Verteiler Der Weltzukunftsrat scannt die Parlamente der Welt nach sinnvollen Gesetzen – und lobbyiert für deren Übernahme in anderen Ländern: Regeln für eine enkeltaugliche Zukunft
Von Annette Jensen
Beim deutschen Stromverbraucher als unfaire Mehrbelastung diskutiert, im Ausland gefeiert: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist das Herzstück der Energiewende. Dass es inzwischen von rund 40 Ländern und noch mehr Regionen in der Welt übernommen wurde, ist auch dem Weltzukunftsrat zu verdanken. Er sorgte für eine Übersetzung des Textes ins Englische, veröffentlichte Bücher und einen Film und organisierte Informationsveranstaltungen für Parlamentarier*innen aus aller Welt.
Der Weltzukunftsrat will die Stimme künftiger Generationen in die heutige Politik einbringen. Dazu sammelt die in Hamburg ansässige Stiftung die besten Gesetze und staatlichen Regelungen weltweit und prüft, ob sie auch tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden. Dann macht sie gezielt Parlamentarier und Bürgermeister*innen in anderen Ländern darauf aufmerksam und versucht sie dabei zu unterstützen, ähnliche Regelungen einzuführen.
„Viele Organisationen kritisieren die Gegenwart oder entwickeln Visionen für eine nachhaltige Zukunft. Wir konzentrieren uns auf die Frage, wie man konkret dahin kommt“, sagt Jakob von Uexküll. Vor acht Jahren hat der Stifter des alternativen Nobelpreises den Weltzukunftsrat gegründet. Mitglieder sind 50 hochengagierte Menschen aus aller Welt – neben mehreren alternativen Nobelpreisträgern wie der Agrarexpertin Vandana Shiva aus Indien oder dem „Barfußökonomen“ Manfred Max-Neef aus Chile sitzen darin Leute wie der Leiter der äthiopischen Umweltschutzbehörde, eine nigerianische Bürgerrechtlerin oder der Gründer des weltweiten Netzwerks zur Abschaffung von Atomwaffen aus Neuseeland.
Einmal im Jahr trifft sich die Gruppe eine Woche lang und entscheidet danach, zu welchem Thema verbreitungswürdige Gesetze gesucht werden. Das reicht von Wald- und Artenschutz über Abrüstung bis zu Kinderrechten wie in diesem Jahr. Expertengruppen prüfen die eingehenden Vorschläge, im Herbst werden die drei besten staatlichen Regelungen ausgezeichnet. Darüber hinaus betreibt der Weltzukunftsrat eine Datenbank und veranstaltet gezielt Workshops, bei der Vorreiter ihre Erfahrungen und Erfolgsrezepte weitergeben können.
So reisten mehrere Bürgermeister aus Namibia in die brasilianische Großstadt Belo Horizonte. Trotz großer Armut steht dort das Recht auf Nahrung nicht nur auf dem Papier, sondern wird durch ein Bündel von Maßnahmen tatsächlich eingelöst. Kinder in den Favelas bekommen neben gesundem Essen auch Unterricht über eine ausgewogene Ernährung und Gemüseanbau und in großen Kantinen kann jeder Erwachsene für einen halben Dollar ein warmes, schmackhaftes Essen zu sich nehmen. Kleinbauern müssen keine Standgebühren bezahlen, wenn sie ihre Ernte in der Stadt verkaufen wollen, und auf bestimmten Wochenmärkten sind die Händler verpflichtet, 20 Basislebensmittel zu Niedrigstpreisen anzubieten. Nun will die Bürgermeisterin von Windhoek Ähnliches in ihrer Stadt aufbauen.
Auch bei der Verbreitung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes funktionierte das Schneeballprinzp: Einem teilnehmenden Labour-Abgeordneten gelang es, in Großbritannien ausreichend Unterstützung zu mobilisieren. Aus Japan kam die Bitte, einen Fachkundigen nach Tokio zu schicken. Und im südafrikanischen Gesetz gibt es sogar einen Hinweis auf den Mittler aus Hamburg.
Nachdem der Weltzukunftsrat in den ersten drei Jahren eine Anschubfinanzierung durch die Stadt Hamburg und die Otto-Stiftung bekommen hatte, muss sich die Organisation seither durch Spenden finanzieren. Den 2-Millionen-Etat zusammenzubekommen, ist mühsam.
„Gesetze bewegen nicht das Herz, aber sie begrenzen die Macht der Herzlosen, hat Martin Luther King gesagt“, sagt von Uexküll. „Vielen Leuten gehtes beim Spenden aber ums Herz.“
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