: Den (Stadt-)Rand gestalten
Antirassismus Mit dem rand.gestalten-Festival setzen Aktivist*innenin Marzahn-Hellersdorf ein Zeichen gegen rechte Umtriebe und Gewalt
von Theo Schneider
Berlin-Marzahn kommt weiterhin nicht zur Ruhe: Auch wenn die rassistischen Aufmärsche seit Oktober letzten Jahres gegen eine geplante Asylunterkunft mit deren Eröffnung endlich ein Ende gefunden haben, bleibt die Situation für die Bewohner der Einrichtung am Blumberger Damm weiterhin angespannt.
Dass die Teilnehmerzahlen bei den rechten Aufmärschen, zu denen im November fast 1.000 Menschen kamen, stetig abnahmen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich ein fester Kern an Neonazis und Flüchtlingsfeinden im Bezirk etabliert hat.
So berichtet die Antirassistische Registerstelle an der Alice Salomon Hochschule Berlin davon, dass in den ersten zwei Wochen nach der Eröffnung der Unterkunft „fast kein Tag ohne einen Vorfall in dessen Umfeld“ verging. Immer wieder würden rechte Gruppen um das Gebäude patrouillieren, mindestens zwei gewalttätige Angriffe auf Asylsuchende aus dem Heim habe die Stelle zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle im Bezirk seitdem registriert.
Zudem legte sie zur Jahreshälfte alarmierende Zahlen vor: Bereits jetzt seien so viele rechte Vorfälle registriert worden, wie im gesamten Vorjahr. Hatte das Register für das Jahr 2014 lediglich 85 Vorfälle dokumentiert, sind es für 2015 bereits 109 Vorfälle. „Was wir in Marzahn-Hellersdorf erleben, ist ein starker Aufwind für neonazistische Strukturen, die bereits seit 2013 mit rassistischen Protesten gegen Geflüchtete auftreten“, so der Sprecher der Registerstelle.
Auch Luisa Seydel, Sprecherin des Vereins „Hellersdorf hilft“, der sich seit 2013 im Bezirk für Flüchtlinge einsetzt und für sein Engagement mehrere Preise erhielt, zeigt sich über die Situation entsetzt: „Es ist erschreckend, dass in Marzahn nahezu kein Tag mehr ohne Vorfälle und Einschüchterungsversuche von Neonazis vergeht. Wir wissen von Geflüchteten, die sich nicht mehr alleine aus der Unterkunft heraus trauen und von UnterstützerInnen, die aus Angst vor rechtsextremer Gewalt der Unterkunft fernbleiben“.
Denn nicht nur Flüchtlinge sind im Fokus der Neonazis, sondern auch ihre Unterstützer. So werden Helfer und Gegendemonstranten am Rande der rechten Versammlungen immer wieder bedroht, vor wenigen Wochen sind vor dem Ladenlokal von „Hellersdorf hilft“ sogar fünf scharfe Patronen platziert worden. Wegen diesen Aktionen ermittelt die Polizei gegen den 42-jährigen Anmelder der rassistischen Montagsaufmärsche, RenéUttke. Er ist spätestens seit Ende letzten Jahres einer der federführenden Protagonisten der örtlichen rechten Szene, provoziert immer wieder am Rande von Veranstaltungen zum Thema.
rand.gestalten-Festival ab13 Uhr auf dem Gelände der AJZ Kita, Wurzener Straße 6–8
Beim „Tag der offenen Tür“ in der Asylunterkunft am 10. Juli gelang es ihm sogar, das sich die Polizei zum willigen Vollstrecker des amtsbekannten Rechtsextremisten machte und Seydel sowie das Abgeordnetenhausmitglied Regina Kittler festnahm. Nach Provokationen auf einer Kundgebung für Flüchtlinge zeigte Uttke eine angebliche Beleidigung als Neonazi an. Die Polizei nahm daraufhin beide Aktivistinnen rüde fest, die deswegen im Unfallkrankenhaus Berlin behandelt werden mussten.
Das rand.gestalten-Festival am kommenden Samstag auf dem Gelände der AJZ Kita in der Wurzener Straße soll nicht nur ein Zeichen gegen die anhaltende rechte Präsenz in Marzahn-Hellersdorf setzen, sondern auch Flüchtlingen, Helfern und Aktivisten Raum zum Entspannen bieten: „Zum fünften Mal in Folge haben wir für dich und alle, die keinen Bock auf die immer gleiche Scheiße in Hellersdorf haben, keine Mühen gescheut, um mindestens einen Tag lang wieder alles anders sein zu lassen.“ So heißt es in der Ankündigung. „Am 15. August wollen wir uns, umgeben nur von tollen Menschen, gegenseitig den Rücken stärken, Kraft tanken und zusammen eine richtig gute Zeit haben.“
Geplant sind – umsonst und draußen – neben mehreren Musikacts wie Yansn, Matondo oder Filou vom Berlin Boom Orchestra auch Siebdruck- und Infostände, die Ausstellung „Asyl ist Menschenrecht“, Hüpfburgen, Graffitiwände und eine „After-Festval Party“ im LaCasa.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen