piwik no script img

Rios schöner neuer Hafen

OLYMPIA-STADT Die Stadtverwaltung von Rio de Janeiro plant, die Rotlichtzone am alten Hafen in ein modernes Kulturviertel zu verwandeln

Tipps

■ Trapiche Gamboa, Rua Sacadura Cabral 155, www.samba-choro.com.br/casas/436. In einem renovierten Herrenhaus mit winzigem Garten jeden Abend Konzerte. Di., Mi. ab 19 Uhr, Do.–Sa. ab 22 Uhr, Eintritt um 6 Euro

■ Kalesa Lounge, Rua Sacadura Cabral 59, www.kalesa.com.br/, Club hat einen Open-Air-Bereich, gespielt wird brasilianische Musik, gelegentlich gibt es Striptease. Mi.–Sa. ab 23 Uhr, Eintritt beträgt etwa 15 Euro

■ Pedra do Sal/Bodega do Sal, Rua Argemiro Bulcão 38, www.samba-choro.com.br/casas/491, am Fuß des Hügels Morro da Conceicao treffen sich seit den Zeiten der Sklaverei Sambarunden. Mo., Mi. und Wochenende, meist ab 19 Uhr

■ Hotels In der Hafengegend gibt es bislang noch keine besseren Hotels, in der Nähe des Hafens liegt das eher bescheidene Center Hotel, Av. Rio Branco 33, telefonische Reservierung unter: +55 (21) 2233-6781. Ebenso die Hotels ibis und formule1 der Kette accor: www.accorhotels.com

VON CHRISTINE WOLLOWSKI

Politiker kommen oft ein bisschen zu spät. Und sie wiederholen sich gern. Vor allem, wenn sie Versprechungen machen. So gesehen ist das millionenschwere Verschönerungsprojekt „Porto Maravilha“ – auf Deutsch etwa: Wunderhafen – in Rio de Janeiro nichts Besonderes. Rechtzeitig für die Olympischen Spiele 2016 sollen sich die drei hafennahen Stadtviertel Saúde, Gamboa und Santo Cristo zur schönen neuen Ausgehwelt, zum Geschäfts- und Kulturzentrum mausern.

„Wiederbelebung“ nennen das die Politiker, als gäbe es tote Stadtviertel. Das neue Leben sieht gleich mehrere Megarenommierprojekte vor: den ältesten Wolkenkratzer Südamerikas von Grund auf zu renovieren, der vom Planer des Copacabana Palace Hotel, dem Franzosen Joseph Gire, entworfen wurde und einst Redaktionsgebäude der längst eingestellten Abendzeitung A noite war. Heute ist er Sitz des Instituts für Industriebesitz; direkt am Pier nach einem Entwurf des Spaniers Santiago Calatrava das Zukunftsmuseum Museu do Amanhã zu errichten, das auf mehr als 15.000 Quadratmetern nicht nur ein richtungweisendes Kunstzentrum werden, sondern auch Diskussionen zur Zukunft der Menschheit und des Planeten anregen soll.

Die für das auch als „Stadt der Kunst“ bezeichnete Megaprojekt veranschlagten Kosten haben sich seit den ersten Plänen mehr als verdreifacht. Zudem soll das Abwassersystem verbessert, sollen mehrere Straßen erweitert und über 500 historische Wohnhäuser renoviert werden für die Umsiedlung von Bedürftigen aus der angrenzenden Elendssiedlung Morro da Providência.

Als „neues Barcelona“ bezeichnen die Politiker ihren „Wunderhafen“ gern, denn die Mittelmeerstadt habe ihren Hafen so beispielhaft vom Schandfleck in ein Vorzeigeobjekt verwandelt, wie sich Rios Stadtväter das auch hier wünschen. Was sie dabei verschweigen: Fast genau so hatten das Politiker vor mehr als einem Jahrzehnt schon einmal verkündet. Und nicht einmal die waren die Entdecker des speziellen Charmes der schmuddeligen Jahrhundertwendebauten rund um den Mauá-Platz: Es waren die „Sklaven“.

In Anlehnung an die vor Jahrhunderten aus Afrika hier in Ketten angelandeten echten Sklaven nannten sich ein paar Angestellte aus Büros rund um den Mauá-Platz so, als sie 1992 ihren Karnevalsverein „Sklaven von Mauá“ gründeten. Die Mittelklassevertreter liebten den Samba, den ja die früheren Sklaven in diesem Viertel gespielt und getanzt hatten, und auch das vergessene Rotlichtviertel, das sie ursprünglich nur wegen ihrer Arbeit betreten hatten. Eliane Costa, im Hauptberuf Kulturmanagerin bei der staatlichen Firma Petrobras, war von Anfang an dabei: „Durch das Vergessensein haben sich am Mauá-Platz ein eigener Charme und wunderbare Jahrhundertwendebauten erhalten, es kamen weder Autos noch Passanten, nur die Anwohner verkehrten hier. Wenn ich damals sagte, ich mache mit meiner Karnevalsgruppe Musik auf dem Mauá-Platz, fanden die Leute das absurd, weil es dort gefährlich war mit all den Nutten und Matrosen.“

International war das Viertel damals schon. Für jede Nationalität gab es eigene Bordelle. Und außer Matrosen traute sich kaum jemand in die dunklen Gassen und winzigen Kneipen. Bis das Filipino-Bordell zum Kalesa wurde – dem vielleicht gewagtesten Kulturprojekt der Stadt.

Vier Kreative aus dem Süden Rios hatten einen Ort zum Feiern gesucht, günstig und zentral. Sie schafften es, dem Bordellbesitzer einen Mietvertrag zu entlocken. Auflage: Die Mädels dürfen bleiben. So mischten sich im Café Kalesa Künstler und Intellektuelle, Prostituierte und vereinzelt noch Matrosen. Nur fanden die bald keine willigen Frauen mehr – denn die hatten jetzt feinere Kunden.

Sogar der Prinz von Orleans und Braganza, Nachfahr des brasilianischen Königshauses, soll eines Morgens um zwei die traditionelle Kalesa-Spargelsuppe gekostet haben.

Aber irgendwann ist bei allem Neuen die Luft raus, und so wurden auch die Kalesa-Betreiber irgendwann müde. Heute ist in den alten Räumen ein normaler Club untergebracht, und die einstigen Macher besuchen das Hafenviertel kaum noch. Gleichzeitig öffnen rund um den Mauá-Platz ständig neue Restaurants und Tanzschuppen.

Beinahe jedes dritte der Jahrhundertwendegebäude beherbergt inzwischen eine Kneipe: Die Bar und Galerie Sacabral zelebriert an Tischen aus Tetrapacks Livemusik zwischen Brazil Pop und Samba; das Restaurant Boêmios do Porto Mauá präsentiert an Polka erinnernden nordostbrasilianischen Forró zum Tanzen. In einer Nebenstraße spielt eine Band Samba Pagode am alten Salzstein, und am Ende der Sacadura Cabral empfängt das fast schon klassische Trapiche Gamboa leidenschaftliche Sambatänzer aller Altersklassen.

Gleichzeitig öffnen rund um den Mauá-Platz ständig neue Restaurants und Tanzschuppen

An Wochenenden schlendern auf der Sacadura Cabral, wo einst Sklaven gehandelt wurden, junge Paare und decken sich bei fliegenden Händlern mit Hotdogs und Dosenbier oder gerösteten Maiskolben ein. Manche nennen die Hafengegend schon „das neue Lapa“, nach der ehemaligen Bohemegegend im Zentrum, die schon vor Jahren zum neuen Boomviertel erwacht ist.

So gesehen kann die Stadtverwaltung nicht viel falsch machen, wenn sie den Hafen jetzt zum neuen Kulturzentrum stylen will. Dabei wird sich allerdings so ziemlich alles im Viertel ändern: Nach den offiziellen Plänen sollen aus den heute 20.000 Bewohnern des 500 Hektar großen Geländes rund um den Hafen bis 2015 mindestens 120.000 werden. Neben einem Modezentrum, Büros für das Olympische Organisationskomitee und einem neuen Gebäude für die Bundespolizei sind 10.000 Wohneinheiten für Pressevertreter sowie diverse Hotelbauten vorgesehen. Die Zentralbank wird ein neues Gebäude bekommen, ebenso das neue Olympia-Museum.

Für das neue städtische Kunstmuseum, das unter anderem Werke zur Geschichte der Stadt zeigen soll, wird der Palast Dom João VI. renoviert. Als erstes Privatunternehmen hat die Telekommunikationsfirma GVT 4.700 Quadratmeter im Wunderhafen bezogen, andere folgen. Die Unternehmen dürfen nach Bedarf und einem Bebauungsplan ihre Gebäude aufstocken – gegen Gebühr.

Mit den Einnahmen will die Stadt ihren Anteil an den Kosten finanzieren. Nur in der ersten Reihe direkt am Wasser werden weiterhin zwei bis drei Stockwerke das Maximum bleiben – weiter hinten dürfen künftig 20, 30 und an manchen Stellen bis zu 50 Etagen gebaut werden.

„Das wirtschaftliche Interesse an der Gegend wird steigen und damit die Unordnung verdrängen“, prophezeit Belmiro Braga vom Entwicklungssekretariat der Stadt Rio. Die Unordnung, das sind vermutlich die restlichen Filipino-Matrosen, die noch gegenüber dem Kalesa in einer Open-Air-Bar ihr Bier trinken, und etwa der Müllmann, der bei der Probe der Karnevalssklaven hingebungsvoll mittanzt. Aber die haben bis dahin vielleicht längst einen anderen Ort gefunden – von dem die Politiker noch lange nichts erfahren werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen