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Abschalten durch Bildung

LERNEN Alle ArbeitnehmerInnen haben einen gesetzlichen Anspruch auf Bildungsurlaub. Die Nachfrage ist trotz attraktiver Kursangebote allerdings immer noch gering

Auch als Bildungsurlaub möglich: ein Seminar zur Burnout-Prävention auf Wangerooge  Foto: Carmen Jaspersen/ dpa

von Gareth Joswig

„Constant Multi-Tasking Craziness“: Damit meint die Medienwissenschaft den Nimbus der ständigen Erreichbarkeit im Internetzeitalter. Zugespitzt: Zu viele Menschen checken ihre Mails nach Feierabend per Smartphone auf der Toilette. Zu wenige schalten im digitalen Zeitalter nach der Arbeit tatsächlich ab. Was tun? Ein Instrument, das laut Gewerkschaft Ver.di im Kampf gegen den „Zwang der Erreichbarkeit“ helfen kann, ist längst nicht in den Köpfen aller ArbeitnehmerInnen präsent: der Bildungsurlaub.

Alle Vollzeit-ArbeitnehmerInnen haben zusätzlich zum normalen Urlaub einen gesetzlichen Anspruch auf jährlich fünf Tage bezahlte Bildungsfreistellung. Laut Thomas Adolf vom Bildungswerk Ver.di in Hannover besteht der „Charme des Bildungsurlaubs darin, dass es keine Prüfungs- und Leistungskontrollen gibt“. Es soll ungezwungenes Lernen ohne Erfolgsdruck sein. Man erhält zwar ein Zertifikat nach Abschluss eines Seminars, aber Stress soll bei den Seminaren vermieden werden.

Das Seminarangebot von Ver.di liest sich stellenweise wie ein Prospekt aus dem Reisebüro: „Auf den Spuren der Römer in der Moselregion“, „Krakau – die heimliche Hauptstadt Polens“ oder „Weltkulturerbe Oberharzer Wasserwirtschaft“. Ebenso finden sich Seminare zu „Burnout-Prävention“, „Überzeugen durch Rhetorik und Sprache“ oder „Einführung in das NLP“, die etwa auf Wangerooge stattfinden. Andere Bildungsträger bieten unterschiedlichste Sprachkurse an, meist eine Domäne der Volkshochschulen (VHS), wie etwa „Brush up your English in Brighton“.

Die meisten Kurse kosten zwischen knapp 100 Euro bei Wochenkursen an der VHS Osterholz-Scharmbeck und Fahrradausflügen ins Teufelsmoor bis zu 700 Euro bei einwöchigen Auslandsaufenthalten, Hotelübernachtungen inbegriffen.

Dabei müssen die Seminare nicht direkt mit dem Berufsbild zu tun haben, dürfen allerdings auch nicht ganz abwegig sein: Auch der Arbeitgeber soll durch pointierte Weiterbildung profitieren – dieser „Mindestnutzen“ soll durch eine halbstaatliche Stelle gewährleistet sein, die überprüft, ob sich Kurse nach festen Kriterien den Kernbereichen „Kompetenzen für Arbeitsleben“, „Gesundheit und Stressbewältigung“, „Ökologie“, „Politik und Gesellschaft“ sowie „Fremdsprachen“ zuordnen lassen.

Bei einem Antrag auf Bildungsurlaub müssen Arbeitnehmer darauf achten, dass das gewünschte Seminar auch für ihr Bundesland genehmigt ist. Dort gibt es zuweilen Unterschiede: So kostet seit 2011 dank der alten CDU-Regierung unter Carstensen in Schleswig-Holstein etwa die Anerkennung eines länderfremden Kurses bis zu 74 Euro, die auf die ArbeitnehmerIn abgewälzt werden.

Ver.di-Pädagoge Adolf weist zudem darauf hin, dass es wichtig sei, Antragsformalitäten und Fristen einzuhalten, da der Arbeitgeber ansonsten den Bildungsurlaub leicht ablehnen kann. Eine Übersicht zur länderspezifischen Regelungen sowie eine Datenbank mit über 3.000 Seminaren findet sich im Internet unter www.bildungsurlaub.de.

Ursprünglich sollte der Bildungsurlaub der allgemeinen, politischen sowie gewerkschaftlichen und beruflichen Weiterbildung dienen. Die Freistellung sollte ein Baustein im Konzept des „Lebenslangen Lernens“ sein, das 1962 die UNESCO erstmals forderte und zumindest als vage Floskel Eingang in fast alle bildungspolitischen Parteiprogramme gefunden hat.

Der Arbeitgeber kann Bildungsurlaub nur im Einzelfall und mit schriftlicher Begründung ablehnen – etwa bei nachweislicher Unentbehrlichkeit am Arbeitsplatz

Das Ziel: Aktive gesellschaftliche Partizipation durch Bildung, die durch einmaliges (hoch-)schulisches Lernen so nicht gegeben wäre. Ratifiziert wurde diese politische Willensbekundung auf Bundesebene bereits 1976, und durch Ländergesetzgebung wurde sie nach und nach eingeführt.

Das Recht auf den Bildungsurlaub hat demnach grundsätzlich jeder, der seit einem halben Jahr beschäftigt in einem Betrieb arbeitet, der mindestens zwanzig Personen umfasst. Der Arbeitgeber kann nur im Einzelfall und mit schriftlicher Begründung ablehnen – etwa bei nachweislicher Unentbehrlichkeit am Arbeitsplatz oder wenn Kollegen im selben Zeitraum normalen Urlaub wahrnehmen, der Vorrang hat.

Wenn sich der Arbeitgeber ohne einen dieser Gründe gegen das Recht auf Bildungsfreistellung wehrt, rät Adolf zu Beharrlichkeit. Die Erfahrung zeige, dass spätestens der zweite Antrag Erfolg habe, zumal aufgeschoben nicht aufgehoben sei: Nicht wahrgenommener Bildungsurlaub lässt sich in den meisten Bundesländern ins nächste Jahr übertragen.

Dennoch nehmen in Norddeutschland lediglich ein bis zwei Prozent aller ArbeitnehmerInnen die Bildungsfreistellung in Anspruch. Nicht für alle Länder gibt es jedoch mangels Erfassung eindeutige und aktuelle Zahlen. In der Agentur für Erwachsenenbildung in Hannover, wo die Seminare für Niedersachsen anerkannt werden, nimmt man immerhin eine steigende Nachfrage wahr.

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