Tim Caspar Boehme Leuchten der Menschheit : Antigone? Runter mit ihrem Kopf!
SlavojŽižek kann am laufenden Band schreiben – unter drei Büchern pro Jahr tut es der slowenische Philosoph schon lange nicht mehr. Doch als Dramatiker war der lacanomarxistische Denker bisher nicht zu erleben. Jetzt hat er aus Sophokles’ antiker Tragödie „Antigone“ eine an Brechts Lehrstücken und zeitgenössischen Vorbildern wie Tom Tykwers Film „Lola rennt“ orientierte Neufassung vorgelegt: „Die drei Leben der Antigone“ (Fischer, 2015). In klassischen Hexametern und Pentametern, versteht sich.
Während Autoren wie Simone de Beauvoir, Albert Camus oder Jean-Paul Sartre, in deren Tradition des öffentlichen Intellektuellen Žižek steht, ihre Karrieren in der Doppelrolle als Schriftsteller und Philosophen bestritten, hat sich Žižek mit belletristischen Ambitionen lange zurückgehalten. In der Philosophie waren die Dichter ja auch nicht immer gleich gut angesehen. Bei Platon etwa gelten sie als schlechte Beispiele für Kinder, weil sie es mit der Wahrheit nicht so genaunehmen.
Žižek hingegen sagt in seinem Drama immer die Wahrheit. Er zitiert sich munter durch die Literatur, lässt Antigone Sätze wie „Wahre Liebe ist kalt, kälter selbst als der Tod“, frei nach Fassbinder, sprechen. Und wenn der Chor auf Antigones Klage, sie sei eine lebende Tote, antwortet: „Wohl opfertest du alles – doch nicht dein Opfer selbst“, spielt er damit an auf Paul Claudels Stück „Die Geisel“ von 1909. Über dessen Pointe der „totalen Selbstopferung“ der Protagonistin Sygne de Coûfontaine hat Žižek seine Leser freundlicherweise im Vorwort aufgeklärt.
Antigone, die für das illegale Begräbnis ihres Bruders Polyneikes mit dem Tode bestraft wird, gilt in ihrem Beharren auf dieser Totenehre als eine unheimliche Heldenfigur, was zu den unterschiedlichsten Deutungen geführt hat. Žižek möchte in seinem Stück den problematischen Aspekt ihres Akts der „reinen Liebe“ herausstellen und entwirft drei Szenarien, angeregt durch Sören Kierkegaards moderne Version der Antigone. Bei Žižek wird aus ihr „eine postmoderne Antigone“, die „natürlich noch eine stalinistische Note enthalten“ muss und am Ende vom Chor exekutiert wird. Was lernt das beflissene Publikum? Die Partei hat immer recht.
Der Autorist freier Mitarbeiter der Kulturredaktion Foto: privat
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