Jutta Lietsch über die Reaktion Chinas auf die Katastrophe von Tianjin: Ein letzter Weckruf
Die Katastrophe im Hafen von Tianjin erinnert an etwas, was oft aus dem Blick gerät: Ungeheure Mengen gefährlicher Werkstoffe werden täglich bewegt, um die Fabriken und Kraftwerke Chinas, der inzwischen zweitgrößten Wirtschaftsnation, zu versorgen. Einige der größten Chemiekomplexe der Welt liegen an den Küsten und am Yangtse.
Dass es da zu Unfällen kommen kann, ist nicht erstaunlich. Zumal Institutionen, die für Arbeitssicherheit und Umweltschutz sorgen sollen, kaum mit dem Wirtschaftswachstum Schritt halten konnten. Aber schlimmer ist: Die Regierung tut alles, um zu verhindern, dass sich die Öffentlichkeit oder Anwohner engagieren, um verbrecherischen Unternehmen auf die Finger zu schauen. Dabei weiß man, dass es vernünftige Schutzgesetze nur dort gibt, wo sie gegen die Industrielobby erkämpft worden sind.
In China aber machen jüngst erlassene Sicherheitsgesetze es den Anwohnern noch schwerer, sich zu organisieren. Nach den Explosionen reagiert die Regierung in Peking auf gewohnte Weise: Sie kündigt Kontrollen von Chemiewerken und Lagerhäusern an – und versucht, die kursierenden Informationen zu zensieren. So wächst das Misstrauen gegenüber den Politikern.
Doch die Katastrophe von Tianjin ist ein Weckruf. Die chinesische Regierung muss sich öffnen, statt ihre eigene Bevölkerung zu fürchten. Es reicht doch schon lange nicht mehr, dass hinter verschlossenen Türen über den Umgang mit den Gefahren moderner Industrien verhandelt wird – chinesische und ausländische Umweltaktivisten und Arbeitsschützer müssen in der Öffentlichkeit ihre Erfahrungen austauschen: Wie kann die Arbeit der Kontrollbehörden verbessert werden? Wie können Rechte der Anwohner und Arbeiter durchgesetzt werden? Hier ist auch die Zusammenarbeit chinesischer und internationaler Journalisten gefragt, um etwa die Wege gefährlicher Güter zu recherchieren. Es ist höchste Zeit.
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