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Debatte WohnenEin Recht auf den Kiez

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Für Leute mit bescheidenem Einkommen muss es mehr Mietwohnungsneubau geben. Das wirft heikle Gerechtigkeitsfragen auf.

Genug Raum für sozialen Wohnungsbau vorhanden: Berlin. Foto: Photocase / Jock & Scott

D as ging schnell: Fast 50.000 Unterschriften haben die Aktivisten des Mieten-Volksentscheids in Berlin gesammelt, die nötige Schwelle für den Start der ersten Stufe eines Volksbegehrens zur besseren Wohnraumversorgung wurde damit überschritten. Das Berliner Mieten-Begehren sieht den Rückkauf von ehemaligen Sozialwohnungen vor, eine Mietersubventionierung für Geringverdiener und den Neubau von bezahlbaren Wohnungen – letzterem Anliegen muss die Politik in den Metropolen mehr Augenmerk widmen.

Denn während vielerorts über Vertreibung, Gentrifizierung und Milieuschutz gesprochen wird und immerhin die Mietpreisbremse kam, ist die Versorgung mit bezahlbarem zusätzlichen Wohnraum in den Metropolen ziemlich ungeklärt. Lediglich 12.000 Wohnungen werden derzeit im sozialen Mietwohnungsbau jährlich gebaut, gleichzeitig fallen in Deutschland aber jährlich 70.000 bis 100.000 dieser Wohnungen aus der Mietpreisbindung heraus, rechnete die IG BAU kürzlich vor.

Einfach nur neu zu bauen ohne zusätzliche Förderung hilft also wenig. Denn Neubaukosten und die Kaufkraft vieler Wohnungssuchender klaffen in den Metropolen weit auseinander. Nach Schätzungen der Wohnungswirtschaft muss ein Neubau, der nicht öffentlich gefördert wird, am Ende für eine Nettokaltmiete von mindestens zehn Euro vermietet werden, damit sich der Bau rechnet.

Das liegt an den gestiegenen Baukosten und an den Grundstückspreisen, die auch durch die Immobilienspekulation in den Metropolen nach oben getrieben werden. Zehn Euro nettokalt, das sind für einen Single mit einer 45-Quadratmeter-Wohnung fast 550 Euro Miete warm. Geringverdiener oder RentnerInnen mit einem Netto von 1.000, 1.200 Euro im Monat können sich das nicht leisten, von Hartz-IV-Empfängern ganz zu schweigen.

Man kann natürlich die Mietshäuser einfach weit draußen vor der Stadt errichten, dort sind die Grundstückspreise niedriger. Aber man weiß aus Studien, dass langes Pendeln unglücklich machen kann. London dient gerne als abschreckendes Beispiel, weil manche Angestellten hier jeden Tag zwei Stunden in die Stadt hinein- und abends wieder hinauspendeln müssen. Kurze Wege sind nötig, auch weil in den Familien heute meist beide Partner arbeiten und die Transportlogistik mit Job, Kita und Wohnung kompliziert geworden ist.

Bund und Länder sind gefordert

Angesichts der vielen Singlehaushalte ist zudem der Wunsch nach einem durchmischten Kiez mit Gastronomie und Einzelhandel keine überflüssige Kiezromantik, sondern eine überschaubare Nachbarschaft kann ein Gefühl von Bindung und Heimat vermitteln. Die Verkäufer von Luxuswohnungen werben gerne mit dem „Szenekiez“ in der Umgebung, dessen Vitalität oftmals Geringverdiener geschaffen haben. Mietpreisgedeckelte Sozialwohnungen müssen auch auf Grundstücken „im Szenekiez“ erhalten bleiben oder neu entstehen können.

Man kann auch billiger bauen. Im „Bündnis für bezahlbares Wohnen“, das bei der Bundesbauministerin angesiedelt ist, grübeln Experten darüber nach, wie man mit Fertigelementen, kleinen Grundrissen mit Wohnküchen, Laubengängen statt großer Hausflure Geld sparen kann. Im sozialen Neubau rückt man schon ab von den früheren Höchstgrenzen, die für einen Alleinstehenden ein Apartment mit 45 Quadratmetern vorsahen. In Berlin entstehen Appartements für Sozialmieter mit 34 Quadratmetern.

Es gibt also schon Neubauprogramme mit Mietpreisdeckelung, aber es sind zu wenig. Und leider verlockt die Förderung mit billigen Darlehen allein viele Investoren nicht, weil sie gegenwärtig ganz normale, billige Bankkredite haben können, mit denen sie sich zu keiner späteren Belegungsbindung verpflichten. Der Deutsche Mieterbund hat also recht, wenn er mehr Hilfe vom Bund für den Wohnungsneubau in den Ländern fordert, mehr direkte Zuschüsse, mehr kostengünstige Abgaben von landeseigenen Grundstücken und bessere steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für den Neubau von Wohnungen mit Belegungsbindung. Doch das kostet. Berlins Senator für Stadtentwicklung, Andreas Geisel (SPD) hat gewarnt, dass für Kitas, Schulen und Behindertenhilfen kein Geld mehr zur Verfügung stünde, würde das milliardenteure Mieten-Volksbegehren umgesetzt, das im Übrigen nur einem kleinen Teil der Bevölkerung in Berlin zugutekäme.

Verteilungsdebatten

Die Warnung Geisels zeigt bereits, dass die Politik das Geld für die Wohnungsbaupolitik gegen andere öffentliche Leistungen ausspielen könnte. Denn die Subventionierung von Mietwohnungen und Mietern trägt von jeher ein großes Verhetzungspotenzial in sich. Schon heute gibt es an Kneipentischen die Diskussion, ob Mieter überhaupt ein Dauerrecht hätten auf ihren Kiez und sich nicht damit abfinden müssten, nach weit draußen ziehen zu müssen, wenn die Mietpreise steigen, weil der Markt nun mal enger wird.

Wer genau soll also wie in den Genuss der Förderungen kommen? Das ist die heikle Frage. In Berlin können derzeit Alleinstehende mit einem monatlichen Nettoeinkommen von bis zu 1.400 Euro eine geförderte Wohnung mit Preisbindung beziehen, in München gilt eine Obergrenze von 1.900 netto. Für Familien gibt es entsprechend höhere Grenzen. Kämen Subventionierungen dieser Gruppen im größeren Stil, könnten die ganz Armen auf der Strecke bleiben. Würden vor allem die Armen gefördert, könnten sich Familien mit Doppelverdienerschaft, hohen Ausgaben für den Nachwuchs und großem Raumbedarf als zu kurz gekommen fühlen, weil sie knapp über den Einkommensgrenzen liegen für den geförderten Wohnungsbau.

Genau das ist der Horror jedes Regionalpolitikers: Verteilungsdebatten, in denen Arme, Angehörige der unteren und oberen Mittelschichten eine Opferkonkurrenz beginnen, als Leistungsempfänger oder als Steuerzahler oder als beides. Die Länderregierungen werden sich dieser Verteilungsfrage im Neubau stellen müssen. Weit draußen auf der grünen Wiese liegt die Lösung jedenfalls nicht.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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15 Kommentare

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  • Ihr Einwand ist vollkommen richtig. Nur, was soll dann eine Mietpreisbremse? So sinnvoll wie das Verschieben der Liegestühle auf der Titanic.

    Noch funktioniert das mit der Vertuschung des Konflikts: noch ist es für die meisten Leuten wichtiger, wer Germanys Next Top Model ist, als wer die nächste Regierung bildet, und vor allem, was die eigentlich will. Die Wahlbeteiligung sinkt, RTL II hat eine höhere Einschaltquote als Phoenix oder Arte, die einige aufklärerische Sendungen ausstrahlen. Lügenpresse? Nö, Lügen ist viel zu aufwendig, es reicht vollkommen, den Leuten Brot und Spiele zu liefern.

    Jest mal angenommen, ich hätte Geld für meine Alterssicherung: Würde ich es in Sozialwohnungen investieren? Ja bin ich denn mit dem Klammerbeutel gepudert?

  • Das Kernproblem wird gar nicht genannt: Landflucht. Wenn die Lösung nicht "auf der grünen Wiese" liegt, warum sollte sie dann in überteuerten Ballungszentren liegen?

    • @Grisch:

      "Landflucht" wegen der fortschreitenden Individualisierung unserer Gesellschaft und der zunehmenden Notwendigkeit der Berufstätigkeit beider Elternteile für das wirtschaftliche Überleben einer Familie heutzutage - weshalb die Wege zu den Arbeitsplätzen beider Elternteile durch das Wohnen im zumeist städtischen Arbeitsort oder in dessen unmittelbarer Nähe so kurz wie möglich gehalten werden.

      Aus diesen Gründen gibt es immer weniger konservative Familien, in denen ein Elternteil als Alleinverdiener/-in weiter auswärts berufstätig ist und der Rest der Familie das auch heute noch vielfach angepriesene "Häuschen im Grünen" auf dem Land zu schätzen weiß.

  • "...und immerhin die Mietpreisbremse kam,..."

     

    Die Mietpreisbremse ist Augenwischerei. Sie ist, wie vieles heutzutage, so gemacht, daß sie nur so tut, als ob.

     

    So lange der Neoloberalismus regiert, werden die Probleme und sozialen Ungerechtigkeiten zunehmen.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Natürlich ist sie Augenwischerei. Von der SPD in die Welt gesetzt, von der CDU geduldet, weil die von vornherein wusste, dass das Ganze sich tot läuft und dass die SPD nachher wie immer den schwarzen Peter hat.

      Nun gut, schaffen wir den Neoliberalismus ab. Wer macht mit? SPD , die 20 % Partei? Vielleicht RTL? Was sagt denn Facebook dazu?

      • @Helga Jodel:

        Nun, zunächst wäre es schon mal ein Fortschritt, wenn eine größere Anzahl von Leuten, sagen wir mal, so 80%, sich darüber im Klaren wären, daß "Mir geht´s gut" nicht ausreicht.

  • Wieso müssen eigentlich im öffentlichen Bereich die Mieten in einem bestimmten Zeitraum die Baukosten wieder einspielen? Wieso soll sich eine Stadt oder ein Bundesland als Bauherr von Wohnungen genauso verhalten müssen wie ein Privatunternehmen? Wieso sollte Berlin nicht kommunale Wohnungen bauen und diese dann zu einen politischen Tarif vermieten können?

    • @Checky:

      Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, das Problem zu lösen. Eine wäre, Geld zu drucken (macht Draghi gerade). Eine Andere ist, die Preise für Baustoffe und Arbeitsleistungen per Verordnung festzulegen, denn die sind ja die Preistreiber. Dann muss man nur noch Leute finden, die zu diesem Lohn arbeiten, wenn keiner es freiwillig tut, dann zwangsweise.

      Man sollte die Dinge mal bis zum Ende denken. Dann kommt man nie mehr auf solch völlig verblödete Lösungen wie die Mietpreisbremse.

    • @Checky:

      Ei, weil in unserem Wirtschaftssystem halt ALLES bezahlt werden muss. Und wenn man für etwas mehr ausgibt, dann muss man es halt woanders kürzen. Was wäre Ihr Vorschlag, wo sollte man kürzen? Hartz IV? Arbeitslosengeld?

      • @Helga Jodel:

        Wie wäre es, stattdessen einfach mehr Geld einzunehmen.

        Ein Staat kann seine Steuern beliebig festlegen. Niemand ist gezwungen, hier zu leben und seine Steuern hier zu zahlen. Wenn Geld, wie offenbar zur Zeit, ausreichend vorhanden ist, muss es nur umverteilt werden.

        • @Age Krüger:

          Klar. Machen Sie einen Vorschlag, wer höhere Steuern zahlen soll, und dann bringen Sie den durch den Bundestag. Aber vergessen Sie die gegenwärtigen Mehrheitsverhältnisse nicht.

      • @Helga Jodel:

        Man könnte zunächst mal die 800 Milliarden zurückfordern, die man vor ein paar Jahren den Zockerbanken in den Rachen geschmissen hat. Da käme man doch schon ein Stückchen weit.

  • 100.000 (sic!) Seiten umfassen die Vorschriften für den Bau eines Mehrfamilienhauses.

     

    Nicht nur, dass jemand diese kennen und beachten muss - jede einzelne kostet Geld.

     

    Aber Deregulierung steht heutzutage nicht sehr hoch im Kurs.

  • Zum ersten Mal lese ich einen Artikel, in dem steht, dass für den sogenannten bezahlbaren Wohnraum jemand bezahlen muss. Wohnungsbau kostet Geld, das über die Mieten wieder hereinkommen muss. Und wer das nicht einsehen will, der muss halt sagen, wie es billiger geht. Höchstens durch Zwangsverpflichtung von Arbeitslosen.

    • @Helga Jodel:

      Für den Bau von Sozialwohnungen gibt es staatliche Wohnungsbau-Förderprogramme - deren Inanspruchnahme logischerweise zur Folge hat, dass der Vermieter sich seine künftigen Mieter nicht uneingeschränkt frei aussuchen kann. Weshalb viele Bauherren angesichts der aktuell niedrigen freien Marktzinsen für ganz normale Bankkredite auf die Inanspruchnahme der o. g. staatlichen Förderprogramme verzichten - wie von der taz-Autorin richtig dargestellt.

      Genau darin liegt das Problem für das zunehmende Auseinanderdriften unserer Gesellschaft auf dem freien Wohnungsmarkt. Wogegen der Staat etwas tun muss - wenn er bzw. die Allgemeinheit nicht will, dass die unteren Einkommensgruppen unserer Bevölkerung zukünftig immer häufiger auf der Straße nächtigen. Denn die aktuell angebotenen Obdachlosenunterkünfte reichen für einen derartigen zukünftigen Ansturm nämlich bei Weitem nicht aus.

      Schon heute werden von vielen Kommunen die Mietobergrenzen für Sozialhilfe-, Grundsicherungs- und Arbeitslosengeld-II-Bezieher bewusst kleingerechnet - weshalb dieser Personenkreis schon heute oftmals einen Teil seiner real zu bezahlenden Mietkosten aus den ebenfalls politisch bewusst kleingerechneten Regelbedarfen bestreiten - d. h. sich die realen Mehrkosten "vom Munde absparen" muss. Dass das nicht unbegrenzt so weitergehen kann, dürfte jeder und jedem Einzelnen von uns allen klar sein!!!