Der Alte Meister: Aus Menschen Objekte machen
Das Stillleben wirkt lieblos arrangiert. Eine Aneinanderreihung in Kaminrot und Jeansblau. Verglichen mit den barocken Festtafeln aus der Stillleben-Blütezeit herrscht visuelle Langweile. Und doch findet sich ein Merkmal des 17. Jahrhunderts wieder. „Memento mori“ (lat. „Bedenke, dass du sterblich bist“) schrien barocke Bilder ihren Zeitgenossen entgegen: niederbrennende Kerzen, verderbende Früchte und welke Blumen. Auch Salvador Dalí griff den Vergänglichkeitsgedanken mit seinen zerfließenden Uhren auf.
Nun sehen wir auch hier einen Strand. Allerdings keinen spanischen, sondern einen marokkanischen, der an einen türkischen erinnern soll – nämlich jenen Küstenabschnitt, an dem Alan Kurdi angespült wurde. Das dreijährige syrische Flüchtlingskind war bei der Überfahrt zur griechischen Insel Kos ertrunken. In Gedenken an seinen Tod legten sich marokkanische AktivistInnen in den Sand. So ist dieses Stillleben kein stilles, sondern ein lautes. „Wir sind hier, um zu sagen, dass das Mittelmeer ein Ort des Teilens und des Austauschs bleiben soll, nicht eine Barriere für die Opfer von Diktaturen, Bürgerkriegen und Terrorismus“, erklärte der Journalist Rachid el-Belghiti die Aktion.
Klugscheißer mögen anmerken, dass Stillleben traditionell nur Objekte zeigen. Aber ist es nicht genau das, was die EU-Asylpolitik macht: Fliehende als zu verteilende Objekte anstatt als Menschen begreifen? Vielleicht ist auch das vergänglich. Marco Wedig
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