: „Mit Verstand hat Allah gegeizt“
AUS BAKI, MASSALI und LÄNKÄRAN KLAUS-HELGE DONATH
Der Kleinbus hält vor einem Schrein. Der Beifahrer springt heraus und steckt einige Scheine durch den Schlitz des ehernen Opferstocks. Die Spende ist für den Bau der größten Moschee bestimmt, die bald den Hauptfriedhof der aserbaidschanischen Hauptstadt Baki überragen soll. Über mehrere Kilometer zieht sich der Friedhof an der Ausfallstraße Richtung Süden entlang. Unterhalb der frisch asphaltierten Schnellstraße erinnern Legionen rostiger Fördertürme an den Anfang des 20. Jahrhunderts, als Baki, damals noch Baku genannt, dank des Öls eine erste Blütezeit erlebte. Zurück blieben ausgediente Stahlbauten und riesige grauschwarze Öllachen, die der Landschaft etwas Unheimliches, Bedrohliches verleihen.
Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 will Aserbaidschan an den einstigen Boom anknüpfen. Ölmultis sind seit der ersten Stunde zur Stelle. Doch eine neue Blütezeit ist nicht in Sicht. Nur die mehrspurige Autobahn haben die Konzerne als Vorleistung erbracht. Bis zur iranischen Grenze soll sie führen, doch bisher wurden nur 70 von gut 300 Kilometern fertig. Am Straßenrand grüßt alle hundert Meter der verstorbene Präsident Heidar Alijew. Auf überdimensionalen Plakaten und Metalltafeln, lässt dieser das Volk wissen, dass er und sein Clan die alleinigen Garanten für Frieden, Wohlstand und Stabilität sind. Auf dem Sterbebett übergab Heidar 2003 seinem Sohn Ilham Alijew die Staffette.
Das Land hoffte damals, dass unter dessen Regentschaft sich die Spielregeln in dem semiautoritär geführten Sultanat langsam ändern würden. Doch schon die gefälschten Präsidentschaftswahlen im Herbst 2003 erstickten diese Hoffnung im Keim. Demonstranten, die gegen die Wahlmanipulation auf die Straße gingen, wurden brutal zusammengeknüppelt. Hunderte Oppositionelle verschwanden in Gefängnissen.
Einer von ihnen ist der 43-jährige Jussif. Er wurde mit Haftbefehl gesucht, konnte sich aber rechtzeitig zu Verwandten ins russische Exil absetzen. Der Straßenbauingenieur hatte schon 1996 den Job wegen Mitgliedschaft in der Oppositionspartei Mussawat verloren. Nach einer Generalamnestie in diesem Frühjahr kehrte er nach Baki zurück. Er ist der Chef in dem Kleinbus, der auf Wahlkampftour in den Süden unterwegs ist. Mussawat hat sich mit der „Volksfrontpartei“ und der „Demokratischen Partei“ zum größten und einflussreichsten Wahlblock „Asadlik“ – Freiheit – zusammengeschlossen. Am Sonntag wird in Aserbaidschan ein neues Parlament gewählt.
Vor dem zerfallenden Kulturpalast in der Kleinstadt Massali hat sich bereits eine Menge von 800 Kundgebungsteilnehmern eingefunden. Isa Gamba, Chef von Mussawat, und Ali Karimli von der Volksfront sollen als Redner auftreten. Die Menschen machen einen ärmlichen Eindruck. Nissami Alijew fasst zusammen, was die meisten bewogen hat, an der Kundgebung teilzunehmen: „Wir haben es satt, ein Leben ist hier nicht mehr möglich“, sagt der 30-Jährige, der noch nie eine bezahlte Arbeit gehabt hat. Nissami Alijew ist aufgeregt, die Stimme zittert: „500 Dollar Schmiergeld wollen sie für einen Job, der 40 Dollar im Monat einbringt.“
Viele erzählen die gleiche Geschichte: Schmiergeld und Parteimitgliedschaft sind Voraussetzung, um zumindest ein bescheidenes Leben führen zu können. Die Mehrheit der Teilnehmer sind junge Männer. Frauen sind keine da. Als die Kolonne mit den Parteichefs eintrifft, bricht Jubel aus. Jugendliche mit orangen Fahnen, die den Revolutionen in Georgien und der Ukraine entlehnt sind, umringen die Parteichefs. „Sie sind unsere letzte Hoffnung“, sagt Alijew, „wir wollen nicht nur einen Happen, sondern die ganze Freiheit.“
Abdullah Adulajew hat noch Arbeit als Fernfahrer. Der 33-Jährige verlegte seine nächste Fuhre extra einen Tag, um an der Kundgebung teilnehmen zu können. „Bei uns herrschen weder Gesetz noch Recht, wo du hinschaust ist Korruption.“ Auch Abdullah ist aufgebracht, er kocht innerlich. „Nach jeder Auslandsfahrt hab ich das Gefühl, in die Hölle zurückzukehren und möchte mich als Kamikaze in die Luft sprengen.“ Dabei habe Gott den Aseris doch alles gegeben: Öl, Gas und ein mildes Klima, nur mit dem Verstand habe Allah gegeizt, meint er süffisant.
Menschenrechtsvertreter und politische Beobachter in Baki halten den Ressourcenreichtum für den entscheidenden Grund, warum das Land auf der Stelle tritt und es dem Alijew-Clan trotz schwelender Krise gelingt, an der Macht zu bleiben. Unter den Intellektuellen gibt es indes auch kritische Stimmen, die den Oppositionsführern nicht zutrauen, das Land von Grund auf umzukrempeln. Ermin Hussejnow wirft den oppositionellen Führern vor, keine Strategie für einen Machtwechsel entwickelt und sich vom Volk entfremdet zu haben. Hussejnow gründete die oppositionelle Jugendbewegung Makkat (Es ist Zeit), das Pendant zu Pora in der Ukraine. Tausend Aktivisten machen mit, zum harten Kern gehören 200 Personen. Zu wenig, um einen Machtwechsel herbeizuführen, meint der 25-jährige Finanzwissenschaftler, der sich ein auffallendes Äußeres im Che-Guevara-Look mit Käppi, grünem Parka und einer Uhr mit Che-Porträt zugelegt hat.
Doch man erkennt Ermin Hussejnow auch so. Während der Unterhaltung im Café am Theater in Baki nimmt ein Pärchen Platz, das dem Gespräch aufmerksam folgt. In der engen Hose des Mannes zeichnet sich eine Pistole ab. Hussejnow glaubt die beiden schon öfters in seiner Nähe gesehen zu haben, lässt sich von den vermeintlichen Spitzeln aber nicht aus der Ruhe bringen. „Nach diesen Wahlen findet der Umsturz noch nicht statt, der Opposition fehlen die Kräfte“, sagt er vernehmbar, „aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“
An einen Wahlsieg glaubt die Opposition nicht, auch wenn sie in unabhängigen Umfragen vorne liegt. Die herrschende Partei NA verfüge über eine breite Palette von Möglichkeiten, den Wahlausgang zu beeinflussen, heißt es. Der Mathematiker Aslanli Gürlaga hat dazu in einem Buch die „100 gängigsten Tricks“ beschrieben, jetzt kandidiert er für den Block Asadlik in Massali. Bei den Wahlen sei es noch zu keinen gröberen Verletzungen gekommen, erzählt er. Nur einmal habe er gegen die Wahlliste protestiert. Siebzehn Mitglieder seiner Familie waren nicht aufgeführt. Der Fehler wurde sofort korrigiert, dafür aber siebzehn andere Verwandte gestrichen.
Die Manipulation des Wählerregisters ist eine Methode. Eine andere der Versuch, den Wählern vorher die Ausstellung einer ID-Karte zu verweigern oder unter fadenscheinigen Begründungen einzuziehen. Darüber beklagten sich viele Teilnehmer auch in Länkäran in der Nähe der iranischen Grenze. Die Kleinstadt ist berühmt für ihre Gastfreundschaft. Im Umgang mit den eigenen Bürgern kennt die Stadtverwaltung freilich keine Milde. Die Veranstaltung mit Isa Gamba und Karimli im Stadtzentrum wurde verboten und in einen zehn Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen Bezirk verbannt. Der Busverkehr dorthin wurde eingestellt und die Straßen von der Polizei kontrolliert.
Der Verbannungsort ist ein lauschiges Plätzchen. Hier hat sich auch die herrschende Familie Alijew hinter einer meterhohen Steinmauer eine Residenz am Ufer des Kaspischen Meers errichten lassen – mit direktem Bahnanschluss. Die meisten Anhänger der Opposition sind unterdessen zu Fuß unterwegs.
Versammlungsort ist der Sportkomplex des „Aserbaijan Olympic Committee“. Ein beeindruckender Neubau in hellem Blauton der islamischen Architektur gehalten, mit Tenniscourt und Fußballstadion. „Potemkin’sche Dörfer“, meint Ibrahim Mamedow einsilbig. Offiziell fände hier kein Training statt. Er sei der einzige Sportlehrer, der einer Hand voll Kindern Unterricht auf eigene Rechnung erteile.
Die Menschen in Länkäran scheinen noch ärmer als die in Massili zu sein. „Schau in unsere Berge“, sagt einer mit ausladender Handbewegung, „früher waren sie dicht bewaldet, heute sind sie abgeholzt.“ Strom und Gas sind im rohstoffreichen Aserbaidschan zu einem Luxusartikel geworden. Trotzdem wird die Verwaltung Länkärans am Sonntag dafür sorgen, dass die „richtigen“ Kandidaten der Regierungspartei das Rennen machen, meint Lehrer Aydin Bairamow.
In seiner Schule berief der Direktor das Lehrerkollegium ein und gab zu verstehen, für wen die Pädagogen zu stimmen hätten. Wer sich widersetzt, verliert den Job. Denn auch der Direktor würde auf der Straße stehen, sollte er das erwünschte Resultat der Schulbehörde nicht liefern. „So einfach ist das“, meint Aydin. Die Veranstaltung löst sich auf, und die Oppositionschefs verschwinden unter Beifall in ihren Luxuskarossen. „Diese Demonstrationen führen zu nichts“, sagt der gläubige Muslim Mamedow. Eines Tages, fürchtet er, könnten sich die vom Regime und den demokratischen Kräften gleichermaßen enttäuschten Jugendlichen radikalen Islamisten zuwenden.
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