige Angelegenheit ist.

Ingo Putz greift dabei Jarrys formale und inhaltliche Ansätze auf, lässt vor einer Pappmaché- Kulisse unter der Parole „Angst! Macht! Terror!“ trashig, temporeich und grell aufspielen, choreographiert und rhythmisiert das Geschehen mit sicherem Gespür für Timing und Slapstick. Das Ensemble hat daran sichtlich Spaß, vor allem Christoph Sommer als Vater Ubu agiert seine Rolle im Feinrippunterhemd gnadenlos aus, grimassiert, hechelt, zetert, greint, wimmert und kreischt. Gleiches gilt für Felix Frederik Frensen als Mutter Ubu. Die übrigen Akteure haben jeweils mit bis zu einem halben Dutzend Rollen zu tun, allesamt eher Karikaturen als Charaktere, mit viel Potential für brachialen Witz.

Cino Djavid sorgt da beispielsweise für einen frühen Höhepunkt, als er ins Publikum steigt und aus der ersten Reihe kommentiert: „Ach, das ist wohl doch eher für junge Leute. Hm. Fehlt bloß noch, dass jemand gegen die Schwingtür läuft … Und Frau Ubu, so schlecht gemacht, man sieht doch, dass das ein Mann ist. Aber das Geld ist weg …“ Und natürlich wird im Weiteren weit mehr als einmal gegen die Schwingtür gerannt.

Die Musik der Mardi Gras.bb passt zu diesem Treiben recht gut, schließlich steckt von Haus aus der Karneval schon drin: Der Mardi Gras ist der „fette Mittwoch“ im Karneval von New Orleans. Hier werden die Songs von einer sechsköpfigen Band aufgeführt, die ihre Sache mehr als nur ordentlich macht. Das ist nicht selbstverständlich, sind die Songs doch eigentlich für eine doppelt so große Besetzung geschrieben.

Darin steckt jedoch auch das größte Manko der Inszenierung: Nicht nur im Vergleich mit den Vorlagen, bei denen die coole, leicht raspelnde Stimme von Jochen Wenz im Vordergrund steht, wirken die Gesangsleistungen in den Hauptrollen angestrengt. Und mehr als einmal geht das zu Lasten der Intonation und Artikulation – bisweilen fühlt man sich an ein mäßiges Musical erinnert. Aber das sind eher Ausrutscher in einer durchaus sehenswerten Arbeit.

■ Wilhelmshaven: Mi., 30. 1., 20 Uhr, Fr., 8. 2., 20 Uhr, So., 10. 2., 15.30 Uhr, Sa., 2. 3., 20 Uhr, Stadttheater Wilhelmshaven; weitere Termine: Aurich: Mi., 16. 1., 19.30 Uhr, Stadthalle Aurich; Norden: Do., 17. 1., 20 Uhr , Theatersaal Norden; Esens: Fr., 18. 1., 19.30 Uhr, Theodor-Thomas-Halle, Esens; Norderney: Di., 22.1., 19.30 Uhr, Kurtheater; Jever: Fr., 25. 1., 20 Uhr, Theater am Dannhalm; Leer: Di., 5. 2., 19.30 Uhr, Theater an der Blinke

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