DER SAMMLER Seit 33 Jahren sammelt, kartiert und dokumentiert Eberhard Rhode Kleiderbügel aus Holz. Stolze 2.850 Exemplare hängen im Keller seines Einfamilienhauses. Doch damit nicht genug: Rhode begründete sogar die Pertiologie – die Bügelkunde: „Mit meiner Sammlung könnte man einenhalben Tag heizen“
INTERVIEW Barbara BollwahnFotos Karsten Thielker
taz: Herr Rhode, Sie haben eine seltene Sammelleidenschaft: Sie sammeln Kleiderbügel. Wie viele haben Sie?
Eberhard Rhode: Stand heute sind es 2.850 Holzbügel.
Angefangen haben Sie 1982. Wie kam es dazu?
Es war die Idee meiner Frau, weil ich einige ordentliche, kräftige Holzbügel mit in unsere Liaison gebracht hatte.
Und Sie hatten sofort Lust, sich mit so einem alltäglichen Gegenstand zu beschäftigen?
Ja, ich fand das eine originelle Idee. Schon allein die unterschiedlichen Schriften auf den Bügeln! Bis ich anfing, Bügel zu sammeln, hatte ich mich schon für alte Werbung aus den zwanziger und dreißiger Jahren interessiert, die ich auf Häuserwänden fotografiert habe. Ich habe dann bald gemerkt, dass auch Kleiderbügel Werbeträger sind, bis in die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Dann ging es los und meine Frau und ich haben überall Bescheid gesagt, dass wir jetzt Holzbügel sammeln. Seitdem bringt fast jeder, der zu Besuch kommt, Kleiderbügel mit.
Wie viele der 2.850 Bügel sind Geschenke?
99 Prozent sind von Freunden und Bekannten. Und nach Zeitungsartikeln oder Fernsehauftritten schicken Leute Pakete.
Wildfremde Leute packen Pakete, um Ihnen ihre alten Kleiderbügel zu überlassen?
Ja. Das Porto erstatte ich, indem ich dem Dankesbrief etwas beilege. Manchmal wollen mir Leute aber auch Bügel zum Verkauf anbieten.
Schlagen Sie dann zu?
Nur wenn die Bügel für mich neu sind und nicht mehr als 2 Euro kosten. Ein Mann bot mir einmal einen schönen alten Bügel vom Hotel Adlon und wollte wissen, was der mir wert sei.
Und?
Ich machte ihm klar, dass er mir gar nichts wert sei und nach einer halben Stunde hat er ihn meiner Frau geschenkt. Es kommt immer wieder vor, dass jemand anruft und wissen will, was ich bereit wäre zu zahlen, und dann auflegt, wenn ich sage, eigentlich nichts.
Sie sind also kein Sammler, der jeden Bügel um jeden Preis haben muss.
Nein, das ist kein Hobby, an dem eine Ehe scheitert. (lacht)
Kennen Sie andere Menschen, die dieser Leidenschaft frönen?
Es gab einen Sammler in Heringsdorf an der Ostsee, den ich über zehn Jahre lang regelmäßig getroffen und mit dem ich Kleiderbügel getauscht habe. Der Mann ist mittlerweile aber über 70 Jahre alt und hat seine Sammlung einem Herrn übergeben, der in Zinnowitz ein kleines Museum aufbauen will.
Und sind Ihnen noch weitere Kleiderbügelsammler bekannt?
Ich habe noch jemanden in Basel in der Schweiz gefunden, der Kleiderbügel als Großhändler vertreibt und irgendwann anfing zu sammeln. Er hat Tausende Plastebügel, aber auch etwa 2.000 aus Holz. Auf den Sammler bin ich durch Zufall im Internet gestoßen. Mehr Kleiderbügelsammler sind mir in Mitteleuropa nicht bekannt.
Also gibt es nicht so etwas wie eine Kleiderbügelsammlerszene, wo sich Ihresgleichen trifft.
Nein. Aber da fällt mir etwas ein: Ich sollte vor einigen Jahren für ein Kiezmagazin in Lichtenberg einen kleinen Artikel über Kleiderbügel schreiben und da schrieb ich von pertiologischen Tagungen.
Pertio… was?
Pertiologische Tagungen. Ich hatte einmal bei einer Kleiderbügelausstellung die Besucher gebeten, in ein Gästebuch das Wort Kleiderbügel in verschiedenen Sprachen aufzuschreiben. Und dann dachte ich, Mensch, man müsste auch einen Begriff für das Sammeln von Kleiderbügeln finden und da kam ich auf Pertiologie. Pertica heißt auf Latein Stange, langer Stock. So entstand die Pertiologie, die Bügelkunde.
Sie sagen das so ernst. Den Begriff haben Sie sich ausgedacht.
Ja. Als der Artikel erschien, 10.000 Stück des Kiezmagazins wurden in Berlin verteilt, haben nur zwei Menschen bei mir angerufen und gefragt, was das ist. Alle anderen haben das einfach zur Kenntnis genommen. Mit meinem Kumpel aus Heringsdorf habe ich mich wenigstens einmal im Jahr getroffen, und dann habe ich immer gesagt: Wir machen eine pertiologische Tagung und alle Bügelsammler Europas sind vertreten, also wir beide. (lacht)
Suchen Sie selbst auf Flohmärkten nach Bügeln?
Wenn ich auf Flohmärkten bin, gucke ich automatisch nach Bügeln. Ich habe aber nur etwa zehn Bügel für kleines Geld gekauft.
Gibt es Kleiderbügel, die Sie bisher vergeblich gesucht haben?
Nein. Dann müsste es ja einen Katalog oder Ähnliches geben. Da das nicht der Fall ist, bekomme ich immer wieder Bügel, bei denen ich denke: Was ist das denn für ein Patent?
Wie erklären Sie Außenstehenden, für die Kleiderbügel ein profaner Alltagsgegenstand sind, ihren Reiz?
Es geht mir nicht darum, eine bestimmte Anzahl an Bügeln zu haben. Es geht um die Inhalte: Ich finde schon die Schriften auf den Bügeln interessant. Früher habe ich mich für Kalligrafie interessiert, weil Schrift etwas Schönes ist. Auch die Werbung auf den Bügeln ist interessant, die Botschaften darauf. Ich habe mich auch mit der Geschichte von Warenhäusern beschäftigt und bin immer tiefer reingegangen. Und wenn man sich die Bügel genauer anschaut, finden sich auch immer wieder Schreibfehler. Da steht dann Leiqzig statt Leipzig.
Schmälert oder steigert das den Wert für Sie?
Das ist wie die blaue Mauritius. (lacht)
Apropos Wert: Was würden Sie sagen, ist Ihre einzigartige Sammlung wert?
Gut, man könnte damit einen halben Tag heizen.
Das ist nicht Ihr Ernst.
Der Wert liegt darin, dass die Bügel ihre Nutzung als Werbeträger zeigen. Ferner erkennt man, wie versucht wurde, einen gewöhnlichen Gebrauchsgegenstand durch verschiedene Formen und Patente zu optimieren.
Haben Sie Lieblingsbügel in Ihrer Sammlung?
Ja, klar. Da ist zum Beispiel ein einzigartiger Drahtbügel aus geschmiedetem Eisen. Nach Auskunft des Sammlers aus Basel soll er aus dem Jahr 1876 stammen. Oder ein Kinderkleiderbügel mit einem Pappmachéköpfchen oben drauf, der durch das „Köpfchen“ auf die Charleston-Zeit hinweist, also so auf das Jahr 1925. Den Bügel schenkte mir eine Bekannte, die nun auch schon über 80 Jahre alt sein dürfte. Wenn sie als Kind ihren Großvater besuchte, durfte sie ihren Mantel darauf hängen. Der Großvater war Seemann und brachte ihn aus Oslo mit.
Zu wie vielen Bügeln können Sie eine Geschichte erzählen?
Zu einhundert vielleicht. Und dann wird es so richtig spannend für mich, während Außenstehende vielleicht nichts an den Bügeln finden. Andererseits finde ich es aber auch interessant, wenn mir jemand aus München einen Kleiderbügel bringt, der aus Stettin ist. Da will der Sammler wissen, wie ist der Bügel dahingewandert im Laufe seines Bügellebens. Einmal brachte mir eine Journalistin mit Tränen in den Augen einen Bügel, den ihr ein alter Herrn geschenkt hatte, der eine französische Kleiderbügelfabrik hatte, die im Krieg zerstört wurde.
Wie viel Zeit widmen Sie Ihrer Sammlung?
Eigentlich nicht viel. Aber es tauchen immer wieder Firmen oder Orte auf, die ich dann im Internet recherchiere. Einmal kam ein Bügel aus Santa Fe, und seitdem weiß ich, dass es ein Santa Fe in den USA gibt und ein Santa Fe in Argentinien.
Haben Sie früher schon einmal etwas gesammelt?
Als Kind und Jugendlicher nicht. Aber für mich ist Sammeln schon interessant. Zum Ende der DDR habe ich zum Beispiel angefangen, Deckel von Einweggläsern zu sammeln.
Warum nur die Deckel?
Wegen des Platzes. Ich habe etwa 150, und auf den Deckeln steht immer die Glashütte drauf, wo sie hergestellt wurden. Da steige ich dann auch wieder in die Geschichte ein. Noch weniger Platz brauchen Büroklammern. Da habe ich bisher 160.
Wonach haben Sie die Bügel in Ihrem Keller sortiert?
Die meisten sind alphabetisch nach Firmennamen sortiert. Dann sind sie auch sortiert nach Deutschland und Nichtdeutschland. Es gibt Bügel von Warenhäusern, Pensionen, Hotels, Reinigungsfirmen. Es gibt Sortierungen nach Kombibügeln, interessanten Bügeln, Uraltbügeln.
Dokumentieren Sie die Bügel?
Zu jedem Kleiderbügel gibt es eine Karteikarte, auf der ich notiere, was auf den Bügeln steht, woher sie kommen, wer sie mir wann geschenkt hat, ob sie lackiert sind oder nicht, ob sie Besonderheiten haben, wie einen Steg zum Aufhängen von Hosen. Das Alter lässt sich meist nur grob zuordnen.
Gibt es Bücher über Kleiderbügel?
Vor etwa zehn Jahren ist ein französisches Büchlein erschienen, das hier auf dem Wühltisch vertrieben wurde. Da gab es alle möglichen Kleiderbügel, aber keinen einzigen deutschen. Die deutschen Kleiderbügel waren als amerikanische ausgewiesen.
Ärgern Sie solche Unkorrektheiten?
Natürlich! Aber ich verzeihe dem Franzosen.
Interessieren sich Museen für Ihre Sammlung?
Damit habe ich mich noch nicht beschäftigt. Aber ich selbst habe einige Ausstellungen gemacht, in Karlshorst, Prenzlauer Berg und Pankow. Als ich 2006 einmal 500 Kleiderbügel ausgestellt habe, war das deutschlandweit die erste Kleiderbügelausstellung. Vor Jahren machte mich jemand darauf aufmerksam, dass im Schloss Meyenburg (ein ehemaliger Adelssitz in der Prignitz, der ein Modemuseum beherbergt Anm. d. Red.), ein Herr Albrecht Ecke Kleiderbügel ausgestellt hat. Der sammelt ausschließlich Designstücke und nicht wie ich nur Bügel aus Holz. Und dieser Albrecht Ecke hat sich kurioserweise vor einigen Wochen bei mir gemeldet und gefragt, ob ich seine Sammlung aufkaufen möchte.
Und, möchten Sie?
Ich habe natürlich dankend abgelehnt.
Wieso denn „natürlich“?
Er ist ein hoch geschätzter Innenarchitekt und Designer und dachte bestimmt an einen vierstelligen Betrag.
Den Sie nicht bereit wären zu zahlen.
Richtig.
Wie ist die Reaktion der Besucher, wenn sie Kleiderbügel in einer Ausstellung sehen?
Es ist immer sehr interessant, wie viele Leute rein kommen und zunächst den Kopf schütteln und dann ganz begeistert rausgehen.
Wie reagieren Fremde, denen Sie von Ihrem Hobby erzählen?
Mit Erstaunen, mit erfreutem Erstaunen: Was es alles gibt! Und dann kramen viele zu Hause und werden aktiv. Da habe ich schon von Menschen Kleiderbügel bekommen, wo ich dachte: Donnerwetter!
Wieso?
Na, wenn ehrwürdige Herren irgendwo im Hotel einen Bügel geklaut haben für mich. (lacht) Die das so gut fanden mit den Kleiderbügeln, dass sie dann quasi mitgesucht haben.
Was können Sie zum Alter der Kleiderbügel sagen?
Die ältesten sind von vor 1901.
Wie können Sie das so genau bestimmen?
Das kann ich definitiv sagen, weil man anhand der Rechtschreibung erkennen kann, dass sie vor der zweiten deutschen Rechtschreibreform 1901 hergestellt sein müssen, wenn z. B. „c“ statt „k“ zu lesen ist.
Viele der Kleiderbügel tragen Aufdrucke. Was sagen diese Werbebotschaften über ihre Zeit?
Der Mensch: 1949 in Berlin geboren, hat Eberhard Rhode in den 1970er Jahren in Ostberlin Ökonomie studiert und danach in einem Betriebsrechenzentrum gearbeitet. Nach der Wende leitete er ein Seniorenheim und arbeitete in der Obdachlosenhilfe. Seit 2011 ist er Rentner. Mit seiner Frau Irene, einer ehemaligen Kindergärtnerin, lebt Rhode in Karlshorst. Von seinen zwei Kindern und ihren zwei Kindern haben sie sechs Enkel.
Der Sammler: Seit 1982 sammelt Rhode im Keller seines Einfamilienhauses Kleiderbügel. Mittlerweile hat er über 2.800 Stück, zum Teil sind sie über 100 Jahre alt. Weil die Kulturgeschichte des Kleiderbügels bisher wenig erforscht ist, hat er es sich zur Aufgabe gemacht, genau das zu tun. Zücken andere Visitenkarten, überreicht Rhode einen hölzernen Kleiderbügel mit seinem Namen und seiner Telefonnummer drauf.
Ihre Kleiderbügel: Wer alte Kleiderbügel loswerden will, kann ihn gern anrufen: (030) 5084262.
Auf einem Bügel wird geworben mit dem Aufdruck: „Verkauf nur eigener Fabrikate, daher so billig“. Daran sieht man, das war so etwa um 1900, wie die Kaufhäuser beziehungsweise die Konfektionsware in den Vordergrund trat und die Schneidermeister um ihre Existenz bangten und versuchten, auf sich aufmerksam zu machen. Oder der Aufdruck: „Jeden Sonnabend geschlossen.“ Der ist vom Warenhaus Pasewalk und man weiß sofort, dass ein sehr großer Teil der Konfektionshäuser jüdischen Mitbürgern gehörte. Ich finde es irre interessant, so etwas auf einem Kleiderbügel zu finden. Oder der hier: „Wir gehen nicht gern mit auf Reisen.“ Der ist sicher von einem Hotel und sollte die Gäste davon abhalten, die Bügel mitzunehmen. Das war natürlich oft nur ein frommer Wunsch. Ich habe auch schon Bügel gesehen, auf denen stand „Zur gefälligen Mitnahme“. Die haben wirklich verstanden, was Werbung ist! Wenn ich so einen Bügel zu Hause habe und ihn einmal die Woche angucke, ist das viel bessere Werbung als daraufzuschreiben „Wehe, ihr nehmt was mit“.
Was haben Sie noch über Kleiderbügel herausgefunden, was Sie überrascht hat?
Mich hat überrascht, dass es den Kleiderbügel noch gar nicht so lange gibt. In der heutigen Art vielleicht seit 1850. Der Kleiderbügel kam ja erst mit dem Wohlstand auf. Was die Urform angeht, bin ich bis in das Jahr 1425 vorgedrungen.
Was haben Sie recherchiert?
Es gibt Abbildungen in sogenannten Hausbüchern aus Augsburg. Das waren Hausbücher von Altersheimen, in denen Handwerker versorgt wurden. In diesen Büchern gab es nicht nur Angaben zu den Handwerkern, sondern auch Bilder. Und da ist im Jahr 1425 ein Bügel abgebildet.
Wie sah der aus?
Ein rundes Holz mit einer Schnur, auf das man etwas aufhängen konnte. Ich war auch ziemlich lange auf der Suche nach der ältesten Abbildung für einen Kleiderbügel und habe bei Wilhelm Busch eine Zeichnung aus dem Jahr 1865 gefunden, mit Lehrer Lämpel, dessen Rock auf einem Kleiderbügel aufgehängt ist.
Hängen Sie Ihre Kleidung am Abend eigentlich auf alte Bügel aus Holz oder auf neue aus Plastik?
Auf alte aus Holz. Ich habe ja viele doppelt.
Interessieren sich Ihre Kinder für Kleiderbügel?
Die finden die Sammlung originell und sammeln auch mit.
Was soll einmal aus Ihrer Kleiderbügelsammlung werden?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Vielleicht finde ich ja jemanden, der das einmal weiterführt.
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