Grab des Regisseurs Murnau geschändet: „Ich kenne meine Grüfte“
Auf dem Friedhof Stahnsdorf bei Berlin wurde der Kopf des Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau gestohlen. Der Friedhofsgärtner erzählt.
taz: Herr Ihlefeldt, Sie sind Verwalter des Südwestkirchhofs Stahnsdorf, südlich von Berlin. Wie würden Sie Leuten, die sich nicht auskennen, das Areal beschreiben?
Olaf Ihlefeldt: Der Südwestkirchhof ist in eine wilde Romantik eingebettet. Er ist riesengroß und traumhaft schön. Viele Persönlichkeiten, die im 19. Jahrhundert geboren wurden, sind hier beerdigt. Grabschändungen gibt es überall in Deutschland. Aber dadurch, dass das Areal unüberschaubar ist, ist das Kunstgut mehr gefährdet, als es es auf einem Friedhof in der Berliner Innenstadt wäre.
Wie viele wertvolle Gräber gibt es noch?
Wir haben 200 monumentale Grabwände und 25 Mausoleen. Einige davon sind vor zwei Jahren massiv von Kupferdieben geplündert worden.
47, ist Gärtnermeister. Seit 1989 ist er auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf Verwalter. Als Vorsitzender des Fördervereins organisiert er dort auch Führungen und Kulturverstaltungen. Der Friedhof wurde 1909 eröffnet.
Wann genau haben Sie gemerkt, dass am Grab des Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau etwas nicht stimmt?
Montagmorgen zwischen 7 und 8. Das war gar kein gezielter Kontrollrundgang. Ich wollte gerade junge Leute für einen Arbeitseinsatz einweisen. Bei meinen „Lieblingskandidaten“ mache ich immer einen langen Hals, wenn ich vorbeifahre, und gucke, ob alles in Ordnung ist.
Was ist Ihnen aufgefallen?
Die Tür, die zum Grabgewölbe führt, war nicht hundertprozentig zu. Es war ein ganz kleiner Ritz zu sehen.
Das können Sie im Vorbeifahren erkennen?
Ich mache das hier ja nun schon 26 Jahre. Da hat man einen sensiblen Blick. Ich kenne meine Kandidaten. Wenn sich da irgendwas verändert, und sei es nur ein hochgebogenes Blech oder ein Buchstabe, der fehlt, sehe ich das sofort. Murnau ist natürlich ein absolutes Highlight.
Wie meinen Sie das?
Die Familie hat eine monumentale Grabwand. An der Stelle, wo Murnaus Büste steht, ist sie drei, vier Meter hoch. Aber das meine ich nicht. Mir geht es um die Persönlichkeit Murnaus. Bei jeder Führung erzähle ich über ihn. Er ist kulturgeschichtlich herausragend.
Was beeindruckt Sie besonders?
Sein bewegtes Leben, er musste ja viele Stolpersteine überwinden. Seine großen künstlerischen Fähigkeiten. Die bewegte Kameraführung. Er hat Meilensteine hinterlassen in der Entwicklung der Filmkunst. Dieses Licht-und-Schatten-Spiel, das war ja Murnaus große Gabe. Wenn ich mit Gruppen auf dem Friedhof unterwegs bin, steht die Sonne manchmal gerade so, dass seine Büste in Licht und Schatten getaucht ist. Dann erzähle ich natürlich von seinem weltberühmten Stummfilm „Nosferatu“ …
… der 1922 gedreht wurde.
Murnau hat auch viele andere gute Filme gemacht, wie „Faust“ oder „Der letzte Mann“. Aber „Nosferatu“ war die Krönung seiner Karriere. Im Sommer 2014 haben wir den Film auf dem Friedhof im Rahmen der Kulturnacht gezeigt. Ab 22 Uhr in voller Länge auf einer großen Leinwand. Stephan Graf von Bothmer, ein angesagter Stummfilmkomponist, hat dazu gespielt. Hunderte saßen vor dieser Leinwand. Ich gebe zu: Auch ich habe eine Gänsehaut gekriegt, wenn dieser Graf Orlow über die Leinwand gewandelt ist – nach 26 Jahren Arbeit hier auf dem Friedhof.
Als Sie den Spalt in der Tür von Murnaus Grab entdeckt haben und in die Gruft gestiegen sind, hatten Sie da auch eine Gänsehaut?
Durch die lange Zeit, die ich hier bin, bin ich da gewissermaßen abgeklärt. Was für den Laien gruselig ist, ist für mich ganz normal. Ich kenne meine Grüfte.
In Särge zu gucken macht Ihnen überhaupt nichts aus?
Normalerweise mache ich keine Särge auf. Der Respekt vor den Toten auf dem Friedhof geht für mich über alles. Ich habe überhaupt keine schwarzen Neigungen. Aber wenn ich so einen Sarg öffnen muss, weil ich eine Veränderung befürchte, wie bei Murnau: Ja, da bin ich natürlich auch schon … Das hat nichts mit Grusel zu tun. Mir schießt einfach das Adrenalin ins Blut, weil ich ahne, dass mich etwas Unschönes erwartet. Einen Leichnam nach 84 Jahren da liegen zu sehen ist kein schöner Anblick.
Nachdem Murnau 1931 bei einem Autofall in Kalifornien ums Leben gekommen ist, wurde der Leichnam vor der Überführung nach Deutschland mehrfach balsamiert. Wie wirkte sich das aus?
Normalerweise ist es so, dass der Tote in so einem Sarg massiv verfallen ist. Das Außergewöhnliche an seinem Körper ist, dass das Skelett durch die Balsamierung noch mit Haut überzogen ist. In den USA ist das ja ein relativ normales Verfahren. Dadurch war er vergleichsweise gut erhalten. Trotzdem aber nicht schön anzusehen.
Der Kopf wurde gestohlen. Hat man ihn abgesägt?
Bei einem Leichnam, der so lange liegt, nimmt man ihn wahrscheinlich nur aus dem Sarg raus. Ich weiß nicht, wie das abgelaufen ist. Aber die haben keine große Gewalt angewendet.
Was hat es mit der Kerze auf sich, die in der Gruft gefunden wurde?
Die Polizei hat auf dem Nachbarsarg von Murnaus Bruder einen Wachsklecks gefunden. Deshalb wird nicht ausgeschlossen, dass die Tat okkultistische Hintergründe haben könnte. Aber das ist mit einem Riesen-Fragezeichen versehen.
Wer könnte sonst so was tun?
Ich bin ratlos. Das Schlimmste ist für mich die Vorstellung, dass es ein Dummerjungenstreich ist. Dass in der Gruft ein Mega-Abenteuer abgezogen wurde. Dass man eine Kerze angezündet hat und den Kopf in Szene gesetzt hat. Dass man so würdelos mit den Überresten eines Menschen umgeht! Und dann beschäftigt einen natürlich auch die Frage: Wo ist der Kopf jetzt? Werden damit jetzt Zeremonien veranstaltet? Landet er irgendwo im Gebüsch? Liegt er jetzt in der Mülltonne?
Haben Sie in Ihrer Dienstzeit je Vergleichbares erlebt?
Vis-à-vis von Murnau befindet sich das Grab des Textautors Gustav Kadelburg. Da hat man vor drei Jahren Ähnliches versucht. Aber man ist nicht an den Körper des Toten herangegangen.
Was ist passiert?
Die Sargmauer ist brutal zerschlagen worden. Der Zinksarg wurde geöffnet, weil man wahrscheinlich dachte, das ist furchtbar spannend. Dann lag da aber nach über 80 Jahren ein noch nicht verwester Körper. Dieser Anblick, der ehrlich gesagt gruselig ist, hat die dann wahrscheinlich auch in die Flucht getrieben.
Was für eine Idee steckt hinter einer Zinksarg-Bestattung?
Bei Gruftbestattungen, bei denen der Körper im Zinksarg luftdicht eingebettet ist, ist die Idee die Ewigkeit. Wenn der Leichnam nicht angerührt wird, bleibt er auch ewig erhalten.
Es ist ja doch befremdlich, wie leicht man in Grüfte kommt und Särge öffnen kann.
Das stimmt nicht. Murnaus Sarg war schon stark beschädigt durch Vandalismus in den siebziger Jahren. Unter dem Sargdeckel gab es eine Glasplatte. So ist er auch aus den USA überführt worden. Wäre der Sarg geöffnet worden, hätten ihn seine Familie und Freunde unter der Glasplatte sehen können. Diese Glasplatte hat man in den siebziger Jahren zerschlagen.
Warum wurde das Grab danach nicht besser geschützt?
Wurde es. Man hat die Gruft komplett zugemauert. Anfang der Neunziger hat man aber Förderprogramme gestartet und die Gruft wieder geöffnet, weil sie wunderschön ist.
Was verstehen Sie darunter?
Türkises Blau an den Wänden, ein wunderschöner Himmel aus blau gestalteten Sternen, mosaikgearbeitet. Das hatten Greta Garbo und Fritz Lang veranlasst. Deshalb haben wir sie wieder geöffnet und mit einer Tür versehen. Eine Tür ist natürlich kein Hochsicherheitstrakt.
Gibt es Führungen in die Gruft?
Nein. Nur besondere Fachkreise und Menschen, die eine direkte Verbindung zu Murnau haben, bekommen sie zu sehen.
Was geschieht nun?
Ich hoffe natürlich doch, dass durch diese mediale Beachtung der Kopf irgendwie zurückgebracht wird. Die Entscheidung, was wir mit den Resten in der Gruft machen, ist noch offen. Ich gehe davon aus, dass wir die Überreste in der Erde begraben müssen, um sie zu schützen.
Und dann könnte man die Gruft für Besucher öffnen?
Da sind ja noch Murnaus Brüder drin. Außerdem: Eine Gruft, die leer ist, macht keinen Sinn. Eine Gruft, die für Tote gedacht war, hat ihre Idee verloren. Das wäre dann nur ein leerer Raum.
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