Hier, am Kottbusser Tor, nahm die aktuelle Mietenbewegung vor gut vier Jahren ihren Anfang Foto: Christian Mang

Ein Durchbruch sieht anders aus

Mietenvolksentscheid Die Einigung mit dem Senat ist für viele Miet-AktivistInnen zwar ein erster Erfolg. Doch ein neues Volksbegehren könnte schon bald kommen

Von Malene Gürgen

An der Holzhütte der Initiative Kotti & Co am Kottbusser Tor sieht es Ende der Woche aus wie immer: Drei Frauen sitzen bei einem Tee zusammen, ein Plakat ruft zur nächsten Demo auf. Moment – ist mit dem Kompromiss zwischen Senat und der Initiative Mietenvolksentscheid, an der Kotti & Co maßgeblich beteiligt ist, nicht „das Beste für die Mieterinnen und Mieter“ schon erreicht, wie es Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) formuliert hat? Können sich die mietenpolitischen Gruppen nicht zurücklehnen, weil sie ein Umdenken in der Wohnungspolitik erzwungen haben?

Der größte Erfolg der Initiative ist die Kappung der Mieten in den Sozialwohnungen. Wer mehr als 30 Prozent seines Nettoeinkommens für Miete aufbringen muss, soll den Rest vom Land bezahlt bekommen. MieterInnen mit sehr hohen Betriebskosten sollen bereits ab einer Miete von 24 Prozent des Einkommens unterstützt werden. Von diesen Regelungen werden nach Schätzungen des Senats 20.000 MieterInnen profitieren, laut Initiative könnten es bis zu 50.000 sein.

Die landeseigenen Wohnungsunternehmensollen mehr Wohnungen ankaufen können und bekommen dafür eine Eigenkapitalerhöhungvon 300 Mil­lionen Euro in fünf Jahren. 900 Millionen Euro sind zudem für Neubauförderungvorgesehen. Gewinne sollen in den Unternehmen verbleiben und nicht mehr in den Landeshaushalt abgeführt werden. Die Mietersollen stärker mitreden: Sie erhalten je einen Sitz in den Aufsichtsräten.

Jede zweite frei werdende Wohnung der landeseigenen Unternehmen soll an Menschen mit Wohnberechtigungsschein (WBS)gehen, jede zehnte an Hilfsbedürftige wie Obdachlose oder Flüchtlinge.

Anders als von der Initiative gefordert behalten die landeseigenen Wohnungsunternehmen ihre Rechtsform. Es soll aber eine Anstalt des öffentlichen Rechtsgegründet werden, die politische Leitlinien für die Unternehmen formuliert. Sie soll ein Vetorecht haben und so etwa den Verkauf von Landesbeteiligungen verhindern können.

Der Senat rechnet mit Kostenvon insgesamt 1,4 Milliarden Euro in fünf Jahren.

Das neue Gesetz soll im Herbst vom Abgeordnetenhaus beraten werden und zum Januar 2016 in Kraft treten. ALL

Nein, sagt Ulrike Hamann. „Wir sind erstaunt, dass die Politik sich so weit bewegt hat“, so die Mitbegründerin von Kotti & Co. „Aber wir haben auch gelernt, dass vieles, das zunächst gut aussieht, sich später als Mogelpackung entpuppen kann.“ Es sei noch nicht klar, wer wie stark von dem Gesetzentwurf profitiere – und ob dieser tatsächlich so vorgelegt wird, wie vereinbart wurde. „Möglicherweise steckt der Dissens im Detail – deswegen wird es keine endgültige Einigung geben, so lange wir den Entwurf nicht kennen“, sagt Hamann.

Die Skepsis bleibt

Für Kotti & Co, eine vor vier Jahren aus der nachbarschaftlichen Vernetzung am Kottbusser Tor entstandene Initiative, würde es bei einem Volksentscheid um ihr Kernanliegen gehen: Verbesserungen für die MieterInnen im sozialen Wohnungsbau. Unermüdlich hat die Gruppe in den letzten Jahren demonstriert, Gespräche geführt, Wissen erarbeitet und die Nachbarschaft mobilisiert. Neben viel Aufmerksamkeit ist die mit dem Senat vereinbarte Mietenbegrenzung die erste handfeste Verbesserung, die die Initiative erwirken konnte: Die Kaltmiete für SozialmieterInnen mit einem Haushaltsnettoeinkommen unter 1.400 Euro soll maximal 30 Prozent des Einkommen betragen. Ist sie höher, zahlt das Land.

Für Stadtenwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) ist mit der Einigung „das Beste für die Mieterinnen und Mieter“ erreicht Foto: Paul Zinken/dpa

Dass der angestrebte Mietenvolksentscheid die Politik so vor sich hertreiben konnte, liegt auch an der stadtpolitischen Expertise seiner Initiatoren: von Kotti & Co über den einstigen hessischen Grünen-Abgeordneten Jan Kuhnert hin zum Sprecher Rouzbeh Taheri, einst Wortführer der Berliner WASG. Doch längst nicht alle Ziele sind erreicht, gerade für die MieterInnen am Kotti: „Das Problem der extrem hohen Betriebskosten bleibt bestehen“, betont Hamann.

Der Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen, Eigentümerin vieler Häuser, wirft die Initiative schon lange vor, die MieterInnen über steigende Betriebskosten verdrängen zu wollen. Die Sonderregelung zur Entlastung bei hohen Betriebskosten (siehe Kasten rechts) greift bei diesen Wohnungen nicht, weil die Kosten hier nicht auf mangelnde energetische Sanierung zurückzuführen sind.

Ulrike Hamann, Mitbegründerin von Kotti & Co:

Wir haben auch gelernt, dass vieles, das zunächst gut aussieht, sich später als Mogelpackung entpuppen kann

Ein weiterer Knackpunkt aus Sicht der Bewegung ist die Frage der Mitbestimmungsrechte für MieterInnen. Zwar sieht die Vereinbarung vor, dass im Aufsichtsrat der landeseigenen Unternehmen erstmals auch die MieterInnen einen Sitz haben sollen. Wie viel Bedeutung dieser in dem neunköpfigen Gremium haben wird, ist aber offen. „Durch ihre Minderheitenrolle wird die MieterInnenvertretung keine Chance haben, die Geschäfte der Unternehmen wirklich zu beeinflussen“, kritisiert Hannah Schuster von der Interventionistischen Linken, ebenfalls Teil des Bündnisses. „Der Senat behält alles in der Hand. MieterInnen und soziale Bewegungen sollen nur minimal beteiligt werden.“

Er war einer der Verhandler auf Seiten der Initiative Mietenvolksentscheid: Jan Kuhnert Foto: Markus Waechter/Caro

Auch jenseits des Entwurfs: Die Skepsis gegenüber parlamentarischer Politik sitzt tief in der stadtpolitischen Bewegung. Einige Gruppen beteiligten sich gar nicht erst an dem Bündnis – zu reformistisch seien die Forderungen, zu beschränkt der Gestaltungsspielraum. Dennoch gab der Volksentscheid der gesamten Bewegung Aufwind, nicht zuletzt durch den immensen Erfolg bei der Unterschriftensammlung, die sichtbar machte, wie viele Menschen das Thema umtreibt. „Wenn es wirklich zu einer Einigung kommt, bleibt natürlich die Frage, ob der Wille der vielen Unterstützer damit umgesetzt ist“, sagt Susanne Torka von der Initiative „Wem gehört Moabit“, einer weiteren Gruppe im Bündnis.

Dass dieser Aufwind, sollte der Entscheid zurückgezogen werden, ein schnelles Ende findet, glaubt Ulrike Hamann nicht. „Der Entscheid war immer nur ein Zwischenschritt für uns“, sagt sie. Denn die weitergehende Forderung nach einer Rekommunalisierung des Wohnungsmarkts bleibt bestehen – und auch das Mittel Volksentscheid könnte schneller wieder kommen, als es der SPD lieb ist: „Wir haben noch einige Gesetzesentwürfe zu anderen Mieten-Themen in den Schubladen“, sagt Hamann. Einen zweiten mietenpolitischen Volksentscheid, womöglich mit einem Startschuss schon im kommenden Jahr, hält sie für nicht unwahrscheinlich.

Der Kompromiss ist nur die halbe Miete

WahlkampfIst mit der Einigung beim Mietenvolksbegehren das Thema Wohnen abgeräumt? Nein, meint die Opposition. Denn viele Fragen bleiben weiter offen, betonen Grüne und Linkspartei

von Uwe Rada

Was war das für eine Euphorie! Als die Initiatoren des Mietenvolksbegehrens am 1. Juni die Kartons mit den Unterschriften in der Senatsverwaltung für Inneres abgaben, verkündeten sie stolz diese Zahl: 48.500 Berlinerinnen und Berliner hatten unterschrieben, mehr als doppelt so viele wie erforderlich. Angepeiltes Datum des Volksentscheids war der Herbst 2016, am selben Tag, an dem in Berlin die Wahl zum Abgeordnetenhaus stattfinden würde.

Für die rot-schwarze Landesregierung war das keine besonders rosige Perspektive. Noch am Tag der Übergabe kündigte Bausenator Andreas Geisel (SPD) deshalb an, das Volksbegehren auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen lassen zu wollen. Knapp drei Monate später dann die überraschende Kehrtwende. Geisels Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup hat mit den Initiatoren des Mietenvolksbegehrens einen Kompromiss ausgehandelt, der Urnengang im nächsten Herbst fällt aus. Ist damit auch das Thema Mieten aus dem Wahlkampf raus?

Nein, sagt Udo Wolf. „Wie bei jedem Kompromiss gilt auch hier, dass der Teufel im Detail steckt.“ Für den Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Abgeordnetenhaus steht deshalb die Frage im Vordergrund, wie der Kompromiss umgesetzt werden, „und zwar als Gesetz und dann auch in der Praxis.“

Auch inhaltlich hat die Linke noch ein paar Verbesserungsvorschläge. So halte man am Vorschlag einer sogenannten Richtsatzmiete bei Sozialwohnungen fest. „Damit wird dann nicht nur die öffentliche Hand, sondern auch der Eigentümer zu Kasse gebeten“, so Wolf. Bei einer Richtsatzmiete würde der Senat die Mieten im sozialen Wohnungsbau kappen. Der Kompromiss vom Mittwoch sieht dagegen vor, dass der Senat diejenigen Mieter im so­zia­len Wohnungsbau subventioniert, die mehr als ein Drittel ihres Haushaltsnettoeinkommens für die Miete aufbringen müssen. Die Eigentümer werden also verschont.

Der Markt schafft es nicht

Dennoch freut sich die Linke über den Kompromiss. „Das ist ein großer Fortschritt für die Mieter im sozialen Wohnungsbau und bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften“, so Wolf. „Damit hat sich die mietenpolitische Debatte nach links verschoben, weil klar wurde, dass es der Markt ohne staatliche Eingriffe nicht richtet.“

Auch die Grünen hadern nicht damit, dass ihnen mit dem Mietenvolksbegehren nun ein Hebel im Wahlkampf fehlen wird. „Der Kompromiss ist richtig und gut, weil er in einigen Punkten einen Fortschritt erzielt hat“, sagt der wohnungspolitische Sprecher der Partei im Abgeordnetenhaus, Andreas Otto. „Es gibt aber noch 20 Punkte, in denen es Handlungsbedarf gibt.“

Zu den unerledigten Themen zählen für die Grünen u. a. die Fragen, wo gebaut werden soll, welche neuen Sanierungsgebiete ausgewiesen werden und wie sich die Stadt etwa am Alexanderplatz entwickle. „Ich bin mir sicher, dass Wohnen, Mieten und Stadt­ent­wicklung im Wahlkampf der Grünen eine wichtige Rolle spielen werden“, so Otto.

Vor allem die Neubaupläne des Senats sind es, die von der Opposition kritisch beäugt werden. „Wir werden im Wahlkampf darauf hinweisen, dass man nicht wahllos auf Neubau setzen kann“, sagt Linken-Politiker Wolf und verweist auf die Pläne, an der Michelangelo-Straße in Prenzlauer Berg 1.700 Wohnungen zu errichten.

Ähnlich äußert sich der Grüne Andreas Otto. „Aber mit dem Kompromiss, der jetzt gefunden wurde, wurde der Senat auch dazu gezwungen, sich wieder mehr mit den bestehenden Wohnungen zu beschäftigen.“