Fassbinder-Erbe: "Wünschenswert ist Transparenz"
Um den Nachlass Fassbinders ist ein heftiger Streit entbrannt. Rainer Rother, Direktor des Berliner Filmmuseums, über den Umgang mit dem Erbe des Kinos.
taz: Herr Rother, im Zuge der Debatte um die Pflege des Fassbinder-Nachlasses sind auch die Deutsche Kinemathek und das ihr angegliederte Film- und Fernsehmuseums ins Spiel gebracht worden. Kaum läuft etwas schief im privaten Sektor, wird der Ruf nach der öffentlichen Hand laut. Ein typisch deutscher Affekt?
Rainer Rother: Die Erklärung der 25 Unterzeichner, den Fassbinder-Nachlass in die Obhut der Deutschen Kinemathek zu übergeben, hat uns selbst überrascht und auch gefreut, weil uns damit natürlich ein Vertrauen in unsere Arbeit ausgesprochen wurde.
Bisher haben die kulturpolitischen Organe herzlich wenig für den Erhalt des deutschen Films getan. Ist das Filmerbe nicht vielleicht doch besser in privater Hand aufgehoben?
Ich will nicht klagen. Natürlich hätten wir gerne mehr Mittel, aber ich muss auch sagen, dass es für die fehlenden Mittel in der Vergangenheit oft eine Art Kompensation gegeben hat in Form öffentlicher Unterstützung beim Ankauf bedeutender Nachlässe wie denen von Marlene Dietrich, Hildegard Knef oder G. W. Pabst. Leider wird das immer schwieriger und es ist zu hoffen, dass sich die öffentliche Hand bei der Unterstützung des Ankaufs großer, relevanter Sammlungen auch in Zukunft nicht verweigert.
Rainer Rother, Film- und Literaturhistoriker, ging 1991 er nach Berlin und leitete das Zeughaus-Kino im Deutschen Historischen Museum. Seit 2006 ist er Direktor des Filmmuseums Berlin und der Stiftung Deutsche Kinemathek.Außerdem ist er für die Retrospektive der Berlinale verantwortlich.
Die niederländische Regierung hat gerade 140 Millionen Euro für die Konservierung der gesamten audiovisuellen Bestände in den nationalen Archiven bewilligt. Da müssen dem Leiter einer finanziell schwach ausgestatteten Kinemathek, noch dazu von Weltruf, doch die Tränen in die Augen steigen. Die Fassbinder Foundation brüstet sich damit, dass "Berlin Alexanderplatz" erst die zweite Filmrestaurierung ist, die von der Kulturstiftung des Bundes gefördert wurde. Was läuft falsch in Deutschland?
Die Kulturstiftung des Bundes fördert per se nur einzelne Projekte. Sie ist laut Statuten auch gar nicht dazu ausgestattet, die alltäglichen Aufgaben der Kulturpflege zu unterstützen. Gerade Filmarchive befinden sich da in einer sehr schwierigen Lage, weil vielerorts die "Altlasten" enorm sind, bedenkt man nur einmal die Menge an hochempfindlichem Nitrofilmmaterial, das in den Archiven dem Verfall preisgegeben ist. Die politische Aufmerksamkeit für diese laufenden Probleme ist in Deutschland in der Tat sehr gering, obwohl sich das gerade zu ändern scheint. Der Bundespräsident hat sich kürzlich erstmals öffentlich für die Pflege des audiovisuellen Erbes eingesetzt. Das ist ein sehr deutliches politisches Signal. Damit einher geht natürlich die Verantwortung der Archive, das öffentliche Bewusstsein zu stärken, dass das Kulturgut Film stark gefährdet ist. Da müssen wir noch viel offensiver werden.
In Amerika gibt es eine prominente Figur wie Martin Scorsese, der immer wieder die Aufmerksamkeit auf die Rettung des Filmerbes lenkt. Fehlt so jemand in Deutschland?
Scorsese hat in Cannes seine Kampagne gerade zu einer weltweiten Initiative erweitert, und ich fand es ganz großartig, dass Fatih Akin sofort beigetreten ist und sich für diese Sache starkmacht. Das zeigt mir, dass es auch in der neuen Regisseur-Generation ein starkes Bewusstsein dafür gibt, dass sie nicht nur im Hier und Heute Filme machen, sondern gleichermaßen von der Filmgeschichte abhängig sind.
Wie definieren Sie die Aufgaben der Deutschen Kinemathek, und was können Sie hinsichtlich der Pflege des deutschen Filmerbes gewährleisten, was eine kommerzielle Entität - die Fassbinder Foundation ist ja nur nominell eine Stiftung - nicht leisten kann?
Das Entscheidende ist, dass wir unparteiisch sind. Wir nehmen alles, was wir haben, gleich ernst. Und im Rahmen unserer Möglichkeiten ist unser Kriterium nicht primär, ob der Film historisch besonders wertvoll ist, sondern: Ist er besonders bedroht? Wenn etwas bedroht ist, genießt es bei uns automatisch Priorität. Das Wichtigste ist natürlich, dass wir, sofern es nach konservatorischen Gesichtspunkten vertretbar ist, jedem Interessierten freien Zugang gewährleisten.
Das Problem liegt doch aber darin, dass es in Deutschland immer noch kein wirkliches Bewusstsein für das Kulturgut Film gibt, wie es im Denkmalschutz oder der Kunst längst der Fall ist. Dem Filmmuseum Düsseldorf sind gerade wieder Mittel gekürzt worden, in München kocht man, trotz hervorragender Arbeit, auf kleinster Flamme. Wie viel Mittel aus öffentlicher Hand erhalten Sie?
Unser Budget für das Filmarchiv beträgt 60.000 Euro, die für die Erstellung von Sicherheitskopien und Restaurierungen zur Verfügung stehen. Damit kommt man natürlich nicht weit. Ein etwa ebenso großes Budget steht uns für den Ankauf von Sammlungen zur Verfügung. Darum sind wir für die Akquirierungen von Nachlässen wie denen von Hildegard Knef oder Georg Wilhelm Pabst stark auf Drittmittel angewiesen.
Finden Sie es nicht kritisch, dass die Pflege von nationalen Kulturgütern privaten Körperschaften überlassen wird?
Man muss in solchen Fällen natürlich sehr genau die Interessenlage abwägen. Aber so schlimm sehe ich die Situation in Deutschland derzeit noch nicht. Uns bietet bislang noch kein Privatier größere Geldsummen für eine Filmrestaurierung.
Eine Konsequenz ist, dass im kommerziellen Sektor oft sehr viel mehr für den Film als Kulturgut getan wird, weil man Film dort schlicht als wirtschaftliches Kapital begreift. In Amerika funktioniert das ganz hervorragend. Sony zum Beispiel investiert jährlich Millionen und leistet unter konservatorischen Aspekten hochwertige Arbeit. Müsste im Idealfall eine Kinemathek nicht als Mittler zwischen Politik, Filmindustrie, Filmschaffenden und privaten Trägern wie der Fassbinder Foundation fungieren?
Man sollte da die Rolle der Kinematheken nicht überschätzen. Wir sind zunächst mal für die Vergangenheit zuständig
aber die Vergangenheit beginnt in diesem Augenblick. Das genau ist doch der Denkfehler, der in Deutschland so weit verbreitet ist.
Das ist vollkommen richtig, und es ist tatsächlich so, dass die Archive davon profitieren, wenn es dem deutschen Film an sich besser geht. Sobald im deutschen Film etwas passiert, er also in einem gesunden kulturellen Umfeld existiert, verändert sich auch die Wahrnehmung von Film als Kulturgut. Das ist allerdings ein langwieriger Prozess. Der ist nun, auch dank der Initiative von Bernd Neumann, zumindest angestoßen.
Ihnen fehlt aber immer noch das politische Mandat. Das fängt schon damit an, dass in Deutschland - im Gegensatz zu Frankreich zum Beispiel - die Pflichtdeponierung von Kopien einer jeden aktuellen Filmproduktion im staatlichen Archiv - sei es im Bundesarchiv oder eben der Kinemathek - gesetzlich bisher nicht geregelt ist.
Aus Archivsicht ist das ganz sicher ein notwendiger Schritt, um unsere Position zu stärken. Da haben sich in den letzten Jahren aber bereits kleinere Veränderungen vollzogen. Inzwischen ist es zum Beispiel gesetzlich vorgeschrieben, dass jeweils eine Kopie der von den Film- und Landesförderungsanstalten geförderten Filme an ein Archiv des Kinemathekenverbundes abgegeben werden muss. Das ist noch keine Pflichtabgabe, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Ich glaube auch, dass die Produktionsfirmen langsam zu verstehen beginnen, wie aufwändig die Lagerung und langfristige Konservierung ihrer Filme ist, und dass dies in den Archiven einfach am besten gewährleistet ist.
Peinlich wird es, wenn eine so teure und prestigeträchtige Restaurierung wie die von "Berlin Alexanderplatz" derart unprofessionell durchgeführt wird. Die Aufhellung des Films ist ja nur der bekannteste Vorwurf. Hat eine Kinemathek nicht die größere Expertise im Umgang mit Archivmaterialien und eine fundiertere konservatorische Ethik?
Da kann ich bezüglich "Berlin Alexanderplatz" nur sehr wenig sagen, weil wir in das Projekt nicht involviert waren und mir persönlich auch über den Zustand der Ausgangsmaterialien nichts bekannt ist. Aber ich stimme Ihnen zu, dass im Fall von Restaurierungen die Expertise von Archiven gefragt sein sollte. Es gibt in Deutschland außerhalb von Filmarchiven bislang leider wenig Verständnis dafür, was Restaurierung genau bedeutet. Wie dem aber auch sei, hat der Rechteinhaber in jedem Fall das letzte Wort. Was wünschenswert wäre, ist, eine Transparenz zu schaffen, die Arbeitsmethoden und Restaurierungsprinzipien offenzulegen. Es herrschte zum Beispiel lange Zeit die Ansicht vor, Filme, die auf 35 mm überliefert sind, nicht digital zu restaurieren. Heute sehen wir, dass digitale Restaurierungen, auch aufgrund der fortgeschrittenen Technik, in bestimmten Fällen gewisse Vorteile bieten.
Offenbart sich in der Debatte um den Fassbinder-Nachlass ein strukturelles Problem im Umgang mit dem nationalen Filmerbe?
Ich glaube, dass der Streit um den Fassbinder-Nachlass ganz entscheidend dem Wesen und der Arbeitsweise der Fassbinder-Community geschuldet ist. Daran können wir von außen nicht rühren. Ich denke aber, dass Prinzipien der Restaurierung und des Umgangs mit dem Filmerbe zukünftig auf ganz anderer Ebene diskutiert werden müssten. "Berlin Alexanderplatz" ist da nur ein Mosaiksteinchen, ein wichtiges allerdings. Die Archive müssen hier in Zukunft eine ganz entscheidende Rolle einnehmen. Das kann aber nur mit der nötigen politischen Unterstützung funktionieren.
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