Innere Sicherheit: Auf Schilys Spuren
Die SPD kritisiert Innenminister Schäuble - dabei stammen viele seiner Ideen zur Terrorbekämpfung von seinem SPD-Vorgänger.
BERLIN taz Er ist zu weit gegangen. Er muss jetzt wirklich mal gebremst werden. Darin sind sich die meisten Kommentatoren einig. Auch der Koalitionspartner ist entsetzt. Sogar manche Parteifreunde gehen auf Distanz. "Das Herumgerede darüber, rechtsstaatliche Sicherungen abzubauen, halte ich für sehr gefährlich", warnt die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD). Kein Zweifel: Mit seinen immer neuen Ideen für noch härtere Maßnahmen im Kampf gegen den Terror hat der Innenminister Grenzen überschritten, die im politischen Mainstream der Republik bisher als unüberschreitbar galten.
Neben der Online-Überwachung von Privatcomputern sind es vor allem zwei Ideen des Ministers, die für Aufregung sorgen: Die Internierung von potenziellen Terroristen und die Tötung von bekannten Terroristen. Leute einsperren, obwohl sie nichts verbrochen haben, und Leute erschießen, obwohl es in Deutschland keine Todesstrafe gibt - solche Möglichkeiten zu erörtern, hatte noch nie ein Kabinettsmitglied gewagt.
Bis Otto Schily kam.
Es war der sozialdemokratische Innenminister, der vor drei Jahren genau die Vorschläge ins Gespräch brachte, für die sein Nachfolger aus der CDU nun lautstark gescholten wird. Insbesondere von Sozialdemokraten. Am Montag warf SPD-Fraktionschef Peter Struck Innenminister Wolfgang Schäuble "Angriffe auf den Rechtsstaat" vor. Vielleicht sollte er nachlesen, was sein geschätzter Genosse Schily 2004 zu Protokoll gab. Die Terroristen sollten eines wissen, sagte dieser seinerzeit: "Wenn ihr den Tod so liebt, dann könnt ihr ihn haben." Und Schily fragte, "ob im äußersten Fall auch die Tötung einer Person als Notwehr zu rechtfertigen ist". Derlei Äußerungen störten Struck damals nicht. Denn in rot-grünen Regierungszeiten war es der SPD sehr recht, dass ihr strenger Innenminister Schily überaus deutlich machte, dass die Terrorbekämpfung bei der SPD in guten Händen war. Und die Union ärgerte sich, weil ihr der traditionelle "Kompetenzvorsprung" beim Thema innere Sicherheit abhanden kam.
Erst Schäuble hat es geschafft, die alte Rollenverteilung wieder herzustellen. Die Union erscheint wieder als treibende Kraft in der Antiterrorpolitik, die SPD als Bremserin. Schäuble erreichte dies nicht durch wirklich neue Gedanken, sondern durch die Penetranz, mit der er sie vortrug. Ohne erkennbaren Anlass wiederholte der Innenminister in den letzten Monaten fast täglich alte Forderungen - auch Schilys Lieblingsidee, die Sicherungshaft für "Gefährder".
Die Kanzlerin ließ ihn dabei gewähren. Lange funktionierte die Aufgabenteilung bestens: Angela Merkel umwirbt mit liberalen Tönen zur Integration und Familienpolitik die politische Mitte, Schäuble kümmert sich um den rechten Rand. Erst jetzt hat Merkel ein Problem: Weil die SPD auf einmal auf Schäuble losgeht - und weil sogar Bundespräsident Horst Köhler den "Stakkato"-Stil kritisiert, mit dem der Innenminister das Volk belästigt.
Bei ihrer Bilanzpressekonferenz vor der Sommerpause am Mittwoch wird auch Merkel nach Schäuble gefragt werden. Doch es ist kaum anzunehmen, dass sie ihren Minister tadelt - zumal dieser schon klarstellte, dass er nicht gedenke, in Deutschland mit gezielten Tötungen gegen Terroristen vorzugehen. Da sei er missverstanden worden.
Das größere Problem hat die SPD: Einerseits ist sie im Moment versucht, Schäuble zu bremsen. Andererseits hat sie Angst, dass ihr genau das später im Fall eines Terroranschlags vorgehalten wird. Entsprechend unentschlossen lavieren die Sozialdemokraten herum, wenn es konkret wird. "Ich persönlich glaube, dass wir das Instrument der Online-Durchsuchung brauchen", sagte der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz. "Die Hürden müssen aber so hoch sein wie beim Lauschangriff und es darf nur im extremen Einzelfall angewandt werden."
Während die SPD-Verhandlungsführer also durchaus zu Verschärfungen bereit sind, spielen sich Struck und Parteichef Kurt Beck als Hüter des Rechtsstaats auf. Bei Experten wirkt das unglaubwürdig. "Die derzeitigen Vorschläge sind nicht allein Visionen der CDU - die SPD hat hier sehr viel mit vorbereitet", kritisiert Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, "Schon Schily wollte die Online-Durchsuchung." Constanze Kurz, Expertin für Überwachungstechnologie vom Chaos Computer Club, sagt: "Während die Öffentlichkeit über die krassen Ideen von Herrn Schäuble diskutiert, werden scheinbar harmlosere Vorschläge inzwischen Realität." Seit über zwei Jahren gebe es Lagezentren, in denen Polizei, Armee und Geheimdienste im so genannten Kampf gegen den Terror zusammenarbeiten. "Dass die Trennung von Polizei und Geheimdienst verletzt wird, interessiert niemanden mehr."
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