: Erbarmungslos vollgestopft
LOKALMATADOR Kein Impulsgeber: Die Kieler Kunsthalle zeigt den Im- und Expressionisten Christian Rohlfs. Leider setzen die Kuratoren dabei mehr auf Vollständigkeit als auf einen Fokus
Manche Menschen sind Spiegel ihrer Umwelt: Sie saugen auf, was ihnen begegnet, reproduzieren und wandeln es im besten Fall in Eigenes um. Dabei ist es bei Künstlern wohl ganz natürlich, dass sie am Anfang herumprobieren. Irgendwann aber erwartet die Mitwelt, dass da jemand ans Ziel seiner Suche vordringt – und einen eigenen Stil findet.
Aber so ein klar definierter Stil bedeutet eben auch Mut. Diesen Schritt zum Unikat ist Christian Rohlfs nicht gegangen. „Überwältigend kühn“ hat die Kieler Kunsthalle seine Ausstellung betitelt und ist sichtlich stolz darauf, den norddeutschen Im- und Expressionisten anlässlich seines 75. Todestages erstmals komplett zu zeigen. Echte Anerkennung bekam der 1849 bei Segeberg geborenen Rohlfs erst mit 60. Das hat Gründe – an denen auch diese Ausstellung krankt.
Rohlfs nämlich probierte im Lauf der Jahre so ziemlich alles aus: Neoimpressionismus, Pointillismus, Expressionismus. Seine frühen Gemälde kommen sogar fast dürerhaft akribisch daher, immerhin war Rohlfs zu Anfang Historienmaler, ehe er sich auf Landschaften verlegte. Die wiederum waren erst impressionistisch, später pointillistisch – auch dann noch, als andere schon längst expressionistisch malten. Eine Waldlichtung sieht da schon mal aus wie von Monet, einige Figuren wie von Chagall oder Munch, die Grotesken wie von Nolde – Rohlfs war kein Impulsgeber, er adaptierte.
Nichtsdestotrotz wurden 44 seiner Arbeiten im Jahr 1937 als „entartet“ beschlagnahmt. Das adele den Künstler geradezu, schreibt nun der Kieler Kurator Peter Thurmann im Begleitheft. Es klingt wie der Versuch, diesem eher farblosen Künstler wenigstens politische Widerständigkeit nachzuweisen.
Man läuft ein bisschen entmutigt durch die Ausstellung, in der Zitate hängen wie „Rohlfs ist verbohrt wie nur der Dilettant, ist ausschweifend bis zur Tapete und ist überwältigend kühn wie ganz allein das Genie“ – und man fragt sich, warum man das nicht spürt. Ob das hier nicht eine ans Magische grenzende Beschwörung eines Lokalmatadors ist.
Aber, zum Glück: In einem winzigen Kabinett findet sich endlich der wahre Schatz: kleine Grotesken, Karikaturen von Menschen im Alltag, auch von Rohlfs selbst, mitsamt Gattin und ironischem Kommentar. Diese Bilder sind kraftvoll, fließend, ironisch. Und hat man sich erst damit abgefunden, dass sie ein wenig an Chagalls Priester und Noldes Wurzelköpfe erinnern – dann offenbaren sie einen klaren, unbestechlichen Blick auf die Welt.
In diesen Blättern liegt das eigentliche Talent Christian Rohlfs’. Sie hätten die Kieler Ausstellungsmacher ins Zentrum rücken sollen. Stattdessen aber stopften sie – beseelt offenbar von einer pflichtschuldigen Idee von Vollständigkeit – die Räume mit Zeugnissen aller Schaffensphasen voll. Und die kleinen Karikaturen kamen in ein Eck-Kabuff mit dem Titel „Humor und Tiere“.
Ein kleines, süffisantes Grotesken-Kabinett im Zentrum, als Exempel für des Künstlers Haltung zur Welt, zur Kunst, zu sich selbst: Damit wäre die Schau dem bodenständigen Rohlfs näher, der sich selbst nicht halb so ernst nahm, wie die Kunsthalle es jetzt tut. PETRA SCHELLEN
„Überwältigend kühn – der ganze Rohlfs in Kiel“: bis 24. Februar, Kunsthalle Kiel
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