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Kleine Klangkunde

NEUE MUSIK „Mikromusik“ geht den verschiedenen Mikrokonstellationen in der Tonkunst nach. Das Spektrum reicht von Mikrotonalität bis Mikrofonie – und legendäre Musiker sind zu Gast

Hier könnte man Klänge aus der Berliner Unterwelt und vom Bahnhof Gesundbrunnen hören: Karen Powers Installation Foto: Karen Power/Mikromusik

von Tim Caspar Boehme

Klein ist schön. Sagen die Ökonomen. Klein ist schön, kann man auch sagen, wenn einem der Blick für das große Ganze abhandengekommen ist. Oder wenn man die großen ­Strukturen besser verstehen will und sich zu diesem Zweck ihren – kleineren – Bestandteilen zuwendet. Was in der Wissenschaft Normalbetrieb ist, haben seit einiger Zeit auch die Künste zur Strategie gemacht, und sie zerlegen ihr eigenes Material in seine Partikel oder schalten halt eine Ebene tiefer. Einen Überblick über das Spektrum der Möglichkeiten, in der Musik nach Mikrostrukturen zu suchen, gibt von Mittwoch an das Festival Mikromusik, das an Orten wie der Villa Elisabeth und der Sophienkirche mit einem durchaus heterogenen Programm aufwartet.

Worum geht es bei „Mikromusik“? Die Wahl des Titels nennt der Veranstalter, das Berliner Künstlerprogramm des DAAD, ein Spiel mit der Mehrdeutigkeit des Begriffs. Mikrotonale Musik gehört genauso dazu wie Mikroräume, Mikroevents und „mikrofonierte oder mikroskopierte Realitäten“. Dinge, die auf den ersten Blick nicht alle nach Musik klingen.

Die Klänge der Welt

Am einfachsten zu erklären ist vielleicht die Mikrofonie. Hier geht es tatsächlich um die Klänge der „Welt“, die über Mikrofone aufgefangen werden, seien es die gewöhnlichen Kondensatormikrofone, die Schwingungen aus der Luft auffangen, oder Kontaktmikrofone, die zum Beispiel die Fließgeräusche in einem Rohr registrieren können. Oder die Aktivität in einem Kaktus.

Die irische Komponistin Karen Power, die das Festival am Mittwoch mit der Installation „Once Below“ in der Kapelle der Versöhnung eröffnet, arbeitet mit Umweltaufnahmen, die sie in ihren Stücken verwendet. „Sound­scapes“ heißen die Klanglandschaften, die man mit diesem Verfahren dokumentiert – so hatte sich das zumindest der kanadische Komponist R. Murray Schafer gedacht, als er den Begriff für sein Projekt eines akustischen Umweltarchivs in den sechziger Jahren prägte. ­Karen Power hat für ihre neue Arbeit die Klänge der Berliner Unterwelt in Tunnelsystemen und ehemaligen Bunkern unter dem Bahnhof Gesundbrunnen gesammelt und dann mit den Tönen einzelner In­strumente wie Bratsche und Glissandoflöte kombiniert.

„Soundscapes“ nannte Komponist R. Murray Schafer die Klanglandschaften

In der mikrotonalen Musik hingegen erforschen Musiker das Spektrum von Intervallen, die in den üblichen westlichen Tonleitern nicht vorkommen. Vierteltöne, die auf halber Strecke zwischen den Halbtönen liegen, sind eine der häufigsten Form von Mikrotonalität. Es geht aber noch deutlich kleiner. Der brasilianische Komponist Gustavo Alfaix etwa hat eine „Klanginstallation für 36 mikrotonale, äolische, akustische Gitarren nach Aufzeichnungen von Walter Smetak“ erstellt, die von Donnerstag an auf dem Dachboden der Sophienkirche zu erleben ist. Walter Smetak, Schweizer Komponist und Wahlbrasilianer, hat zahlreiche theoretische Schriften zur Mikrotonalität hinterlassen, von denen sich Alfaix zu seinem automatisierten Gitarrenensemble inspirieren ließ.

Über das Präfix „mikro“ hinaus haben diese beiden Ansätze, Mikrofonie und Mikrotonalität, erst einmal wenig miteinander zu tun, was auch für das Streichquartett „Fragmente – Stille, An Diotima“ des Italieners Luigi Nono gilt, das ebenfalls am Donnerstag, eine Etage tiefer in der Sophienkirche, vom Quator Dio­tima dargeboten wird. In diesem Fall mag man über konzeptuelle Fragen hinwegsehen, weil die Musik einfach zu großartig ist, um sie nicht im Programm haben zu wollen.

Auch die „Mikroevents“, mit denen das britische Improvisationsensemble AMM angekündigt ist, wirken ein bisschen wie ein forciertes Konstrukt. AMM zählten in den sechziger Jahren zu den ersten freien Improvisationsgruppen überhaupt und sind in wechselnden Konstellationen in Erscheinung getreten. Am Freitag spielen sie in der Besetzung mit John Tilbury, Klavier, und Eddie Prévost, Schlagzeug, in der St.-Elisabeth-Kirche, wo sie auf die Beiruter Improvisationsmusiker des A-Trios treffen. Die Ideen des Augenblicks, denen dabei nachgegangen werden soll, mögen kleineren Formats sein als die großen Bögen einer Komposition. Doch auch hier wären prinzipielle Einwände wenig hilfreich. Legendäre Musiker wie Tilbury und Prevost enttäuschen selten, ob nun mikro oder nicht. Apropos: Was ist eigentlich mit der vor einigen Jahren noch sehr populären Granularsynthese, die Klänge in ihre Obertonmoleküle zerlegt?

Mikromusik, 26.–30. August, verschiedene Orte, Programm unter www.berliner-kuenstler­programm.de

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