piwik no script img

Wie brutal darf‘s denn sein?

SCHAUSPIEL Lange war es still um das Rudolf-Höhns-Theater Pschyrembel. Jetzt ist das „Theater mit Menschen mit Behinderung“ mit einem doppelten Kafka zurück

Gelungene Integration? Manni Laudenbach in Kafkas „Bericht für eine Akademie“   Foto: Marianne Menke

von Andreas Schnell

Kein runder Geburtstag, kein Jubiläum – und doch gibt es zur neuen Saison gleich zweimal Kafka in Bremen, in der kommenden Woche hat am Theater Bremen „Das Schloss“ Premiere, am vergangenen Donnerstag präsentierte das Theater Pschyrembel einen knapp zweistündigen Abend mit monologischen Bühnenfassungen der Erzählungen „Ein Bericht für eine Akademie“ und „Die Verwandlung“.

Klar, Kafka geht ja irgendwie immer – und bewahrt sich gleichwohl stets ein Geheimnis, irgendwo im dunkel schimmernden Nukleus seiner Werke, die er, wie wir schon in der Schule gelernt haben, eigentlich ja auch zumindest zum größeren Teil der Welt nicht entdeckt haben wollte. Aber dann: Ist das denn wirklich alles so geheimnisvoll-auratisch?

Gerade die Zusammenlegung der beiden Klassiker durch das Theater Pschyrembel erschließt uns eine ganz uns gar zeitgenössische Ebene darin, die alles andere als weit hergeholt ist. In den beiden Metamorphosen, die Kafka zeichnet, einmal die vom Menschen zum Insekt, vom Familienmitglied zur Persona non grata, zum Parasit, den es loszuwerden gilt, zum anderen die vom Affen zum Menschen, können wir so etwas wie die Dialektik der Sozialisation erkennen, die hier durchaus etwas Gewalttätiges hat, denn wo der Mensch Gregor Samsa ohne eigenes Zutun funktionsunfähig wird, wird er auch zum Problem. Für seinen Arbeitgeber, für seine Familie und damit auch für sich selbst.

Der Ex-Affe Rotpeter hingegen erkennt, dass so etwas wie ein selbstbestimmtes Leben nur möglich ist, wenn er sich der ihn umgebenden Gesellschaft so weit anpasst, dass sie ihn als Subjekt akzeptiert, in seinem Fall ist das die Eignung zum Unterhaltungskünstler: Käfig oder Varieté – wer würde sich da schon für den Käfig entscheiden.

In den beiden Metamorphosen lässt sich die Dialektik der Sozialisation erkennen

Rudolf Höhn hat diese beiden Erzählungen für das Theater Pschyrembel als Monologe in Szene gesetzt, mit wenigen Mitteln, ein paar Stühle in der „Verwandlung“, dazu noch ein Schlagzeug für den „Bericht für eine Akademie“. Martina Reicksmann hat die nicht ganz leichte Aufgabe, aus der „Verwandlung“ Bühnenwirkung herauszukitzeln, einer Geschichte, die schließlich mit brutalen Bildern spielt, wenn Gregor Samsas Vater mit Äpfeln auf seinen insektgewordenen Sohn wirft und ihn – schließlich tödlich – verletzt, als ein Apfel den Panzer durchschlägt. Reicksmann verzichtet darauf, das Grausige allzu plastisch zeigen zu wollen. Sie fokussiert den sorgsam zurechtgestrichenen Text, deutet nur gelegentlich an, wie der arme Samsa auf einem Bett liegt und sich in andere Stellungen zu rollen versucht.

Manni Laudenbach, der den „Bericht für eine Akademie“ erstattet, legt da schon ganz anders vor. In die Pause hinein donnert sein Schlagzeug, das er so lange schlägt, bis sich das Publikum wieder eingefunden hat – und auch danach noch, um seinen Vortrag zu strukturieren. Im Frack mit Glitzer-Revers und Fliege hat Laudenbach, der seit 15 Jahren Mitglied des Pschyrembel-Ensembles, aber auch immer wieder in internationalen Kinoproduktionen zu sehen ist, deutlich leichteres Spiel, seine Geschichte zu erzählen. Nicht nur, weil der Text schon viel szenischer, rhetorischer ist. Auch weil er bei aller satirischen Schärfe die Differenz zwischen so etwas wie Gesellschaft und einem zu disziplinierenden Individuum weniger martialisch bebildert. Laudenbach nimmt diese Vorlage glänzend auf, kann hier als Schauspieler von seinen musikalischen und entertainerischen Qualitäten profitieren.

Womit dem Theater Pschyrembel nun ein durchaus sehenswertes Comeback gelungen ist, das angenehm unprätentiös und unaufdringlich eine Lesart präsentiert, die nicht unbedingt revolutionär ist, aber in die Zeit passt. Denn die Funktionalität des Individuums in der Gesellschaft steht ja auch im Zentrum der Debatte um Migration. Insofern fragt dieser Abend implizit auch nach dem Umgang mit dem kulturell Fremden und danach, wie brutal denn Integration sein darf.

Nächste Vorstellungen: Samstag, 12. 9., 19.30 Uhr, Samstag, 19. 9., 19 Uhr, Theater am Leibnizplatz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen