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Kann man auf Rot-Grün hoffen?Ja

SUPERWAHL-JAHR Am Sonntag wird in Nieder-sachsen der Landtag gewählt, im September der Bundestag. SPD und Grüne sind wie ein altes Ehepaar – unsexy, aber voneinander lassen können sie auch nicht

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Hans Eichel, 71, war Bundesfinanzminister in der rot-grünen Bundesregierung

Man muss auf Rot-Grün hoffen. Es ist die Konstellation, die in wichtigen Fragen die größten Gemeinsamkeiten aufweist: Einigkeit über einen gesetzlichen Mindestlohn, über die denkbar härteste Gangart gegen Steuerhinterziehung und einen größeren Beitrag der Besserverdienenden zur Finanzierung unserer Zukunftsaufgaben. Finanzmärkte, die dem Allgemeinwohl dienen, bessere Bildung und Betreuung für alle Kinder, auch um unseren Wohlstand zu sichern, gleiche Bezahlung für Frauen wie Männer, die konsequente Umsetzung der Energiewende und eine offensiv auf die Einigung Europas ausgerichtete Politik. Das alles kann Rot-Grün besser als Schwarz-Gelb, und professioneller regieren auch.

Sigrid Leuschner, 61, wechselte im Niedersächsischen Landtag von der SPD zur Linken

Wenn es ein Rot-Rot-Grün ist, ja, denn ein politischer Wechsel in Niedersachsen ist längst überfällig. Das Land ist seit Amtsantritt der Wulff-Regierung einer der Vorreiter des Sozialabbaus in der Bundesrepublik. Wenn wir als Linke unser Wählerpotenzial mobilisieren können, könnte uns ein Einzug in den Landtag gelingen. Ich hoffe auf eine große Mehrheit von SPD, Grünen und Linken – und dass die FDP nicht in den Landtag einzieht. Wir brauchen die Linke für einen Ausbau der Arbeitnehmerrechte, für mehr soziale Gerechtigkeit. Das waren immer die Punkte, in denen ich als frühere SPD-lerin mit den Linken Schnittmengen hatte.

Stefan Wenzel, 50, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Niedersächsischen Landtag

Wir gehen von einem Wahlsieg aus, weil der Trend mit den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein eindeutig Rot-Grün ist. Trotz hoher Sympathiewerte für Angela Merkel, wächst der Wunsch nach echter Bürgerbeteiligung. Die Energiewende, mehr Bildungsgerechtigkeit, eine gesunde Ernährung und die Umstellung der Landwirtschaft sowie die Folgen des demografischen Wandels, können mit einem „Weiter so“ nicht bewältigt werden. Alle Umfragen der letzten Wochen weisen darauf hin, dass CDU und FDP ihre Regierungsmehrheit verlieren. Selten zuvor war der Wettbewerb um die besten Ideen für die Zukunft Niedersachsens zugespitzter als bei dieser Wahl.

Rupert von Plottnitz, 72, war Minister der ersten rot-grünen Koalition in Hessen

Nur weil Steinbrück noch Probleme mit dem Blick fürs Wesentliche hat, besteht kein Grund, die Flinte ins Korn von Schwarz-Gelb zu werfen. Der Koalition fällt nichts ein, als die Beschwörung von Wettbewerbsfähigkeit und Schuldenbremse. Bei deutscher Steuerhinterziehung mit Hilfe der Schweiz explodiert ihre politische Tatkraft aber. Im Umgang mit neuen und alten Nazis im Lande beharrt Schwarz-Gelb noch immer auf einer sogenannten Extremismus-Klausel, die jenen Knüppel in die Beine wirft, die sich gegen den neonazistischen Ungeist wehren und für die Demokratie engagieren. Mit Rot-Grün mag sich die Hoffnung auf politische Alternativen schwertun, mit Schwarz-Gelb wäre sie illusorisch.

Nein

Jasmin Riebensahm, 32, bezieht Hartz-IV-Leistungen und lebt in Berlin

Als Hartz-IV-Empfängerin bin ich selbst davon betroffen, dass im deutschen Sozialsystem vieles schiefläuft. Ich wünsche mir mehr Gerechtigkeit; gerade Hartz IV sollte dringend überarbeitet werden. Konkret zum Beispiel die Wohnkosten. Sie orientieren sich am Mietspiegel – aber gerade in Berlin ist der steinzeitlich. Falls wir im September eine Bundesregierung mit SPD und Grünen haben, wird es vielleicht leichte Verbesserungen geben. Aber Hoffnung wäre zu viel gesagt. Für mich hält das Parteiensystem keine Alternativen bereit. Das führt dazu, dass ich nicht mehr wählen gehe und mich stattdessen für einzelne Projekte engagiere, zum Beispiel gegen die Bebauung des Flughafengeländes Tempelhof.

Paul Nolte, 49, Geschichtsprofessor, ist Autor von „Was ist Demokratie?“

Worauf sollte man da „hoffen“? In den letzten 15 Jahren hatten wir vier verschiedene Konstellationen. Die Bündnisse werden kurzlebiger und pragmatischer. Das erste Rot-Grün 1998 war zugleich das letzte große Projekt: weitgespannte Hoffnungen, klare Reformvorhaben. Rot-Grün 2013 würde sich dazu verhalten, wie Schwarz-Gelb 2009 zu 1982. Ein Kabinett Steinbrück/Trittin könnte nicht so viel anders machen. Probleme sind nicht mehr durch die Ablösung einer „rechten“ durch eine „linke“ Koalition zu lösen. Die Konflikte sind anders gelagert: Europa und Nationalstaaten, Volksprotest und Parlamente – in solchen Spannungen wird Demokratie codiert.

Elisabeth Unruh, 86, engagiert sich seit 25 Jahren im Friedensbündnis Oldenburg

Seit der Einmischung im Kosovo-Krieg habe ich mich von den Grünen entfernt. Ebenso ist die SPD seit Gerhard Schröder für mich uninteressant geworden: Zu viele falsche Versprechungen sind gemacht worden, viel zu wenig hat sich verändert. Es fehlt immer mehr an Transparenz und es gibt einfach zu viele Kompromisse in der rot-grünen Politik. Ich habe mich immer sozial engagiert, insbesondere im Friedensbündnis. Daher ist es für mich persönlich eine wirkliche Enttäuschung, wie wenig Unterstützung präventive Friedensarbeit von diesen Parteien erhält. Da müssen wirklich neue, frische Ansätze her. Deshalb bin ich für einen Wechsel. Bei der kommenden Wahl kriegt Die Linke meine Stimme.

Sigrid Schroff, 43, ist taz-Leserin und hat unseren Streit auf taz.de kommentiert

Solange Rot-Grün neoliberal und wachstumsdiktierend daherkommt, sind diese Parteien für mich keine Option mehr. Wie so viele in Politik und Gesellschaft glauben sie, dass Arbeitslose und Kranke „selbst schuld“ seien und sich durch den Sozialstaat schmarotzen. Solange es in den Parteien keine Lösungsvorschläge für die Einführung eines bedingungslosen – und damit menschenwürdigen – Grundeinkommens gibt, ist Rot-Grün für mich nicht mehr wählbar. Dann schätze ich eher die unverblümte Ehrlichkeit jener Parteien, die gegen Frauenquote, konsequente Energiewende und Bildungsgleichheit eintreten – auch wenn ich sie nicht wählen kann. Meine Stimme geht an … wenn ich das wüsste!

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