piwik no script img

Jenseits von Los Angeles

HYPERLOCAL Die Internetzeitung „Alhambra Source“ will die englisch-, chinesisch- und spanischsprachigen Bewohner einer kalifornischen Kleinstadt zusammenbringen – und den brachliegenden Lokaljournalismus neu beleben

Die jungen Reporter kommen alle aus Alhambra, ihre Eltern aus China, Taiwan, Mexiko, Kolumbien und dem Irak

AUS ALHAMBRA TOBIAS ASMUTH

Die Redaktionssitzung der Alhambra Source findet heute im „Roaster Family Coffee“ statt. Auf den Tischen stehen Kaffee und Tee, Muffins und Toast, pünktlich um zehn Uhr geht es los, Daniela Gerson begrüßt ihre Reporter.

„Okay, was für Geschichten plant ihr die kommenden Tage?“

„Ich will ein Interview mit dem Kapitän unseres Footballteams machen“, antwortet Nasrin Aboulhosn.

„Warum?“

„Seine Ansprachen sollen so motivierend sein, das Team hat seit Monaten nicht verloren. Ich will, dass er uns seine Tricks verrät.“

„Klingt gut. Vielleicht kannst du ihm noch vorschlagen, eine Ansprache an die Stadt, an Alhambra, zu halten? Ist nur so eine Idee, könnte aber lustig sein. Und was willst du machen, Paul? Wie war deine Reise?“

Paul Wong ist mit asiatischen Geschäftsleuten aus Alhambra nach Las Vegas gefahren, ein Reisebüro bietet solche Kurztrips zu chinesischen Feiertagen an. Er überlegt, ob er einen nüchternen Bericht über den Erfolg der Reiseveranstalter schreiben soll – oder eine Reportage darüber, was ehrenwerte Bürger in den Kasinos und Striplokalen so treiben.

„Mach die Reportage, un-be-dingt!“, unterbricht ihn Gerson. Ihr Block fühlt sich rasch mit Geschichten. Da ist der Neubau eines Parkhauses, der Streit über Buslinien, die gestrichen werden sollen, der Mord an einem chinesischen Mädchen, das vergangene Woche im Park erwürgt wurde, und da ist die Geschichte, die Nathan Solis recherchiert hat: Zwei Schüler aus Alhambra, die als Einwanderer einen legalen Status haben, sind auf Klassenfahrt im Mittleren Westen trotzdem verhaftet worden. Erst nach Protesten aus Alhambra kamen die beiden nach einer Woche frei und wurden nicht abgeschoben.

„Die Geschichte passt gut zu uns“, sagt Gerson. Die Redakteurin stammt aus Washington, hat in New York für Zeitungen geschrieben und musste nicht lange überlegen, als das Angebot kam, für die Alhambra Source zu arbeiten. „Ich habe schon lange zu Einwanderungsthemen recherchiert, und das hier ist ein Experiment: Wie muss Journalismus im Netz aussehen, um über ethnische Grenzen hinweg zu funktionieren?“

Viele 99-Cent-Shops

Die Stadt Alhambra gehört zum Ballungsraum Los Angeles, liegt nur knapp 13 Kilometer von Downtown entfernt und hat 83.000 Einwohner. Sie teilt sich in eine Gegend mit Häuschen plus Vorgärten und Mietskasernen im Zentrum. Dort gibt es ein paar chinesische und mexikanische Restaurants, viele verrammelte Läden und 99-Cent-Shops, die seit der Wirtschaftskrise überall aufmachen.

Alhambra ist nicht wohlhabend, gilt aber trotzdem als gute Nachbarschaft. In der Stadt treffen zwei unterschiedliche Einwanderergruppen aufeinander: Erfolgreiche Asiaten, vor allem Chinesen, und beruflich weniger glückliche Latinos. „Es gibt keine sozialen Verwerfungen, aber es gibt auch keinen Austausch über die Probleme und Chancen von Alhambra“, sagt Gerson.

„In den vergangenen zehn Jahren habe ich Alhambra verschwinden sehen – aus der LA Times“, sagt Michael Parks. Der 68 Jahre alte Journalist ist Herausgeber der Alhambra Source und hat fast sein ganzes Leben für die LA Times als Korrespondent gearbeitet, in China und Russland. Jetzt ist er Dozent für Journalismus an der University of Southern California. Die Universität hat die Alhambra Source vor zwei Jahren ins Leben gerufen und unterstützt das Projekt mit Geld und mit Ideen. Jede Gemeinde brauche lokale Berichterstattung, fährt Parks fort. Wo es sie nicht gebe, nehme das bürgerliche Engagement ab. Bei den letzten Wahlen für die Schulverwaltung habe es nicht mal mehr genug Kandidaten gegeben.

Parks fürchtet, dass sich die LA Times zu einer reinen Stadtzeitung schrumpfen wird. Durch Einsparungen haben schon jetzt viele Lokalreporter ihre Job verloren. „Zu manchen Pressekonferenzen in Alhambra kommen keine Journalisten mehr, außer unseren Leuten“, erzählt Parks und beschreibt eine Entwicklung, die überall in den USA vonstatten geht. Mittlerweile gibt es in jeder größeren Stadt lokale Blogs und Nachrichtenportale. Manche werden von Journalisten, manche von Amateuren betrieben, die meisten beruhen auf Selbstausbeutung. Aber fast alle finden Leser – auch weil immer mehr Zeitungen dichtmachen. Im ganzen Land gab es 2011 noch etwa 1.200 Lokalzeitungen, 300 weniger als zehn Jahre zuvor.

Die Macher der Alhambra Source können den Journalismus einer LA Times nicht ersetzen, zu begrenzt ist das Budget von 300.000 Dollar, zu klein das dreiköpfige Redaktionsteam. Andererseits orientiert sich ihr Bürgerjournalismus ganz klar an professionellen Standards einer Zeitung. Und durch das Engagement der Schreiber haben viele Beiträge ihren eigenen Wert: „Die Leute kennen sich eben unglaublich gut aus in ihrer Stadt und in ihrer Community“, sagt Gerson. Ihre jungen Reporter kommen alle aus Alhambra, ihre Eltern aus China, Taiwan, Mexiko, Kolumbien und dem Irak. Sie sind Anfang zwanzig, wollen Journalisten werden und hoffen, einen Platz an den Journalistenschulen der Universitäten zu ergattern. Neben dem kleinen Reporterteam liefern knapp fünfzig Leute aus Alhambra mal mehr, mal weniger regelmäßig Texte und Bilder. 20.000 bis 30.000 Leser hat die Seite mittlerweile im Monat.

Um dem Anspruch gerecht zu werden, Nachrichten für die ganze Stadt zu bringen, werden wichtige Artikel in Englisch, Chinesisch und Spanisch veröffentlicht. „Wir würden das gern noch öfter machen, aber es ist eine Frage von Zeit und Geld“, sagt Gerson. Die Idee ist für das Einwandererland USA neu. Aber sie ist sehr wichtig, findet Parks, um der Abkapselung der ethnischen Gruppen entgegenzuwirken. Auch im vergleichsweise reichen Kalifornien gibt es immer weniger Aufstiegschancen. Die Einwanderer bleiben über die erste Generation hinaus in ihrem Viertel, es bilden sich Gettos, in denen Englisch keine große Rolle spielt. Die amerikanische Medienszene reagiert bisher mit viel Sympathie auf die Arbeit der Alhambra Source, lobt den ungewöhnlichen Weg, nicht nur auf Englisch zu publizieren, der über ethnische Grenzen hinweg Bürgerjournalismus und Bürgerengagement verknüpfe.

Unsichere Finanzierung

Die Frage nach der Finanzierung stellt sich auch bei der Alhambra Source. „Wie können wir unser Modell zukunftssicher machen, wenn sich die Universität als Sponsor in zwei Jahren zurückzieht?“, fragt sich Parks und will mehrere Wege gehen: Über kleine Formen eines Unterstützer-Abos sollen die Leser ins Boot geholt werden. Auch Werbung könne eine Rolle spielen, viele Geschäftsleute, glaubt Parks, vermissen die Möglichkeit, in einem Medium zu inserieren, das ihre Kunden auch lesen. Er ist sich sicher, dass es nicht reichen wird ohne die Einsicht großzügiger Spender, dass hier etwas Wichtiges getan wird: „Die Bandbreite der Storys auf der Website fühlt sich nach Alhambra an, und unsere Arbeit hat wirklich Folgen.“

Seit kurzer Zeit etwa gibt es neue Fahrradwege in Alhambra, ein Erfolg von Michael Lawrence, einem der Reporter um Daniela Gerson. „Eigentlich wollte der Bürgermeister gar nicht über Fahrräder reden, und seine Verwaltung stellte sich tot“, sagt Michael. „Aufgrund unserer Berichte aber machten immer mehr Menschen Druck. Und jetzt gibt es sogar einen Entwicklungsplan, der das Radfahren in den nächsten Jahren fördern soll.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen