VATER ODER SOHN Eckart Strate, Dünensänger auf Spiekeroog, hat der Bundeswehr gezeigt, dass es mehr als Nazi-Lieder gibt. Sein Gott heißt Brassens – und sein Sohn ist ein Popstar: „Ich hab‘ damit keine Last“
interview Benno Schirrmeister
taz: Herr Strate, was bedeutet Musik für Sie?
Eckart Strate: Musik – das ist ein vitaler Ausdruck von Leben. Es ist auch, dass sich mit Musik Kummer, von dem ich auch so einigen hatte, in meinem Leben, wegsingen lässt.
Welche Art Kummer?
Zum Beispiel hatte ich zweimal in meinem Leben ziemlich schlimmen Krebs – deswegen bin ich auch früh pensioniert worden. Und da hat die Musik – also da hat mir die Musik geholfen mit klarzukommen. Aber vor allem ist es eine ganz persönliche Ausdrucksform meiner Gefühle. Und ganz entscheidend das Chanson, Brassens …
Irgendwo hieß es, Sie hätten wegen Georges Brassens Französisch studiert?
Das stimmt. Wenn ich Brassens gesungen habe: Da steckte ganz viel drin für mich.
Haben Sie ein Lieblingschanson?
Oh ja. Au bois de mon coeur.
In meines Herzens Wald?
Genau. Au bois d‘Clamart |: ‚Y a des petits fleurs :| ‚Y a des copains au bois d‘mon coeur il …, – da müsste ich jetzt die Gitarre holen. Da wird die Freundschaft besungen: „So, wie es Blumen im Park gibt von Clamart, habe ich die Freunde in meinem Herzen, die kommen zu mir, und wenn ich keinen Wein mehr hab‘, saufen sie mein Wasser. Immer wenn ich sterbe, sind sie da, und wenn ich heirate, auch.“ Ein sagenhafter Text. Ein wunderschönes Lied. Aber L‘Auvergnat finde ich auch herrlich, oder die tragischen Sachen – toll.
Er war ein Held
Ein Gott. Und so bescheiden. Dieser Mann. Ich hab‘ den kennengelernt. Ich bin seinetwegen nach Sète gefahren, da kam er her, Sète in Südfrankreich. Ich hab‘ rausgekriegt, in welcher Kneipe er ist. Ich erzähle immer, was nicht ganz stimmt, dass ich da neben ihm an der Pissoirwand gestanden habe. Ich hätte genau den Moment abgepasst, in dem er aufs Klo ging, ich hinterher, und wir standen dann nebeneinander, und, so habe ich das lyrisch formuliert, haben die Sache erst mal gemeinsam begossen. Was nicht stimmt.
Was stimmt denn?
Ich bin wirklich dorthin gefahren, ich war in der Kneipe – um ihm nahe zu sein. Weil ich ihn so verehrt habe. Naja. Musik ist jedenfalls etwas Elementares, und hat mir oft Gutes gebracht, schon bei der Bundeswehr.
Sie waren beim Bund?
Klar. Die gab‘s da gerade mal vier Jahre, da war an Verweigern nicht zu denken, und ich brauchte auch Kohle. Verweigert habe ich später, als Reservist, beim Nato–Doppelbeschluss.
Und was war mit der Musik beim Bund?
Die sangen noch Nazilieder. Zum Marschieren.
Echt?!
Du glaubst es nicht. Das hat mich damals total gestört: „Wir zo–gen jen–seits der Gren–zen, mit Bom–ben so ge–gen den Feind, hoch über der spanischen Erde …“
… oh Mann, über Guernica!
Ganz widerlich. Und da habe ich all meinen Mut zusammengenommen und bin als kleiner Flieger in Cuxhaven zum Kompaniechef gegangen. Und habe gesagt: Ich finde das nicht gut. Darauf der: Dann machen Sie einen Gegenvorschlag! Und da war er an den Richtigen geraten. Denn ich kannte schon damals jede Menge Lieder – auch mit Marschcharakter. Dann zogen wir übern Kasernenhof und sangen die, das hat der Regimentskommandeur gehört, mich zu sich zitiert, und gesagt: Das ist aber schön. Der hatte gemerkt: Aufbau demokratischer Armee – da könnte man ja was mit anfangen. Und dann bin ich rumgefahren worden und habe jede Woche mit einer anderen Kompanie gesungen.
Kannten Sie die Lieder von Ihrem Vater?
Nein, wir haben sehr viel gesungen zu Hause, aber mein Vater und mein Bruder nicht, sondern meine Mutter, meine beiden Schwestern und ich, beim Abwaschen, Kanons: Musik gemacht wurde in meiner Familie immer, auch heute noch. Wir machen seit Jahren im Sommer Familientreffen auf Spiekeroog, das sind ungefähr 30 Leute, die sitzen dann alle da, und singen mit.
Beim Dünensingen?
Beim Dünensingen, ja. Das fing ja mit einer Familienfeier an: Am 5. Juni 1965 war der 60. Geburtstag meines Vaters. Wir vier Kinder wurden dazu auf die Insel eingeladen. Das war während meines Studiums, ich war damals in Göttingen – und freiwillig wäre ich damals nie auf die Insel gekommen: Ich war ja eher nach Frankreich orientiert.
Aber dann waren Sie hier?
Dann waren wir hier, und meine Geschwister und ich, wir haben uns auf Anhieb in diese Insel verliebt. Und ich fing fast fieberhaft an zu überlegen: Was kannst du machen, um die Semesterferien hier zu verbringen. Da muss es einen Weg geben. Und dann sagte mir meine Schwester: Mach‘ doch das, was du mit uns auch immer machst – sing mit den Leuten. Bring‘ ihnen Lieder bei.
74, war bis 2001 Lehrerin Bremen, wo er an verschiedenen Gymnasien Französisch und Sport unterrichtete.
Als Dünensängerarbeitet er seit 1965 jährlich auf Spiekeroog, derzeit gibt es vier regelmäßige Termine – angepasst an die Schulferien: Ende Mai, Anfang Juni (Pfingstferien), Juli (Sommerferien), im Herbst und am ersten Adventswochenende.
Auf dem Festlandgibt Strate in ganz Deutschland Singseminare, über die er auf www.eckart-strate.de informiert.
Das gab‘s noch nicht?
Hier noch nicht. Es gab ein offenes Singen auf Baltrum, das kannte ich auch – da gab es eine „Tante Anneliese“, die machte Gymnastik mit den Leuten am Strand, und am Ende der Gymnastik holte sie ihr Akkordeon ‚raus und sang Lieder von der See – also das war nicht so mein Genre. Ich wollte den Leuten was Neues vermitteln – und dann bin ich mit meinen Liedern und meiner Gitarre zum Kurdirektor gegangen und der hat gesagt: Ja dann machen se mal. Und hat mir vier Mark geboten pro Veranstaltung – das hat für mich für‘n Essen gereicht.
Klingt eher bescheiden?
Das Wichtigste war aber, ich bekam freies Quartier, darum ging‘s ja: Das war nicht so ein Zimmer mit Dusche. Das war die Strandkorbbaracke. Also da, wo im Winter die Strandkörbe stehen. Das ist nix weiter als Sandboden – überdacht. Kein Strom, kein Wasser, nix …
Also nicht so dolle?
Ich fand‘s grandios! Ich konnte aus dem Fenster klettern, und war am Strand und hab‘ meine Freunde in Göttingen angerufen: Leute ich habe hier Quartier: Und die sind dann natürlich auch angerückt, und Mädels waren auch dabei …
Huiuiui, Mitte der 1960er?
Uns ist nachgesagt worden, wir feiern da draußen Orgien, na klar. Das hat sich bis heute gehalten: Der Strate feiert Orgien.
Und dieses wilde Leben wurde so ohne Widerstand hingenommen?
Das war eine Veranstaltung der Kurverwaltung. Und sie wurde auch von Anfang an gut angenommen. Die Widerstände gab es aber auch: Auf der Insel gab es ein paar Leute, die eher reaktionär waren. Der damalige Kurdirektor war ja ein strammer Rechter, und dass er das zugesagt hatte, wurde ihm von einigen eher krumm genommen. Die haben dem dann gesteckt, was ich für schlimme Lieder sang, für den Frieden, gegen das Bürgertum. Damals hatte ich gesungen: Komm sing uns mal ein schönes Lied …
... also Degenhardt …
Oder: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern …
Sing nicht ihre Liehieder …
Das konnte ich aber nicht durchhalten, weil das dann doch zu schwer war. Naja, so hat‘s angefangen – und ich konnte den ganzen Sommer in einem traumhaften Ferienort verbringen, kam mit Gewinn raus, und die Mädels lagen mir zu Füßen.
Na typisch.
Ja, das ist immer so, das erlebe ich heute bei meinem Sohn auch so – wenn da jemand singt und Gitarre spielt.
Hat Sie das mal gereizt, die Musik zum Beruf zu machen, wie Ihr Sohn?
Nein, nie. Ich hatte einen ganz anderen Wunsch: Ich wollte Schauspieler werden. Da hat mein Vater mich aber auf‘n Pott gesetzt. Der hat zu mir gesagt: Damit kannst du kein Geld verdienen. Werd‘ doch Lehrer – da musst du auch auftreten. Also aufzutreten, den Wunsch hatte ich schon, aber berühmter Musiker werden, das zum Broterwerb machen, das war‘s nicht für mich: Das ist bei Johannes komplett anders gelaufen. Der hatte auch entsprechenden Ehrgeiz.
Und Sie?
Wir haben ihn weder unterstützt noch gebremst. Wir haben ihn einfach machen lassen.
Es scheint, als wären auch Sie durch den Ruhm Ihres Sohnes in den Fokus der Medien geraten …
Da ist was dran: Seither kommen fast jedes Jahr ein, zwei Zeitungen, die berufen sich auch immer auf Johannes.
Verändert das den Blick Ihres Publikums?
Bei den pubertierenden Jugendlichen, wenn die das mitkriegen: Die rufen schon mal beim Radfahren hinterher: Schöne Grüße an Johannes!, oder so, naja. Das ist so ein Alter, ich kann das akzeptieren. Ich hab‘ damit keine Last. Und die Leute, die eher zurückhaltend sind, thematisieren das gar nicht.
Sie kennen Ihr Publikum ganz gut …
Sehr gut.
Weil die wiederkommen?
Ja die kommen immer wieder – Spiekeroog ist so eine Insel, da fuhren schon die Großeltern hin. Das Publikum hier ist sehr konservativ – nicht reaktionär, aber eine Mischung aus alternativ – und solvent.
Spiekeroog ist nicht billig?
Nein, Spiekeroog ist teuer. Nicht wie Sylt und auch nicht ganz so wie Juist – aber ‚ne Wohnung hier, das kann sich nicht jeder leisten. Früher haben die Leute drei, vier Wochen Ferien gemacht, heute maximal zwei, und ausgehen zum Essen – das tun viele gar nicht mehr. Die kochen.
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