Problematischer Patron: Bekommt Lübeck eine Mann-Uni?
Der Rektor der Uni Lübeck will die Life-Science-Hochschule nach Thomas Mann benennen. Daran gibt es Kritik – zu Recht.
Kinderärzte der Uni hatten an Manns euphorisches Verhältnis zur Knabenliebe und seinen nie ganz geheilten Judenhass erinnert. Was den völlig ahnungslosen Lehnert empörte: Den Ortsheiligen „in die Nähe des pathologischen Begriffes der ,Pädophilie‘ und des Antisemitismus zu rücken, erschüttert mich“, hatte er den Lübecker Nachrichten gestanden. Ach, die Erschütterung wäre kleiner ausgefallen, hätte der gute Onkel Doktor nicht bloß Heinrich Breloers Buddenbrooks-Film rezipiert.
Klar, der war FSK 6. Da war nix anzüglich. Und ein Arzt muss über Thomas Mann sonst nichts wissen. Wer nach einem Literaten so etwas wie eine Uni benennen will, sollte sich allerdings schon vorab mal erkundigen. Denn Manns radikalste und stark autobiografische Erzählung, „Der Tod in Venedig“, ein Meisterwerk, kreist um die erotische Beziehung des 50-jährigen Erfolgsschriftstellers Gustav von Aschenbach zum knospenden elfjährigen Tadzio. Sie wurde stets auch – und philologisch zu Recht – als Hohes Lied der Pädophilie gelesen: Schockierende Klitterei wäre, Mann von dieser wegzurücken.
Genauso muss die Nähe zum Antisemitismus beim Verfasser des Aufsatzes „Die Lösung der Judenfrage“ (1911) nicht mühsam hergestellt werden, auch wenn der darin die Hoffnung äußert, der „entarteten und im Ghetto verelendetsten Rasse“ ihre „krummen Beine und roten mauschelnden Hände“ durch Zuchtwahl abzugewöhnen. Was milde ist, verglichen mit Bruder Heinrich, der 1895 noch plant, „sie auszurotten oder in Käfige zu sperren“. Beider Manns Antisemtismus ist biografischem Wandel unterworfen, er hat Schattierungen, und ist zeitbedingt. Aber: Er ist ein Fakt, und dass es bedeutsam fürs Verständnis der Werke ist, darüber herrscht Einigkeit in der ernstzunehmenden Literaturwissenschaft. Die aber gibt‘s an Lübecks Uni nicht.
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