: Die Stadt ist voller Platten
MATCH Im Berliner Tischtennisunderground gelten strenge Regeln. Dennoch treffen sich hier Nerds, Migranten, Vereinsspieler, Intellektuelle und Künstler in demonstrativem Laisser-faire
von Andreas Hartmann
Tischtennis ist in Berlin allgegenwärtig. In clubartigen Biergärten wie Birgit&Bier stehen Tischtennisplatten, auf denen sich die Gäste ein paar Bälle um die Ohren hauen können. In Tischtenniskneipen wie Dr. Pong wirft man beim Rundlauf erst die Zielperson für den nächsten Flirt mit einem anständigen Schmetterball raus, um sie danach auf ein Trostbier einzuladen. Um die 1.000 Tischtennis-Spots gäbe es in Berlin, glaubt Peter Ulrich, der eine Website über öffentliche Tischtennisplatten betreibt. Irgendwie scheint das mit dem omnipräsenten Tischtennis eine typisch Berliner Angelegenheit zu sein, denkt das englischsprachige Magazin Ex Berliner.
An Spielplätzen, in Parks, einfach irgendwo im Grünen, die Stadt ist voller Platten, an denen man auf den unterschiedlichsten Niveaus ein Match austragen kann.
Aber wohl nirgendwo in der Stadt geht es so zu wie auf den beiden öffentlichen Tischtennisplatten am Biergarten Jockel am Spreekanal in Kreuzberg. Schon die Platten sind hier anders als die meisten. Sie sind nicht einfach nur Steinplatten auf Sockeln, sondern blau und beschichtet wie „echte“ Platten. Der Ball klackert nicht so unkontrollierbar wie auf dem steinernen Untergrund. Wer hier spielen will, kann aber nicht einfach mit seiner Kelle und einem Ball vorbeischauen, um locker ein paar Bälle zu schlagen. Wer hier spielen will, muss sich dieses Recht erkämpfen.
Täglich ab 12 Uhr mittags drängeln sich die Spieler um die blauen Platten. Aufgrund des Andrangs wird so gut wie immer Doppel gespielt. Wer gewinnt, bleibt an der Platte und kann von der nächsten Paarung gefordert werden. Die Regeln, nach denen gespielt wird, sind oldschool, und man hat sich an diese zu halten: Zwei Gewinnsätze, jeder Satz geht bis 21 Punkte und nicht, wie seit vielen Jahren üblich, bis 11.
Das Niveau, auf dem hier gespielt wird, ist hoch. Walter und Jörg, beide langjährige Vereinsspieler, die immer mal wieder vorbeischauen, gewinnen erst mal kein Match. Schon nach dem ersten Satz ist Walter verschwitzt, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. Er setzt sich nach dem ersten Match erst mal hin und sprüht seinen Schläger mit Schaum ein, damit er wieder griffiger ist.
Auf Vereinsspieler wie Walter blicken die Cracks vom Jockel eher herab. Sie verstehen sich als Straßenspieler, die Rede ist schnell vom „Berliner Tischtennisunderground“. Ein bestimmter Kreis von Leuten trifft sich hier, tagein, tagaus. Das ist ihr Spot hier und sie haben ihn sich selbst eingerichtet.
Weiterbildung an der Kelle
An einer Mauer hat jemand Kleiderhaken angebracht. Damit der Ball nicht immer in Richtung Kanal kullert, wurden ein paar Ballfänge errichtet. Es sind Leute wie Michael, der drei- bis viermal die Woche spielt, die hier ihren Tag verbringen. Er hat gerade keinen Job und wartet auf eine Weiterbildungsmaßnahme vom Jobcenter. So lange er wartet, sagt er, „will ich mich an der Platte verbessern“.
Zum Kreis der etwa 30 Stammspieler gehören die unterschiedlichsten Charaktere. Peter zählt ein paar auf: eine Doktorin der Philosophie, ein seit sechs Monaten hier lebender Nigerianer, ein italienischer Dokumentarfilmer, eine iranische Regisseurin und die in der Berliner Queerszene bekannte DJ Ipek. Der Tischtennis-Spot vor dem Jockel ist ganz offensichtlich auch ein Ort sozialer Integration.
Eine gewisse lässige Grundhaltung gehört bei den Spielern hier mit dazu. Normalerweise gelten Tischtennisspieler als etwas steife Nerds, deren Lieblingsbuch „Der Herr der Ringe“ ist. Hier dagegen hängen lauter Tischtennis-Dudes ab, die wahnsinnig darum bemüht sind, auch beim Schmetterball noch locker zu wirken. Irgendwann holt einer eine Flasche Rotwein raus und ein Joint geht rum.
Der demonstrative Laisser-faire ist jedoch zum großen Teil nur Show. Auch hier wird penibel darauf geachtet, in welchem Zustand das eigene Spielgerät ist. Manche spielen mit Noppen, die auf fiese Weise den Schnitt des Gegners neutralisieren und einer, so erzählt Michael, lege seinen Schläger sogar regelmäßig in Babyöl ein, damit die Beläge wieder besser „ziehen“, wie Tischtennisspieler sagen. Einen solchen Aufwand betreibe nicht einmal er, sagt Vereinsspieler Walter.
Der Coolste jedoch im Jockel ist ein 72-Jähriger namens Günther, der Tischtenniskönig vom Spreekanal. Er, das merkt man sofort, wenn man hier auftaucht, ist der Guru hier und eine echte Größe in der Off-Tischtennisszene Berlins. Als Günther einmal der Schläger geklaut wurde, erzählt Michael, sei ein Mitarbeiter von einem Tischtennisladen in Kreuzberg persönlich beim Jockel vorbeigefahren und habe Günther einen neuen Schläger geschenkt.
Günthers Areal
Günther zu schlagen ist nicht so einfach. Das ist sein Areal, das merkt man sofort. Wird es etwas windiger, wirft er den Ball hoch in die Luft und fängt ihn wieder auf, um zu testen, woher genau der Wind kommt. Günther haut nicht drauf wie ein Wahnsinniger, sondern spielt mit Köpfchen und setzt den Ball geschickt in die Ecken. „Ich kann immer noch mit allen hier mithalten“, sagt er und er sagt das mit einem Selbstbewusstsein, als könne er sich gar nicht vorstellen, dass ihn auch mal jemand schlagen könnte.
Täglich sei er hier, erzählt er, außer vielleicht mal Sonntags. Täglich von 12 bis circa 17 Uhr. Er habe den Tischtennisspot hier entdeckt, berichtet er und er sei der Trainer all der Spieler, die hier regelmäßig auftauchen. Um Günther kreist hier vor dem Jockel alles, er regelt die Abläufe, vor ihm haben alle Respekt.
Als Rudolfo sich in ein Match einfordern will, wird er von Günther einfach kaltgestellt. Rudolfo darf einfach nicht an die Platte. Günther lässt dann verlauten, er solle noch ein wenig üben, wenn er jetzt, am Nachmittag, bei Hochbetrieb, gegen die Cracks antreten wolle. Irgendwann schnappt sich Rudolfo seinen Schläger und rauscht beleidigt ab.
Walter und Jörg jedoch gewinnen endlich ihr erstes Match und freuen sich unheimlich darüber, dass sie nach ihrem Sieg endlich auch einmal einfach an der Platte stehen bleiben dürfen.
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