: Wir brauchen mehr Idioten
Diskurs Beim Philosophicum in Lech wird die gegenwärtige Optimierungswut diskutiert
Zum 19. Mal fand heuer im österreichischen Lech am Arlberg das Philosophicum statt. An dreieinhalb Tagen halten rund 12 ReferentInnen Vorträge und debattieren untereinander sowie mit dem höchst interessierten Publikum. Die Idee lieferten seinerzeit der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier und der Lecher Bürgermeister Ludwig Muxel. Als wissenschaftlichen Leiter konnte man den in Österreich sehr populären Philosophen Konrad Paul Liessmann gewinnen. Begonnen hatte die Veranstaltungsreihe 1997 noch mit etwa 50 Teilnehmenden in einer Hotelbar.
In den letzten Jahren dagegen waren es immer über 600 Besucher – auch aus der Schweiz und Deutschland –, die in die Neue Kirche nebst angebautem Großzelt strömten, wo man in den Pausen bei Brötchen und Kaffee ins Plaudern kommt. Im Elfenbeinturm war man beim Philosophicum nie. Stets versuchte man am Puls des Zeitgeschehens zu sein, was erstaunlich oft gelang. Radikal zufällig wählte man etwa für September 2008 das Thema „Geld, was die Welt im Innersten zusammenhält“. Und, siehe da, noch im selben Monat crashte die Lehman-Bank.
„Neue Menschen! Bilden, optimieren, perfektionieren“ – unter diesem Titel wurde nun der immer stärker spürbare Druck der allseitigen „Verbesserung“ des Menschen in den Fokus genommen. Plastische Chirurgie, Doping, Anti-Aging-Pillen, aber auch Training, Disziplin und Drill sollen den „neuen, korrigierten“ Menschen offenbar verwertbarer machen. Ob der allseits perfektionierte Mensch dann auch glücklicher ist – das verliert man in der Hetze der technikgläubigen Optimierungswut aus dem Blick. Für manche ist „human enhancement“ das neue Zauberwort. Manche nehmen Verheißungen von Science-Fiction-Literatur gar zu ernst, propagiert etwa von Philosophen wie Nick Bostrom oder dem Künstliche-Intelligenz-Experten Ray Kurzweil. „Transhumanisten“ beschäftigen sich aufrichtig mit der Frage, ob der Mensch durch „uploading“ seines Geistes etwa auf einen Makrochip, also einer vollkommenen digitale Abbildung des Gehirns mit allen seinen Funktionen, wünschenswert oder ethisch vertretbar wäre. „Wir dürfen nicht vergessen“, meinte skeptisch der Ethikprofessor Johann Ach, „dass die Vertreter der transhumanen Fantasien durch ‚Star Trek‘ sozialisiert wurden“. Und ob der auf dem Datenträger digitalisierte Mensch dann vielleicht gar „unsterblich“ wäre? Einem witzigen Einwurf Liessmanns verdanken wir die Erkenntnis, dass dieses Digitalwesen zwar vielleicht unsterblich, aber jederzeit löschbar wäre.
Oft wird vor den Gefahren überanstrengter „Vertikalspannung“ (Peter Sloterdijk) gewarnt. Pädagogik dürfe sich nicht vorwiegend der Perfektionierung des Menschen verschreiben. Der vermeintlichen Pflicht, schon das Ungeborene (gentechnisch) zu perfektionieren, Kinder in jedem Augenblick ihres Daseins Optimierungsprogrammen zu unterwerfen, müsse entgegengewirkt werden. Es müsse Freiraum für Exzentrisches, für Fehler, Langeweile, Irrwege geben. „Wir brauchen mehr Idioten“, lautete so ein Credo für mehr Eigensinn. Stets „hat es die Wahrheit mit dem Hundedreck gemein – sie liegt immer in der Mitte“ (wie es Alexander Roda Roda mal ausdrückte).
Auch hier in Lech. Denn tatsächlich haben Menschen in Zivilisationen immer versucht, sich selbst, ihre Um- und Arbeitswelt und ihre Sozietät zu verbessern. Oft mit Erfolg. Auch die Gefahren sind bekannt. Dass für die meisten Probleme, welche die Menschheit heute plagen, bereits treffliche Lösungen bekannt sind, dass es politischen Willen braucht und nicht biotechnische Individualperfektionierung, wird zu leise und zu zart nur angedeutet. Die offensichtlichen systemischen Bezüge all dieser Fragen zu Politik und Ökonomie sprach man zu wenig an. Georg Herrnstadt
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