piwik no script img

Zu wenig Förderunterricht an SchulenAuf dem Rücken der Schwächsten

Erstklässler protestieren vor der Senatsbildungsverwaltung gegen Ausfall von Förderstunden.

Leere Klassenzimmer: An Berlins Schulen wird nur unzureichend in die nächste Generation investiert Foto: dpa

Irgendwann wollte Uwe Fischer wissen, ob ihn sein Bauchgefühl nicht doch trügt. Ein Schulhalbjahr hat der Lehrer an der Kreuzberger Lenau-Grundschule deshalb jede Stunde Förderunterricht notiert, die in seiner Klasse ausfiel. „Am Ende war es tatsächlich etwa die Hälfte.“ Am Dienstag will er mit seinen Erstklässlern und deren Eltern deshalb vor der Senatsbildungsverwaltung demonstrieren: „Wir suchen unsere Teilungsstunden.“

Theoretisch stehen jedem Grundschulkind mit Förderbedarf im Bereich „Lernen, emotional-soziale Entwicklung, Sprache“ (LES) – sie machen fast zwei Drittel aller Förderkinder aus – 2,5 Teilungsstunden pro Woche zu. Stunden also, in denen zwei Lehrkräfte in der Klasse sind und sich eine davon um die Förderkinder kümmern kann.

2,5 Wochenstunden sind nicht viel: Vor 15 Jahren waren es noch doppelt so viele. Denn Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hat Inklusion zwar zu einem ihrer Hauptanliegen gemacht – und die Zahl der Inklusionskinder an Regelschulen ist auch beständig gestiegen. Zugleich jedoch ist der Etat für Sonderpädagogen seit 2001 gedeckelt. Die Integrationskinder wurden also mehr, die Ressourcen nicht.

Stoff im Nachmittagshort nachgeholt

In Fischers 1c sind es vier Kinder, die besondere Förderung brauchen. Doch oft sei die zweite Lehrkraft für irgendeine Vertretungsstunde woanders eingespannt – und die Teilungsstunde ist keine. Oft holt Fischer im Nachmittagshort dann den Stoff vom Vormittag nach. „Aber das ist für die Kinder schwierig, wenn die Freundin schon draußen auf dem Schulhof spielt.“

Die Senatsverwaltung bestätigt im Übrigen Fischers „Bauchgefühl“: Etwa die Hälfte des Vertretungsunterrichts wird durch die Aufhebung von Teilungsstunden oder die Zusammenlegung von Klassen realisiert. Hier werde „auf dem Rücken der Schwächsten die Schulstatistik frisiert“, klagt Fischer.

Das ist übrigens auch Tenor des laufenden Volksbegehrens „100 % Unterricht. Gegen Unterrichtsausfall“. Die Initiatoren zählen die Zusammenlegung von Teilungsstunden nicht, wie es der Senat tut, als Vertretungsunterricht – sondern als Unterrichtsausfall.

Die Exkursion zur Bildungssenatorin am Dienstag hat Fischer mit den Kindern auch im Unterricht thematisiert. Sie wissen nun: Irgendwo hier müssen sie sich verstecken, die fehlenden Stunden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • die schulischen Probleme wären sofort gelöst, wenn alle Kinder die staatlichen Schulen besuchen müssten und die Privatschulen geschlössen würden!

    • @Georg Schmidt:

      Hallo Herr Schmidt, welchse Problem löst sich denn Ihrere Meinung nach damit? Die "Privatschulen" (die meisten übrigens nicht als Schulen Besserverdienender sondern in Trägerschaft von Religionsgemeinschaften oder gemeinnützigen Vereinen) können doch nicht dafüe herhalten, dass der Senat entgegen politischer Sonntagsreden die Mittel immer weiter kürzt. Im Gegenteil. In Berlin bekommen Schulen in Freier Trägerschaft 93 Prozent der vergleichbaren Personalkosten an staatlichen Schulen und NULL % Sachkosten. Etwa 10 % der Schülerinnen und Schüler in Berlin gehen auf diese Schulen. Würden all diese Kinder staatliche Schulen besuchen, würden enorm mehr Kosten für den Senat anfallen, die derezit die Eltern privat aufbringen müssen. Die Lehrerinnen und Lehrer verdienen deshalb auch meist etwas weniger als im ÖD. Die Freien Schulen machen den staatlichen Schulen also höchsten in puncto pädagogische Freiheit und allgemeine Lehrbedingungen Konkurenz - nicht aber weil dort besser bezahlt würde. Die Lehrkräfte an staatlichen SDchulen müssten nur auch die Wertschätzung und Freiheit bekommen, die von den Schuldirektoren auch immer wieder eingefordert wird. Statt dessen setzt der Senat auf Verwaltung und Statistik. Das vor wenigen Wochen das zig-Million teure Projekt eGovernment@school der Berliner Verwaltung geschreddert wurde und somit viel Geld und Kraft dem Bildungsauftrag entzogen wird, ist wohl eine der wahren Ursachen der Misere. Den "privatren" Schulen die Schuld an Misständen im staatlichen Bereich zu geben, lässt sich sachlich kaum herleiten.

  • An anderen Schulen leistet man sich erst gar keine keine Teilungsstunden - statt dessen fallen sogar ganz normale Stunden aus. Bei meinem Sohn ist einige Monate lang gefühlt jede vierte Stunde ersatzlos ausgefallen. Genauere Zahlen habe ich nicht - die sind im Direktorat unter Verschluss. Logisch, dass die Klasse mit dem Lernstoff inzwischen weit zurückliegt. In einer anderen Klasse war der Rückstand so groß (und die Noten entsprechend miserabel), dass die gesamte Klasse das Schuljahr wiederholen wollte. Das hat der Direktor allerdings abgelehnt.