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KolumneTunnelblick in Tübingen

Kommentar von Dieter Baumann

Seit der Tunnel für Mopedfahrer verboten ist, hängt der Stadtsegen schief.

E in langer Zaun über einige Kilometer in Heiligendamm hat in ganz Deutschland für einigen Wirbel gesorgt. Um ganz Tübingen in Wallung zu bringen, bedarf es nur vier Schrauben. Vor wenigen Tagen hat der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer zwei Schilder an die jeweiligen Eingänge des 250 Meter langen Fußgänger- und Fahrradtunnel montieren lassen.

privat

Dieter Baumann, 42, ist mehrfacher Olympiasieger in verschiedenen

Laufdisziplinen, arbeitet als Motivationstrainer und Autor. Er träumt

davon, ein "Lebensläufer" zu sein, für den der Weg immer wichtiger

bleibt als das Ziel

Der Tunnel verbindet die Altstadt mit drei großen Schulen, dem Bahnhof und vielen tausend Bürgerinnen und Bürger. Nein, unser OB Boris Palmer wäre nicht Boris Palmer, wenn er das Schild von irgendeinem, in Leuchtorange gekleideten Stadtstraßenbauer montieren hätte lassen, Palmer montierte das Schild höchst selbst. Auf einem Bild in der hiesigen Presse war er auf einer Leiter zu sehen, wie er gerade das Schild - Mofas verboten - mit zwei Schrauben befestigte. Dabei lachte er siegessicher, denn schließlich war ein zentrales Wahlversprechen von ihm, die Stadt Tübingen (noch) fahrradfreundlicher zu machen. Dies löste er nun ein. "Mofas verboten", so steht es jetzt an beiden Eingängen zum Fahrradtunnel.

Wenn sie jemals nach Tübingen reisen, sollten sie auf jeden Fall diese Tunnelröhre besichtigen. Wenn dann ein Mofa hindurchfährt, dröhnt das ganze Gebilde. Wenige Augenblicke später können sie vor lauter Abgase kaum noch atmen. Dazu kommen die riskanten Überholmanöver der Mopedfahrer, die an den langsamen Fahrradfahrern im Zickzackkurs vorbeifahren. Lärmschutz, Luftverschmutzung und nicht zuletzt die Sicherheit für die anderen Tunnelnutzer, das sind die Argumente für das Verbot.

Seit die Schilder montiert sind, ist die Aufregung in Tübingen groß. Es vergeht kein Tag, an dem das Schwäbische Tagblatt nicht eine Flut an Leserbriefen zum Topthema Tübingens abdruckt. Dazu wird natürlich jeden Tag eine andere Geschichte zur Befahrung oder Nichtbefahrung des Tunnels beigesteuert. Einmal von gefährliche Umwege fahrenden Mopedfahrern, dann wieder von lärmbelästigten, Kinderwagen schiebenden Müttern. (Von Kinderwagen schiebenden Vätern ist nichts zu lesen). Wie auch immer, der Streit ist ohne Beispiel. Nein, ohne Beispiel natürlich nicht. Ich erinnere an den Streit um die Fledermäuse, die das Tübinger Schloss besetzt halten und die Nutzung anderer Art unmöglich machen, an die Platanenallee und deren sensiblen Wurzeln oder die (ver)hungernden Tübinger Schwäne. Die Liste ist lang und ebenso die politische Aufregung. Beim Tunnelstreit, wie könnte es anders sein, spielt der Klimaschutz eine entscheidenden Rolle. Palmer fordert die Jugendlichen auf, aufs Fahrrad umzusteigen. Wegen der Luftverschmutzung. Die städtische CDU sieht in diesem Aufruf von Palmer "eine diktatorische Denkstruktur". Na, na, liebe Tübinger CDU, was würde denn eure Angela dazu sagen, die doch noch vor einigen Tagen mit ihrem beherzten, diplomatischen Konsensweichspülgang das Weltklima gerettet hat.

Einen gut gemeinten und sinnvollen Vorschlag machte ein Leserbriefschreiber: "Die meisten der Betroffen dürften im Stande sein, ihr Moped/Mofa durch den Tunnel zu schieben." Doch auch dieser Ratschlag greift zu kurz. Wir sollten den Mut haben, das Thema Tunneldurchquerung globaler zu betrachten. "Kinder und Jugendlichen sollen Fahrrad fahren", so lautet Palmers Antwort auf seine Gegner. Diese Forderung reicht nicht aus. Vielmehr sollte der Tunnel auch für Radfahrer gesperrt werden. Damit hätten wir die Gesunderhaltung - 75 Prozent aller Bundesbürger sind zu fett - mit der Klimakatastrophe verbunden. Das Schieben der Mofas und Mopeds wird zur Vorschrift. Aufgrund der geringen Kalorienverbrauchs beim Fahrradfahren gegenüber dem Laufen müssen die Radler ihr Gefährt ebenfalls schieben. Um den Kalorienverbrauch der Fußgänger wiederum auf das Niveau der schiebenden Radler hochzutrimmen, müssen die Fußgänger zukünftig mit einem leichten Laufschritt den Tunnel durchqueren. Damit hätten wir die CDU (vielleicht nicht die Tübinger, so doch die bundesdeutsche) mitsamt der Kanzlerin im Boot. Denn noch vor wenigen Wochen forderte sie in einem Aktionsplan mehr Bewegung für die Bürgerinnen und Bürger.

Der Zweck heiligt in diesem Falle die Mittel, bevor wir noch alle zu fett werden. Also, Tübingen, wir fangen an. Ab jetzt wird im Tunnel gelaufen.

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