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Prickeln is over

Nostalgisches Schwelgen in einer Fülle von Material: „Summer of Love“, eine Ausstellung über die psychedelische Kunst der Sechzigerjahre in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt

von HORTENSE PISANO

„Wenn wir gefährlich werden, dann muss das euer Vergnügen sein, wenn wir aber unser Vergnügen fordern, wird das für euch gefährlich werden“, prognostizierten der Künstler Thomas Bayrle und der Grafiker Bernd Brummbär 1969 manifestartig. Gestaltet haben Baryle/Brummbär ihr Plakat vermutlich für den Shop-Club „Heidi Loves You“ – seit Mai 1968 Treff der Frankfurter Undergrounds. Wie gefährlich ist die psychedelische Kunst der Sechzigerjahre für die Wahrnehmung des Betrachters wirklich?

Von Reizarmut kann in der Schirn-Ausstellung „Summer of Love“, die über 350 Arbeiten der Hippiekultur vorstellt, keine Rede sein. Grelles Stroboskoplicht irritiert gleich in der ersten Installation. Silberfolie hängt in Streifen herab, aus zwei Boxen kommt Musik. Schon morgens führt die „Muckebude“ ins Abgeschirmte einer Disco. Die Szenerie ist schlicht, effektvoll, wenngleich weniger intensiv als der Rausch einer durchtanzten Nacht. Dennoch warnt die Schirn vor möglichen epileptischen Anfällen, verursacht durch das Lichtflattern. „That’s not true!“ –für „Summer of Love“ habe man eine ungefährliche Frequenzwelle eingestellt, beschwichtigt ein Künstler aus der Usco-Gruppe. Bereits 1967 war der „Strobe Room“ fürs Museum konzipiert und funktioniert wohl daher auch so gut in der Schirn. Das nervöse Stroboskoplicht kann Empfindungen eröffnen, wie sie unter LSD-Einfluss entstehen und direkt auf die Psyche wirken. Solch eine Attacke aufs zentrale Nervensystem will man Besuchern heute offensichtlich nicht mehr zumuten.

„Nun es ist genau dieses Überfluten der Gehirnregionen – das Hören von Farben, das Sehen von Geräuschen und selbst Gerüchen – das für die bewusstseinserweiterten Drogen charakteristisch ist“, schrieb einer, der sich auskannte. William S. Burroughs, der Erfinder der „cut-up“-Technik, hat mit allen möglichen Drogen experimentiert und seine Erfahrungen literarisch festgehalten. Nicht die Beat-Generation, jene „geschlagene Generation“, wie sie sich selbst nannte, kommt in der Schirn zu Wort. Hier geht es einzig und allein um die Versuche der Blumenkinder, sich von den gesellschaftlichen Konditionierungen ihrer Eltern freizumachen. Der Beat dieser Generation war bekanntlich schrill und laut, anturnend wie die E-Gitarre von Jimi Hendrix oder rauchig verkratzt wie Janis Joplins Stimme. Visuell drückte sich die „friedliche Revolution“ in sexuell freizügigen Darstellungen aus, op-artigen Grafiken, konzentrischen Mustern und blumigen Dekors. „Als Kitsch wird die Ästhetik bislang abgewertet.“ Christoph Grunenberg, Kurator der Schau und Direktor an der Tate Liverpool, würde mit seinem grauen Anzug und Krawatte gerade mal als Beatnik durchgehen. Man sehe es ihm nicht an, doch der 1962 in Frankfurt geborene Grunenberg habe geradezu einen „Spleen“ für die psychedelische Kunst entwickelt, versichert Hausherr Max Hollein.

Tatsächlich ist die Fülle an Zeitdokumenten aus New York, London, San Francisco, Wien oder Frankfurt immens. Der Wunsch, die Populärkultur „endlich“ in einen institutionellen Rahmen auszustellen, hat den Machern aber die Sicht aufs einst so prickelnde Lebensgefühl genommen. Zu entdecken gibt es auf den Fotografien viele glückliche Stars wie die Beatles oder „Love & Peace“-Apostel Allen Ginsberg während eines „Be-in: 1967“. Statt eines fließenden All-overs, das den ganzen Raum einhüllt, bilden die Cover von Büchern, Zeitschriften und Platten jedoch ein geordnetes Nebeneinander an der Wand. Eine Sit-in-Zone zum Lesen oder ein DJ-Pult hätten den „Summer of Love“ von 1967 viel besser charakterisiert. Allein in Verner Pantons Wohlfühlhöhle „Phantasy Landscape Visiona“ wachsen amorphe Formen in den Innenraum. Durch mehrere Farbzonen hindurch, deren Nuancen an Grafikmusterkarten erinnern, öffnet sich ein Fenster auf eine Diaprojektion. Tropfen ziehen am Auge vorbei. Sie könnten aus Blut oder Limonade sein. Denn mit diesen Essenzen haben Mark Boyle und Joan Hills ab 1962 experimentiert. Ihre so gefüllten Glasdias wurden zu Konzerten an die Clubwände des Londoner Kellers „UFO“ projiziert.

„Es geht mir um dieses totale Erlebnis aus Musik, Tanz und Lichtshows“, so der Kurator über die Intention seiner Schau. Doch das synästhetische Erlebnis bleibt insgesamt gesehen aus. Der angestrebte Rausch kann sich schon deshalb nicht einstellen, weil die Lichtshows ursprünglich an Orten stattfanden, die sich bewusst vom Kunstkontext abhoben. Die Rekonstruktion der Boyle/Hills-Installation wirkt daher wie die Hülle ohne Körper, Effekte ohne den Tanzboden.

Trotz ihres wichtigen Schlaglichts auf die Hippiekultur verbleibt die Präsentation auf der Dokumentationsebene. Statt des nostalgischen Schwelgens hätte man die Grenzen des eigenen Wirkungskreises überwinden sollen – und etwa Parallelen zur zeitgleichen Performancekunst ziehen können, die mit ähnlichen Mitteln – Körper, Raum, Zeit, Wiederholung – arbeitete. Was ist mit Vorläufern wie der informellen Malerei, die ebenfalls das Unterbewusste ergründete? Auf solche Fragen nach Antworten zu suchen, wurde in der Frankfurter Version des „Summer of Love“ verpasst.

Bis zum 12. Februar in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main

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